Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2012; 44(4): 176-177
DOI: 10.1055/s-0032-1314728
Praxis
© Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

„Leitlinien mit den individuellen Bedürfnissen des Patienten zusammenbringen“

(Arzt-)Patienten-Kompetenz
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Publication Date:
19 December 2012 (online)

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Unser Gesprächspartner:
Prof. Dr. phil. Joachim Weis

Studium der Psychologie und Habilitation an der Universität Freiburg, seit August 1993 Leitung der psychosozialen Abteilung in der Klinik für Tumorbiologie Freiburg an der Universität Freiburg sowie seit 2002 apl. Professur am Psychologischen Institut der Universität Freiburg; Vorstandssprecher der Arbeitsgemeinschaft Psychoonkologie (PSO) der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG), Gründungsmitglied der Deutschen Fatigue Gesellschaft (DFaG); Forschungsschwerpunkte: Krankheitsverarbeitung und Interventionen, psychosoziale Rehabilitation, Patientenkompetenz, Behandlung tumorbedingter Fatigue.

DZO: Stichwort Arzt-Patienten-Kompetenz, es scheint, als habe das Bild von einer paternalistischen Medizin endgültig ausgedient. Aber was genau macht eine gute Arzt-Patienten-Kompetenz bzw. eine gute Arzt-Patienten-Beziehung aus?

Prof. Weis:
Auf der Seite des Arztes spricht man eher nicht von Arzt-Patienten-Kompetenz, da dieser Begriff ja sehr viel umfasst und eher ein mehrdimensionales Modell beschreibt. Das was man im Kontext der Arzt-Patienten-Beziehung darunter versteht, wird meistens unter der kommunikativen Kompetenz oder der psychosozialen Kompetenz des Arztes thematisiert.

DZO: Wie lässt sich die kommunikative Kompetenz des Arztes am besten stärken? Geht das nicht am besten durch eine Stärkung der „Kommunikation“ oder bedarf es hier noch mehr?

Prof. Weis:
Die Kommunikation ist für die Arzt-Patienten-Beziehung ein ganz zentrales Thema. Hierbei sind nicht nur kommunikative Fertigkeiten gemeint, sondern auch eine patientenzentrierte Haltung des Arztes und eine psychosoziale Basiskompetenz. Das heißt, der Arzt sollte in der Lage sein, die Nöte und Sorgen, die Probleme des Patienten wahrzunehmen und zu verstehen und sich empathisch mit ihm darüber zu verständigen.

DZO: Stichwort Empathie: Kann man diese Fähigkeit Ihrer Meinung nach erlernen?

Prof. Weis:
Ja, ein ganz klares Ja. Die Schulungen für kommunikative Kompetenz bei Ärzten umfassen aufbauend auf dem Modell der patientenzentrierten Kommunikation die Fähigkeit zur Wahrnehmung sowie Einschätzung der psychischen Befindlichkeit des Patienten. Empathie ist neben dem aktiven Zuhören eine ganz wichtige Kerndimension. Das bedeutet, dass ich als Therapeut in der Lage bin, mich in den Patienten hineinzuversetzen. Dass ich verstehe, was ihn bewegt, was er für Befürchtungen und Sorgen hat. Empathie ist vor allem die Fähigkeit, diese Sorgen in der Kommunikation dem Patienten zurück zu spiegeln, ohne sich mit dem Patienten zu sehr zu identifizieren. Das macht die Professionalität in der Arzt-Patienten-Beziehung aus. Aus Patientensicht bedeutet dies wiederum, dass der Patient merkt, mein Gegenüber, der Arzt, hat verstanden, um was es mir geht. Und er versteht mich nicht nur intellektuell kognitiv, sondern er versteht auch meine ganz persönliche Situation.

DZO: Genau diese Fähigkeiten sind ja ein Kernpunkt von Therapieentscheidungen (Stichwort „shared decision making“).

Prof. Weis:
Ja, für die gemeinsame Entscheidungsfindung ist die kommunikative Fertigkeit eine ganz wichtige Voraussetzung. Das kann im Gespräch so aussehen, dass man erst einmal Informationen gibt, dass man dann exploriert, hat der Patient das verstanden, gibt es bestimmte Belastungen, die den Patienten beeinflussen, z. B. das Aufspüren von Ängsten. Wenn es um gleichwertige Therapieansätze geht, bedeutet dies vor allem auch, ob der Patient die Vor- und Nachteile der jeweiligen Therapieoptionen verstanden hat und ob eine bestimmte Therapieoption bevorzugt wird.

DZO: Faktor Zeit: Meinen Sie, dass diese Form der Kommunikation im Praxisalltag zu schaffen ist? Wie viel Zeit ist für ein solches Gespräch notwendig?

Prof. Weis:
Je komplexer die Informationen sind und je komplizierter die Therapieentscheidung ist, umso zeitintensiver ist ein solches Gespräch. Aber ich würde ein Gespräch nicht nur an der Quantität festmachen. Wir wissen aus Studien, je besser die kommunikativen Fertigkeiten eines Arztes sind, umso effektiver ist das Gespräch. Aufklärung ist ein Prozess, daher ist es oftmals besser, mehrere kürzere Gespräche zu führen und dem Patienten die Gelegenheit zu geben, noch einmal darüber zu schlafen und seine Fragen aufzuschreiben. Das hilft dem Patienten, sich über seine Situation und die anstehenden Entscheidungen klar zu werden. Das ist gut investierte Zeit seitens des Arztes, denn es braucht im Verlauf gesehen oft mehr Zeit, wenn die Aufklärung ungenügend ist, Missverständnisse entstehen und der Patient kein Vertrauensverhältnis zum Arzt aufbauen kann.

DZO: Der von Krebspatienten geprägte Begriff Patientenkompetenz bezieht sich auf die Frage, was Patienten selbst zur Krankheitsbewältigung tun können. Wo sehen Sie in der heutigen Medizinlandschaft Angriffspunkte, um die eigenen Ressourcen zur Krankheitsbewältigung gezielt zu fördern? 

Prof. Weis:
Nur wenn der gut informierte Patient in der Lage ist, durch Rückfragen seine Unklarheiten zu klären, wird eine gemeinsame Entscheidungsfindung überhaupt erst möglich gemacht. Wichtig ist es dabei, dass der Patient auch in seiner psychosozialen Situation verstanden wird und eine Anlaufstelle im Bereich der Psychoonkologie hat. Die Patienten sind ja im gesamten Verlauf der Erkrankung mit neuen Entscheidungssituationen konfrontiert. Der Arzt ist nicht nur als Techniker gefordert, sondern als der Mensch, der den Patienten begleitet und zu dem der Patient Vertrauen entwickeln kann. Er hat dadurch eine Lotsenfunktion, braucht aber auch den Experten aus dem Bereich der Psychoonkologie zu seiner Entlastung und Unterstützung. Da in vielen Zentren die Psychoonkologie noch kein fester Baustein ist, kommt dem behandelnden Arzt eine wichtige Bedeutung zu.

DZO: Gibt es schon erste Erkenntnisse aus der Forschung? Kann eine gute Arzt-Patienten-Beziehung überhaupt gemessen werden?

Prof. Weis:
Es gibt inzwischen eine Vielzahl an Fragebögen und qualitativen Auswertungstechniken, die speziell darauf abgestimmt sind, die Merkmale der Arzt-Patienten-Kommunikation möglichst valide und reliabel einzuschätzen. Diese Instrumente werden übrigens auch in der Evaluation der Schulungsmaßnahmen für Ärzte zur Verbesserung der kommunikativen Kompetenz eingesetzt.

DZO: Welche Herausforderungen erwarten Sie für die Zukunft in diesem Forschungsgebiet?

Prof. Weis:
In der Onkologie ist die partizipative Entscheidungsfindung noch sehr in den Anfängen. In der Onkologie haben wir durch die Leitlinien orientierte Behandlung und das interdisziplinäre Tumorboard eine ganz besondere Situation. So bekommen die meisten Patienten bereits durch das Tumorboard eine Empfehlung. Wichtig ist dann im weiteren Vorgehen, wie der behandelnde Arzt damit umgeht: Gibt er die Empfehlung als fertige Entscheidung an den Patienten weiter oder wird dieser Prozess gemeinsam besprochen? Letzteres Vorgehen ist besonders in nicht kurativen Situationen mit mehreren Behandlungsmöglichkeiten empfehlenswert. Hier ist es wichtig, dem Patienten plausibel eine Risikoabwägung darzulegen und aufzuzeigen, welche Therapien mit welchem Nutzen und mit welchen Einschränkungen der Lebensqualität verbunden sind. Diese Entscheidungsprozesse sind oftmals sehr komplex. Daher ist es die größte Herausforderung für die nächste Zukunft, beide Strukturen, die Leitlinienorientierung mit der individuellen Situation und den individuellen Bedürfnissen des Patienten zusammenzubringen. Die Ausbildung der Ärzte diesbezüglich muss idealerweise schon in der Grundausbildung beginnen und dann in der ärztlichen Weiterbildung fortgeführt werden. Diese Forderungen werden auch im Nationalen Krebsplan in der Arbeitsgruppe Patientenorientierung aufgestellt.

DZO: Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Was tun Sie für sich, um gesund zu bleiben?

Prof. Weis:
Ich versuche mein seelisches Gleichgewicht über musische Aktivitäten zu erhalten. Von der körperlichen Seite bin ich sportlich sehr aktiv: ich fahre Mountainbike und gehe viel Bergwandern.