PPH 2011; 17(3): 119-120
DOI: 10.1055/s-0031-1279792
PPH|Szene
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Otto-Wagner-Spital, Wien

Patrick Zamariàn
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Publication Date:
21 May 2011 (online)

Der reformerische Optimismus, der den Bau neuer psychiatrischer Einrichtungen befördert hatte, war zur Zeit der Jahrhundertwende weitgehend verflogen. Die 1907 außerhalb Wiens errichtete Niederösterreichische Landes-Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Geisteskranke Am Steinhof (heute: Otto-Wagner-Spital) war ein gezielter Versuch, der zunehmenden gesellschaftlichen Marginalisierung nicht nur der chronisch überfüllten Anstalten, sondern der Psychiatrie als solcher entgegenzuwirken.

Die Bezeichnung „Irrenanstalt” wurde aufgehoben und das Behandlungsspektrum von psychischen Erkrankungen im engeren Sinne auf die weitverbreiteten Nervenleiden, mit denen sich die breite Öffentlichkeit leichter identifizieren konnte, erweitert. In architektonischer Hinsicht sollte jede Assoziation mit Strafanstalten gezielt vermieden werden. Zwar wurde die Trennung nach Geschlechtern ebenso wie die Abstufung nach Krankheitsgrad beibehalten; die verschiedenen Abteilungen wurden aber statt in einer kompakten Monumentalstruktur auf zahlreiche villenartige Einzelbauten verteilt, die über einen weitläufigen Landschaftsgarten miteinander verbunden waren.

Die wesentlichen Parameter der Anlage waren von den Fachleuten festgelegt worden, bevor die Frage nach der baulichen Gestaltung ernsthaft zur Debatte stand. Umso erstaunlicher mutet es an, dass sich mit Otto Wagner einer der führenden Architekten des Landes auf eigene Veranlassung in den laufenden Planungsprozess einschaltete. Als Professor an der Akademie der Bildenden Künste hatte Wagner maßgeblichen Einfluss auf die Wiener Secession, eine avantgardistische Künstlervereinigung, die sich gegen den omnipräsenten, als elitär empfundenen Historismus wandte und eine ästhetische Durchdringung sämtlicher Aspekte modernen Lebens anstrebte. Die Vorstellungen kreisten um die Vision einer Idealstadt, in der sich die von Grund auf revidierte moderne Gesellschaft im Sinne eines Gesamtkunstwerks manifestieren würde. Es besteht kein Zweifel daran, dass Wagner in dem für mehrere Tausend Menschen angelegten Spitalkomplex auf der Baumgartner Höhe eine Möglichkeit erkannte, diese Utopie einer idealen Gemeinschaft in großem Maßstab zu verwirklichen.

Das Landesbauamt hatte für das Gelände einen Bebauungsplan erarbeitet, der administrative und gemeinschaftliche Bauten entlang einer kontinuierlich ansteigenden zentralen Achse gruppierte. Die Patientenhäuser waren zu beiden Seiten scheinbar beliebig über das Gelände verstreut, ergänzt in nordöstlicher Richtung durch Werkstätten und landwirtschaftliche Gebäude, in südwestlicher durch das Sanatorium, das der Behandlung von Nervenkrankheiten diente. Wagner übernahm – gezwungenermaßen – die räumliche Gliederung des Plans, legte ihm aber ein penibel durchdachtes Wegenetz zu Grunde, das über aufwändige Terrassierungen eine gleichmäßige Verteilung und Ausrichtung der „Villen” erlaubte.

Die vergleichsweise unprätentiösen kubischen Bauten waren gestalterisch von untergeordneter Bedeutung und wurden von Architekten des Landesbauamts – nach genauen stilistischen Vorgaben Wagners wohlgemerkt – umgesetzt. Der Meister selbst entwarf als Abschluss der zentralen Achse und weithin sichtbares Wahrzeichen der „Weißen Stadt” die mit Marmor verkleidete, von einer überdimensionierten goldenen Kuppel gekrönte Kirche St. Leopold. Sie gilt heute als wichtigster Sakralbau des Wiener Jugendstils und ist zum Pilgerort für Architekturinteressierte aus aller Welt geworden.

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