PiD - Psychotherapie im Dialog 2009; 10(2): 99-100
DOI: 10.1055/s-0029-1223290
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Hellwach beim Thema Schlafstörungen

Michael  Broda, Barbara  Stein, Hans-Günter  Weeß
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
01. Juli 2009 (online)

Kaum ein Lebensbereich unserer Patienten und Patientinnen nimmt so viel Zeit in Anspruch und findet dabei in Therapien so wenig Beachtung wie der Schlaf. Grund genug für uns Herausgeber, zwei Bereiche in ein sich hoffentlich befruchtendes thematisches Gespräch zu bringen, die sich in den letzten Jahren offensichtlich aus den Augen verloren hatten: die Psychotherapie und die Schlafforschung. Wenn wir PsychotherapeutInnen uns selbstkritisch fragen, wie viele unserer PatientInnen unter Schlafproblemen leiden, so ist es eine bedeutsam große Zahl. Wenn wir reflektieren, was wir ihnen diesbezüglich zu bieten haben, ist es oft ziemlich wenig. Die Schlafforscher in ihren Schlaflabors verfügen andererseits oftmals nicht über die breite psychotherapeutische Erfahrung, um beide Bereiche miteinander zu verbinden.

In diesem Heft wollen wir den Versuch machen, den psychotherapeutisch arbeitenden KollegInnen den Stand der Schlafforschung vorzustellen – wohl wissend, dass sich nicht alles sofort in therapeutische Konsequenzen umsetzen lässt. Unserem Mit- und Gastherausgeber, Hans-Günter Weeß, haben wir es zu verdanken, dass wir einige der führenden Schlafmediziner und Psychologen auf dem Gebiet des Schlafes und seiner Störungen gewinnen konnten. Sie liefern uns Beiträge zu ihren jeweiligen Schwerpunkten. Doch nicht nur zum Thema Schlaf, sondern auch zu Aktivitäten des Gehirns in verschiedenen Phasen, wie den Träumen, haben wir Informatives und vielleicht dem einen oder anderen auch unbekanntes Material zusammengetragen. Wir hoffen, dass Sie, liebe LeserInnen, dieses Heft als eine Art Materialsammlung zur Schlaf- und Traumforschung zur eigenen Fortbildung nutzen können, um die Versorgung Ihrer PatientInnen weiter zu verbessern.

Wie kam es eigentlich zu dieser Entwicklung, dass es zwischen diesen beiden Richtungen, Psychotherapie und Schlafforschung, so wenige Berührungspunkte gibt?

Dazu ein kleiner Exkurs in die Geschichte der Schlafforschung. Schlaf und Traum beschäftigen die Menschen, seit sie begonnen haben, sich selbst und ihr Leben zu reflektieren. Der Schlaf wurde lange als passiver, inaktiver, gar nutzloser Zustand angesehen. In der griechischen Mythologie wurde diese Vorstellung beispielsweise durch Hypnos, den Gott des Schlafes, personifiziert, der als Bruder eng mit Thanatos, dem Gott des Todes, verbunden war. Passivität und Inaktivität finden sich ebenfalls im altgermanischen Ursprung des Wortes „schlafen”, was ursprünglich „schlapp werden” bedeutete.

In der Antike führten Aristoteles und später Galen den Schlaf auf Veränderungen im Gehirn z. B. durch eine Verdickung des Blutes zurück. Sie sahen die Funktion des Schlafes darin, dem Gehirn Erholung zu gewähren und sowohl die Wahrnehmungsfähigkeit als auch die „innere Wärme” zu regenerieren. Mit dem Schlaf beschäftigte sich die Medizin in der Folge lediglich auf der Basis der antiken Texte und deren Auslegung. Mit den Experimenten von Jouvet und Moruzzi u. Magoun in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde jedoch deutlich, dass der Schlaf einen hochaktiven Prozess und einen eigenen Bewusstseinszustand des menschlichen Organismus darstellt.

1929 publizierte der Psychiater Hans Berger aus Jena das von ihm erfundene Verfahren der Elektroenzephalografie (EEG), welche es schließlich ermöglichte, die hirnelektrische Aktivität an der unversehrten Kopfhaut sowohl im Wachen als auch während des Schlafs zu messen. Diese Entdeckung gilt als der Beginn der modernen Schlafforschung. Mit der Entdeckung der schnellen Augenbewegungen (Rapid Eye Movement, REM) im Jahre 1953 durch Aserinsky und Kleitman gelang es erstmals, den REM-Schlaf (umgangssprachlich: Traumschlaf) zu beschreiben. Durch diese Entdeckung wurde kurzzeitig das Interesse von vor allem tiefenpsychologischen Schulen an der Schlaf- und Traumforschung geweckt.

Basierend auf der Registrierung von EEG, Elektrokulografie (EOG) und Elektromyografie (EMG) während des Schlafes wurden 1968 von einer Expertengruppe um Rechtschaffen und Kales in den USA erste allgemein anerkannte Kriterien für die Beschreibung des Schlafes und seiner Störungen beim Menschen veröffentlicht. Die Psychologie hat dazu ihren wesentlichen Beitrag geliefert. Durch zunehmend fortschreitende (computer-)technische Möglichkeiten war es in den Folgejahren möglich, den Schlaf ohne wesentliche Störung des Schläfers zu untersuchen. Der wissenschaftliche und klinische Erkenntnisstand ist in der Folge sprunghaft angestiegen. Möglicherweise ist es gerade der zunehmenden „Technisierung” der Schlafforschung zuzuschreiben, dass vor allem den für die Behandlung vieler Schlafstörungen notwendigen psychotherapeutischen Schulen der Zugang zu den Erkenntnissen der Schlafforschung verloren ging.

Das Wissen um die Behandlung von Schlafstörungen hat sich in Europa, und vor allem in Deutschland, weit verbreitet. Gegenwärtig besitzt die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) knapp 3000 Mitglieder aus vor allem medizinischen, aber auch psychologischen Fachgebieten und mehr als 300 akkreditierte Schlafzentren. Entsprechend dem multifaktoriellen Bedingungsgefüge vieler Schlafstörungen setzen sich die Mitglieder der Fachgesellschaft aus den unterschiedlichsten Professionen zusammen. Klassifikationssysteme für mehr als 80 zu unterscheidende Schlafstörungen, Qualitätsstandards, Leitlinien, Fachzeitschriften und Zusatzqualifikationen (Somnologe, Arzt für Schlafmedizin) wurden entwickelt und im Gesundheitssystem etabliert. Diese zunehmende Spezialisierung hat offensichtlich zu der sich vergrößernden Kluft zu therapeutischen Verfahren geführt – es wäre unser Wunsch, wenn dieses Heft zu einem kleinen Brückenschlag beitragen könnte.

Was erwartet Sie im Heft? Im ersten Teil geht es um die Grundlagen der Schlafmedizin. Was wissen wir über die Funktion des Schlafes und die einzelnen Phasen des Schlafs? Hier geben uns Weeß und Landwehr einen Einblick in die moderne Schlafforschung. Anschließend daran stellen uns Spiegelhalder und Riemann die unterschiedlichen sowohl primären als auch komorbiden Schlafstörungen vor. Zur Diagnostik der Insomnien schließt sich ein Beitrag von Müller an. Dieser Teil fasst das momentane Grundlagenwissen zum Thema Schlaf zusammen und zeigt, in welcher Komplexität dieser Bereich inzwischen in der Forschung – aber auch klinischen Praxis – untersucht wird.

Der zweite Teil beschäftigt sich zum einen mit den Therapiemöglichkeiten. Hier stellt Binder einen psychoedukativen Ansatz mit verhaltenstherapeutischen Bausteinen vor und Steinberg nimmt zu den Möglichkeiten der pharmakologischen Therapie differenziert Stellung. Zum anderen finden sich in diesem Teil zwei Beiträge zum Thema Traum. Boothe referiert die psychoanalytische Traumarbeit, Schredl bezieht sich mehr auf die lerntheoretischen Aspekte des Träumens.

Die speziellen Bereiche beginnen mit der Darstellung der Möglichkeiten eines Schlaflabors. Hier beschreibt Weeß das grundlegende Vorgehen der schlafmedizinischen Untersuchung. Scholz und Horniak erläutern Aspekte einer neurologischen Erkrankung, des Restless-Legs-Syndroms sowie der möglichen therapeutischen Ansätze. Weitere spezifische Störungssyndrome wie die Schlafapnoe (Rühle) und die Narkolepsie (Mayer) werden vorgestellt. Kotterba und Orth beleuchten die Seite der sozialmedizinischen Begutachtung und Zulley stellt Ergebnisse zu Schichtarbeit und Schlafstörungen vor. Wichtig war uns auch (da wir Herausgeber auch Eltern sind), einen Beitrag zu Schlafstörungen im frühen Kindesalter aufzunehmen. Scholtes und Demant geben uns eine Übersicht über diesen Bereich.

Gerne hätten wir beispielsweise einen hochrangigen Politiker interviewt, wie er mit dem Thema Schlaf umgeht. Leider hatten wir bei unserer Suche im sicherlich auch schon beginnenden Wahlkampf keinen Erfolg. So müssen Sie auf das gewohnte Interview verzichten – wir denken aber, dass dieses Heft auch so eine Vielzahl von Beiträgen zur Fortbildung und zum Nachschlagen enthält.

Wir hoffen, dass Sie liebe Leserinnen und Leser als PsychotherapeutInnen zunehmend Interesse an dem Phänomen des Schlafes finden, Anregungen aus diesem Heft für Ihr therapeutisches Arbeiten bekommen und, wie es Müller in seinem Beitrag formuliert, beim Thema Schlafstörungen Ihrer PatientInnen „hellwach” werden.

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