PiD - Psychotherapie im Dialog 2011; 12(2): 183
DOI: 10.1055/s-0031-1276825
Im Dialog
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

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Maria  Borcsa
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Publication History

Publication Date:
14 June 2011 (online)

Friederike Potreck-Rose: Von der Freude, den Selbstwert zu stärken.
Stuttgart: Klett-Cotta, 2010.

Harlich H. Stavemann: … und ständig tickt die Selbstwertbombe. Selbstwertprobleme erkennen und lösen.
Weinheim: Beltz, 2011.

Die Titel sind Programm: Während Friederike Potreck-Rose (in der sechsten Auflage!) „Von der Freude, den Selbstwert zu stärken” schreibt, „… tickt die Selbstwertbombe” im Buch von Harlich H. Stavemann (und zudem noch „ständig”!). Was will uns das sagen? Denn wenn der Titel des zweiten hier besprochenen Buches es an Dringlichkeit, ja Dramatik kaum vermissen lässt, uns an unser Handeln-Müssen gemahnt, so beginnt das Buch der erstgenannten Autorin mit einem Kapitel über das Innehalten und Ruhe-Bewahren. Und doch soll es um dasselbe (oder vielmehr: gleiche) Phänomen gehen – den Selbstwert. Beide Bücher wenden sich explizit an einen LeserInnenkreis, der von sich sagt, er möchte etwas an sich ändern – nämlich das persönliche Erleben, (in) dieser Welt nicht zu genügen. Doch wovon können die Leser und Leserinnen in diesen beiden Büchern profitieren? Schauen wir etwas genauer hin: Bei Potreck-Rose wählen wir zunächst – achtsam vorbereitet – einen „wohlwollenden Begleiter”, „mäßigen” nachfolgend „den inneren Kritiker” und „rehabilitieren” den „Faulpelz” in uns. Darauf erhalten wir Anregungen, wie diese drei Typen ein „Team” werden können. Weitere Rolleneinladungen finden wir im nächsten Kapitel, wenn es darum geht, dass wir uns „selbst Vater und Mutter werden”. Und für die weitere Lebensreise gilt es schließlich „die Schatzkiste (zu) füllen und den Weg zu ihr frei(zu)halten”. Ganz anders bei Stavemann – dort lauten die Kapitelüberschriften: „Selbstwertkonzepte”, „Selbstwertbomben und ihre Auswirkungen”, „Eigene Selbstwertbomben erkennen”, „Das Ziel: Gesunde Selbstkonzepte und Selbstbewertungen”, „Eigene Selbstwertbomben entschärfen” und schließlich „Neue Selbstkonzepte und Selbstbewertungen leben lernen”. Da fragt man sich doch, wer welche Metaphern zu welchem Zwecke einsetzt?!

Lassen wir mal dem Herrn den Vortritt: Dessen Buch hat den Untertitel „Selbstwertprobleme erkennen und lösen” und spiegelt damit die diagnostische Grundhaltung, auf der die (Selbst-)Interventionen aufbauen. In der Einleitung wird „Selbstwertproblem” definiert, wobei ein besonderes Augenmerk auf die „krank machenden Denkweisen” gelegt wird, was bei einem kognitiven Verhaltenstherapeuten nicht überrascht. Denn, so der Klappentext, das Buch sei „einsetzbar zur Selbsthilfe oder begleitend zur psychotherapeutischen Behandlung, insbesondere mittels der kognitiven Verhaltenstherapie”. Anhand von zwei Fallbeispielen – Ida Immerfröhlich (beliebtheitsorientierte Selbstwertproblematik) und Walter Wichtig (leistungsorientierte Selbstwertproblematik) – können wir unsere „Selbstwertbomben” auffinden und sie mit kognitiven Checks „entschärfen”. Das Erlernen neuer Selbstbewertungen geschieht dann mit „Übungsleitern”, mit deren Hilfe sich auch Ida und Walter prototypisch immer stärker selbstwertgefährdenden Situationen aussetzen (statt sie – wie bisher – ja, genau: zu vermeiden). Also ein Trainingsbuch – will es auch sein. Dabei voller reichhaltiger Informationen über den Ansatz an sich (ideal für AusbildungskandidatInnen und deren Selbsterfahrung!), sehr gründlich, manchmal vielleicht zu akademisch; der Leser wird insgesamt weniger direkt angesprochen, meist geht es um „Menschen” als Objekte der (Selbst-)Behandlung.

Potreck-Rose setzt hingegen auf Dialog: direkte Ansprache des Lesers bzw. der Leserin, vorweggenommene Einwände („Genügt es nicht, werden Sie vielleicht fragen …”) bis hin zu schriftlich angeleiteten Fantasiereisen. Dadurch entstehen Ansätze einer Beziehung zur Autorin (nebenbei bemerkt: ein Phänomen, das sich in der Medienpsychologie „parasoziale Beziehung” nennt und erklären hilft, wieso sich Menschen in bzw. mithilfe von Massenmedien beraten lassen). Dieser dialogische Stil passt zum Anliegen des Buches, das als „Aussöhnung” mit sich selbst umschrieben werden kann. Dem übergeordneten Ziel dienen dabei auch die Aufgaben, die als Vorschläge formuliert sind; die Beschäftigung mit sich selbst auf eine entschleunigte Weise ermöglicht überhaupt erst aus dem Automatismus der Selbstabwertung herauszutreten und neue Aspekte der Persönlichkeit an sich (wieder) zu entdecken und an sich schätzen zu lernen.

Und das ist der kategoriale Unterschied zwischen diesen beiden Büchern, die gerade dadurch ihre jeweilige Leserschaft finden (werden): Während der eine Ansatz die Struktur beibehält – nämlich erfolgreich im hier beschriebenen Training zu sein, um vom Erfolg unabhängiger zu werden – bemüht sich der andere um einen „Ausstieg”, und damit um einen persönlichen Paradigmenwechsel. Welcher Weg zum Leser bzw. zur Leserin besser passt, wird diese(r) schon nach wenigen Seiten erkennen.

Prof. Dr. Maria Borcsa

Fachbereich Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
Fachhochschule Nordhausen

Weinberghof 4

99734 Nordhausen

Email: borcsa@fh-nordhausen.de

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