Balint Journal 2010; 11(1): 1-2
DOI: 10.1055/s-0030-1247303
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart ˙ New York

Editorial

Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
16. März 2010 (online)

Liebe Leserin, lieber Leser, 

Mit diesem Heft beginnt der 11. Jahrgang des ­Balint Journals, Ihrem Journal, denn ohne Ihre Unterstützung, für die wir Ihnen auch an dieser Stelle herzlichen Dank sagen, hätten wir diesen stolzen Geburtstag nie feiern können, eine Geburtstagsfeier für all diejenigen, die sich der Balintarbeit als einer Möglichkeit des lebenslangen Lernens gestellt haben, aber auch eine Geburtstagsfeier für Studentinnen und Studenten der Medizin. „You are beautiful“ – so beginnt Jan R. Ludwig, einer der studentischen Autoren seinen kleinen Essay für den Balint-Preis, der seit vielen Jahren von der Stiftung für Sozialmedizin und Psychosomatik in Ascona und von der Internationalen Balint Fedaration ausgeschrieben wird.

In der Vergangenheit haben wir immer wieder die eine oder andere preisgekrönte Arbeit in ­diesem Journal abgedruckt. Derzeit bereiten wir ein Buch mit englischsprachigen Arbeiten vor, in diesem Heft aber möchten wir Sie mit einigen deutschsprachigen Arbeiten junger Studentinnen und Studenten bekannt machen, die von ihren ersten Begegnungen mit Patienten in Kliniken oder Praxen erzählen. Auch wenn sie keinen Preis bekamen, so schienen uns ihre Arbeiten doch so interessant und bewegend, dass wir sie Ihnen hier gerne vorstellen möchten. Die Arbeiten sind beispielhaft für die ersten Erfahrungen der Studentinnen oder Studenten bei einer Begegnung mit einer Patientin, einem Patienten. Unterschiedlich sind die Erfahrungen. Ein erstsemestriger Student macht andere Erfahrungen als jemand im 3. oder 4. Studienjahr. Anders sind die Erfahrungen, die man im eigenen Lande macht oder in Übersee, z. B. in Afrika. Um Ihnen einen kleinen Vorgeschmack zu geben, wollen wir hier kurz darauf eingehen.

Judith Weinknecht schreibt über die erste Begegnung mit einer Patientin in der Psychiatrie. „Die Patientin erscheint in einem klaren Bild und wird immer geheimnisvoller, verwirrender für die Studentin. Die Deskription führt immer zugleich zur Selbstreflexion. Die Begegnung wird stufenweise rekonstruiert und wortgewandt ­geschildert. Die Peergruppe ist immer im Hintergrund, dann in Aktion … Die Reflexionen zur ­medizinischen Ausbildung sowie die philosophischen Überlegungen gegen Schluss entsprechen dem Niveau der ganzen Arbeit …“ (D. Ritschl) Uns gefiel die klare Darstellung des Kontextes, in dem diese Begegnung stattfindet. Es gibt wenige Arbeit, die in derartig knapper und klarer Form den Rahmen und die Arbeit in einer Anamnesegruppe vorstellen.

David Wiesenäcker: Atu „Meine Patientin ist tot“. Mit diesem Satz beginnt D. W. seinen Essay. Atu, die 32-jährige afrikanische Frau und Mutter von vier gesunden Kindern starb bei der 5. Entbindung, einem einfachen Kaiserschnitt. Sie wollte zuhause entbinden, kam spät in die Klinik – zu spät. Wut steigt in dem jungen Studenten auf, ­Ärger und Verzweiflung, Fassungslosigkeit. Er hält inne: Was hat mich bewegt in einem fernen Land zu famulieren, in dem die medizinische Versorgung noch in den Kinderschuhen steckt? War es nicht auch die Erkenntnis, dass wir in einem Schlaraffenland der Medizin leben, das jeglichen Vergleich mit den anderen Ländern unmöglich macht? Das wollte er doch erleben und kennenlernen.

Er reflektiert sein bisheriges Studium. Natürlich ist ihm der Tod begegnet – in der Anatomie, in der Pathologie, der Rechtsmedizin. Und dann kommt er auf einen wesentlichen Punkt:

Eine Dienstleistungsgesellschaft, die sich Tod und Trauer einfach nicht leisten will. Muss man nicht erst die eigene Todeserfahrung bzw. die von Nahestehenden durchgemacht haben, um zu verstehen, was da eigentlich passiert? Er meint, dass seine Erfahrungen in einem anderen System, in einem der ärmsten Länder dieser Welt ihm geholfen hätten, mit dem Tod die Ganzheitlichkeit des Menschen zu begreifen, fernab von Palliativmedizin den Tod als etwas dazugehöriges zu begreifen – und dass der Patient den Arzt als Begleiter braucht!

Eine sehr nachdenkliche, bewegende Arbeit. Wie bei einigen anderen Arbeiten aus verschiedenen Ländern, fällt auf, dass der Student eine Patienten Begegnung in einem fernen Land bespricht. Das sind Beispiele für die Globalisierung, die sich auch im Medizinstudium bemerkbar macht. Dem sollten wir auch von Seiten der Balint Gesellschaft in Zukunft mehr Aufmerksamkeit schenken als bisher.

Jan R. Ludwig beschreibt in „You are beautiful“ eine Patient-Student-Beziehung im Status nascendi. Der Student steht zu seiner Unsicherheit als ­Anfänger und das ist mehr als berechtigt, aber er reagiert spontan und richtig auf die Not der Frau bei der OP und auch auf das, was sie bewegt und mit ihm besprechen möchte. Mit seiner Einleitung, die er am Ende wieder aufnimmt, gelingt ihm ein schönes Stimmungsbild.

Katharina Flemming („Wenn aus ­Patienten Organe werden“) reichte eine sehr feinfühlige Arbeit ein, in der sie mehrere Studentin-Patient-Beziehungen aufgreift. Deutlich dabei wird ihr innerer Suchprozess um den eigenen Platz, des sie später als Ärztin einnehmen wird. Wie kann man sich selbst treu bleiben und die Würde des Patienten achten? Konflikte werden benannt, aber es sind nicht die zwischen dem Studenten und dem Patienten, sondern die zwischen den Erwartungen der Studentin an die Medi­zin und die Realisierungen, die sie in einem operativen Fach erlebt. Das Problem ist das Nicht-Ansprechen dieser Störung. Die Arbeit steht für das, was wir empathy based medicine nennen können.

Könnte das nicht auch ein Motto für unsere Balintarbeit sein?
Ihre Redaktion

Redaktion Balintjournal 

    >