Z Orthop Unfall 2011; 149(3): 301-307
DOI: 10.1055/s-0030-1270954
Varia

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Strukturiertes Risikomanagement in Krankenhäusern – kommt es doch auf die Größe an?

Clinical Risk Management in German Hospitals – Does Size Really Matter?S. Bohnet-Joschko1 , L. M. Jandeck1 , C. Zippel1 , M. Andersen1 , F. Krummenauer2
  • 1Forschungsgruppe Management im Gesundheitswesen, Universität Witten/Herdecke, Witten
  • 2Institut für Medizinische Biometrie und Epidemiologie, Universität Witten/Herdecke, Witten
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Publication Date:
27 April 2011 (online)

Zusammenfassung

Fragestellung: Zur Steigerung der Patientensicherheit haben deutsche Krankenhäuser in den vergangenen Jahren verschiedene Maßnahmen des klinischen Risikomanagements eingeführt. Besondere Bedeutung kommt dem Einsatz von Critical Incident Reporting Systemen (CIRS) zu, die als Instrument zur Identifizierung von Risiken im Versorgungsalltag ein hohes Potenzial für organisationales Lernen versprechen. Mit einer Befragung von 341 Kliniken im Jahr 2009 sollte Einblick in den aktuellen Stand der Implementierung von CIRS im Vergleich zu anderen Maßnahmen des klinischen Risikomanagements gewonnen werden. Dabei wurde eine Prozesskette abgefragt, welche die Risikostrategie, Methoden der Risikoidentifizierung, Risikoanalyse und ‐bewertung bis zur Risikosteuerung und ‐überwachung abdeckt. Material und Methoden: Im Rahmen strukturierter Telefoninterviews wurden im Jahr 2009 insgesamt 341 Kliniken in Deutschland befragt, in deren Qualitätsbericht zum Berichtsjahr 2006 zuvor definierte Schlüsselbegriffe als Indikatoren zur erfolgten bzw. geplanten Einführung eines klinischen Risikomanagements identifiziert wurden. Als zentrale Fragestellung sollte diese Untersuchung prüfen, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Ausmaß sowie der Ausgestaltung des selbst berichteten Risikomanagements mit der Trägerschaft und/oder der Größe der antwortenden Kliniken gibt. Ergebnisse: Die Einführung von Fehlermeldesystemen (CIRS) stieg seit dem Jahr 2004 kontinuierlich: 54 % der befragten Häuser berichteten zum Zeitpunkt der Befragung über ein implementiertes CIRS, davon 72 % über ein klinikweites System. Dabei war eine Assoziation mit der Trägerschaft nicht nachzuweisen (Fisher p = 1,000), der Einsatzgrad von CIRS nahm jedoch mit der Bettenzahl statistisch signifikant zu (Fisher p = 0,008): Die Implementierung eines CIRS berichteten 38 % der Häuser mit weniger als 100 Betten gegenüber 52 % der Häuser mit 100 bis 500 Betten bzw. 67 % der Häuser mit mehr als 500 Betten. 62 % der Kliniken berichteten das Vorhalten eines für das Risikomanagement zuständigen Gremiums. Allerdings benannten nur 14 % der Kliniken konkrete Methoden, welche im jeweiligen Haus zur Risikoanalyse eingesetzt werden. Weiter benannten 92 % der befragten Häuser Optimierungspotenziale im klinischen Risikomanagement für ihr Haus; 44 % kommunizierten darüber bereits mit externen Beratern. Schlussfolgerung: Während die Identifizierung von Risiken durch CIRS und andere Meldesysteme zunehmend Verbreitung findet, wird das Lernpotenzial aus Melderegistern von Ereignissen noch nicht ausgeschöpft. Es besteht Nachholbedarf im Hinblick auf eine systematische Analyse von Risiken, deren Bewertung und Steuerung; dies wird nur über eine bessere Verankerung in der Organisationsstruktur der Krankenhäuser zu erreichen sein.

Abstract

Purpose: In the last years, German hospitals have implemented different measures to increase patient safety. Special importance has been attached to near miss reporting systems (critical incident reporting system, CIRS) as instruments for risk identification in health care, instruments that promise high potential for organisational learning. To gain insight into the current status of critical incident reporting systems and other instruments for clinical risk management, a survey among 341 hospitals was carried out in 2009. Questions covered a process of six steps: from risk strategy to methods for risk identification, to risk analysis and risk assessment, to risk controlling and risk monitoring. Material and Methods: Structured telephone interviews were conducted with 341 German hospitals, featuring in their statutory quality reports certain predefined key terms that indicated the concluded or planned implementation of clinical risk management. The main objective of those interviews was to check the relation between status/organisation of self-reported risk management and both operator (private, public, NPO) and size of hospital. Results: The implementation of near miss reporting systems (CIRS) in German hospitals has been constantly rising since 2004: in 2009, 54 % of the interviewed hospitals reported an implemented CIRS; of these, 72 % reported the system to be hospital-wide. An association between CIRS and private, public or NPO-operator could not be detected (Fisher p = 1.000); however, the degree of CIRS implementation was significantly increasing with the size of the hospital, i.e., the number of beds (Fisher p = 0.008): only 38 % of the hospitals with less than 100 beds reported CIRS implementation against 52 % of those between 100 to 500 beds, and 67 % of those with more than 500 beds. While 62 % of the hospitals interviewed reported the maintenance of a risk management committee, only 14 % reported the implementation of risk analysing techniques. As to clinical risk management, 92 % of the hospitals see potential for internal improvement; 44 % have already communicated with external consultants. Conclusion: While identification of clinical risks with near miss and other incident reporting systems meets increasing acceptance, the learning potential based on incident reporting is not yet appropriately being used. There is a deficit regarding systematic and comprehensive risk assessment and controlling; this will have to be met by improving the organisational framework for clinical risk management.

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Prof. Dr. Sabine Bohnet-Joschko

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