Suchttherapie 2011; 12(04): 152-158
DOI: 10.1055/s-0031-1284346
Schwerpunktthema
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Eine ethische Bewertung von Neuroenhancement

An Ethical Evaluation of Neuroenhancement
R. Kipke
1   Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW), der Universität, Tübingen
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Publication Date:
14 October 2011 (online)

Zusammenfassung

Ziel des Aufsatzes ist eine wohlbegründete, möglichst umfassende und zugleich präzise ethische Bewertung von Neuroenhancement. Dazu untersucht er unterschiedliche Aspekte wie die Wirksamkeit und Nebenwirkungen von Neuroenhancern, die Frage nach dem Ziel der Selbstverbesserung, der menschlichen Natur und der Natürlichkeit, das Prinzip der Autonomie, soziale Auswirkungen sowie die Frage nach dem gelingenden Leben. Zentrale Argumente der ethischen Diskussion werden diskutiert und die Vor- und Nachteile von Neuroenhancement abgewogen. Das Ergebnis ist, dass manche der oft vorgebrachten Argumente gegen Neuroenhancement auf schwachen Füßen stehen, das Prinzip der individuellen Autonomie eine zentrale Rolle spielen muss und gravierende Einwände hinsichtlich des gelingenden Lebens der Nutzer zu erheben sind. Trotz dieser Einwände lassen sich keine kategorischen moralischen Argumente gegen Neuroenhancement anbringen, die die Kraft hätten, ein Verbot zu begründen. Dennoch lässt sich mit guten Gründen von Neuroenhancement abraten.

Abstract

The aim of the paper is a well-founded, both comprehensive and precise ethical assessment of neuroenhancement. To this end, it examines different aspects such as the efficacy and side effects of neuroenhancers, the question of the goal of self-improvement, of human nature and naturalness, the principle of autonomy, the social impact and the question of the good human life. It discusses central arguments of the ethical debate and weighs the pros and cons of neuroenhancement. The result is: Some of the oft-repeated arguments against neuroenhancement are quite weak, the principle of individual autonomy has to play a central role and serious objections have to be raised in regard to the social impact of neuroenhancement and to the idea of the good life of the users. Despite these objections there cannot be found strong moral argument against neuroenhancement that would have the strength to justify a prohibition of it. Nonetheless, there are good reasons to advise against neuroenhancement.

 
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