Z Sex Forsch 2011; 24(1): 77-83
DOI: 10.1055/s-0031-1271388
KOMMENTAR

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Erwachsene Kinder und Harry Potter als Kinderporno?

Eine neue EU-Richtlinie soll Pornografie, Kunst und Pubertätskomödien verbieten [1] , [2] Helmut Graupner
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Publication Date:
22 March 2011 (online)

Vielfacher Kritik begegnete der EU-Rahmenbeschluss zur Bekämpfung von Kinderpornografie und der sexuellen Ausbeutung von Kindern (2004 / 68 / JI), den die damals noch 15 Mitgliedstaaten 2004 verabschiedet haben. Denn dieser Rahmenbeschluss brachte – nach US-amerikanischem Vorbild – eine bis dahin den meisten europäischen Staaten unbekannte massive Ausdehnung der Strafbarkeit von Darstellungen legaler (jugendlicher) Sexualität (Graupner 1997, 2004 a, 2004 b, 2005, 2010). 

Die Altersgrenze für absolut verbotene „Kinder“pornografie (sexuelle Handlungen und Nacktbilder) wurde mit diesem Rahmenbeschluss auf 18 Jahre festgesetzt, ohne zwischen Kindern und Jugendlichen zu unterscheiden. Mündige und heiratsfähige 17-jährige Jugendliche wurden behandelt wie fünfjährige Kinder. In das Verbot einbezogen wurde auch Pornografie mit DarstellerInnen, die aussehen, als seien sie jünger als 18 Jahre. 

Aufgrund der Kritik, insbesondere der Sexualwissenschaft, wurden die Mitgliedstaaten schließlich ermächtigt (nicht verpflichtet), in drei Fällen Ausnahmen von der absoluten Kriminalisierung vorzusehen (Graupner 2004 b, 2005, 2010): 

(1) bei erwachsenen DarstellerInnen; (2) bei Herstellung und Besitz bloß fiktiver Darstellungen, wenn keine Gefahr der Verbreitung besteht; (3) bei Herstellung und Besitz von Darstellungen Jugendlicher oberhalb des jeweiligen nationalen sexuellen Mündigkeitsalters (in Deutschland und Österreich: 14 Jahre) mit Einverständnis des Jugendlichen und zu dessen persönlichem Gebrauch (z. B. innerhalb einer Beziehung).

Österreich hat von allen diesen Ausnahmen Gebrauch gemacht, Deutschland von den meisten (Graupner 2010). 

Mit der neuen Richtlinie (KOM(2010)94) werden alle diese Ausnahmen gestrichen. Eine Begründung dafür findet sich in den Erläuterungen zum Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission nicht. 

1 Der Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission (KOM(2010)94) als Online-Dokument: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2010:0094:FIN:DE:PDF; Der Gesetzgebungsprozess für die Richtlinie kann hier verfolgt werden: http://ec.europa.eu/prelex/detail_dossier_real.cfm?CL=de&,DosId;=199159.

2 Eine Stellungnahme der deutschsprachigen Fachgesellschaften finden Sie unter: http://www.dgfs.info.

Literatur

  • 1 Graupner H. Der juristische Blick: Sexualität und Recht – zwischen Schutz und Bevormundung.. In: Busch U, Hrsg. Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte – Nationale und internationale Perspektiven.. Baden-Baden: Nomos; 2010: 169-182
  • 2 Graupner H. Das 17-jährige Kind. Jüngste europarechtliche Rahmenbedingungen für Sexualität in den Neuen Medien.. In: Seikowski K, Hrsg. Sexualität und Neue Medien.. Lengerich et.al.: Pabst Science Publishers; 2005: 54-79
  • 3 Graupner H. Sexuality and Human Rights in Europe.  In: Sexuality and Human Rights. A Global Overview.  Co-published simultaneously as: J Homosex. 2005;  48 107-139
  • 4 Graupner H. Sexual Consent. The Criminal Law in Europe and Outside of Europe.  In: Adolescence, Sexuality, and the Criminal Law: Multidisciplinary Perspectives.  Co-published simultaneously as: J Psychol Hum Sex. 2004 a;  16 111-164
  • 5 Graupner H. The 17-Year-Old-Child: An Absurdity of the Late 20th Century.  In: Adolescence, Sexuality, and the Criminal Law: Multidisciplinary Perspectives.  Co-published simultaneously as: J Psychol Hum Sex. 2004 b;  16 111-164
  • 6 Graupner H. Sexualität, Jugendschutz & Menschenrechte. Über das Recht von Kindern und Jugendlichen auf sexuelle Selbstbestimmung.. 2 Bände. Frankfurt / M. et al.: Peter Lang; 1997

1 Der Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission (KOM(2010)94) als Online-Dokument: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2010:0094:FIN:DE:PDF; Der Gesetzgebungsprozess für die Richtlinie kann hier verfolgt werden: http://ec.europa.eu/prelex/detail_dossier_real.cfm?CL=de&,DosId;=199159.

2 Eine Stellungnahme der deutschsprachigen Fachgesellschaften finden Sie unter: http://www.dgfs.info.

3 Der Berichtsentwurf als Online-Dokument: http://www.europarl.europa.eu/meetdocs/2009_2014/documents/libe/pr/837/837120/837120de.pdf

Dr. jur. H. Graupner

Co-Präsident
Österreichische Gesellschaft für Sexualforschung (ÖGS)

Maxingstrasse 22–24 / 4 / 9

A-1130 Wien

Email: hg@graupner.at

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