ZFA (Stuttgart) 2008; 84(10): 420
DOI: 10.1055/s-0028-1093346
Nachruf

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Pionier der sprechenden Allgemeinmedizin: Nachruf auf Peter Helmich 28.09.1930–10.08.2008

Jürgen in der Schmittten
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Publication Date:
17 October 2008 (online)

Zwei Jugenderinnerungen haben Peter Helmich zeitlebens geprägt: die Erfahrung der faschis-tischen Bedrohung seiner jüdischen Mutter und die furchtlose Geradlinigkeit seines Vaters, der die Familie auf schmalstem Grat ihr unwahrscheinliches Überleben verdankte.

Nach Medizinstudium und Promotion in München unterbrach er seine Rotationsweiterbildung 1962, um nach dem plötzlichen Tode des Vaters dessen Brüggener Landarztpraxis zu übernehmen. 1969 wagte er eine Gemeinschaftspraxis und wirkte darin als Arzt für Allgemeinmedizin (seit 1977) bis zu seinem Ausscheiden 1991. Er liebte sein Leben als Dorfarzt, als der er seinen Patienten stets mit größter Achtung begegnete. Diese Haltung kam auch in einer Förderung der Selbsthilfebewegung zum Ausdruck, die 1988 in der Initiierung der Brüggener Initiative Selbsthilfe (BIS) gipfelte.

1978 übernahm er einen Lehrauftrag Allgemeinmedizin an der Universitätsklinik Düsseldorf, es folgten Honorarprofessur (1986) und die von ihm geleitete Professur für Allgemeinmedizin (1991 bis 1998), die dank seiner Überzeugungskraft bei der Berufung seines Nachfolgers in ein permanentes Ordinariat umgewandelt wurde.

Als Psychotherapeut (1981) war er überzeugt, dass der allgemeinärztliche Auftrag nur auf dem Boden eines integrativ somato-psycho-sozialen Ansatzes zu leisten ist. Seine seither verfolgte Mission, die Aneignung psychosozialer Kompetenz für Allgemeinärzte zur Regel zu machen, führte zur Zusammenarbeit mit Vordenkern seiner Zeit (Psychosoziale Kompetenz, Springer 1991). Er folgte dem Ruf in Gremien wie der Weiterbildungskommission der Bundesärztekammer, dem Beirat der Carl-Gustav-Carus-Stiftung für Psychosomatische Medizin, dem Murrhardter Kreis (Arztbild der Zukunft, Bleicher Verlag 21995) und dem Sachverständigenrat (1989–1991). Hervorzuheben ist auch seine Schlüsselrolle für Zustandekommen und Entwicklung des Reformstudiengangs Medizin an der Charité.

Peter Helmich war ein Visionär, ein Kreativer. Seine Forschungsprojekte erprobten Anreize, Patienten als Partner und als Experten für ihr Kranksein anzuerkennen (Blutdruck-Selbstkontrolle), oder führten existierende Standards der Behandlung mit Nachdruck in die Regelversorgung ein (Diabetes-Strukturvertrag).

In der Ausbildung forcierte er die Einbeziehung der Allgemeinmedizin in die universitäre Lehre auf Augenhöhe mit den anderen Fächern, als akademischer Lehrer favorisierte er den Kleingruppenunterricht, für den er neben der Patientenvorstellung das Rollenspiel als die ihm gemäße Lehrform entdeckte und weiter entwickelte (50 Rollenspiele, VAS 2003).

Die Weiterbildung zum Allgemeinarzt lag ihm besonders am Herzen. In den 90er Jahren entwickelte er den Vorschlag einer spezifisch strukturierten, fünfjährigen und pool-finanzierten Weiterbildung mit allgemeinärztlichem rotem Faden (Weiterbildung Allgemeinmedizin, Schattauer 1996). 1996 fädelte er mit Unterstützung von Frau Prof. Vittoria Braun mit Politik und Krankenkassen das Initiativprogramm zur finanziellen Förderung der Weiterbildung Allgemeinmedizin ein, das innerhalb der allgemeinärztlichen Gremien bis zur letzten Minute als unrealistischer „Systembruch” teils abgetan, teils bekämpft worden war.

Peter Helmich war ein Pionier und Gründungsvater der deutschen akademischen Allgemeinmedizin. Er war von ihrem primärärztlichen Auftrag zutiefst überzeugt, den zu vertreten ihn mit Freude erfüllte. Aus dieser Haltung heraus hat er dafür geworben, dass dieses Fach sich Qualitätsstandards, Kooperationsbereitschaft und Bescheidenheit zu eigen macht. Mit seiner zutiefst patienten-orientierten Haltung und seiner Wesensferne gegenüber akademischen Eitelkeiten und berufspolitischer Pfründewirtschaft war er ein geschätzter Berater der Politik – in den eigenen Reihen hat er sich hiermit nicht nur Freunde erworben. Dass die allgemeinmedizinischen Führungsgremien sich schließlich darauf einließen, den Hausarzt künftig als „Arzt für Allgemeine und Innere Medizin” firmieren zu lassen, dadurch ohne Not ihren umfassenden primärärztlichen Anspruch sowie nebenbei ihre akademische Unabhängigkeit von der Inneren Medizin in Frage zu stellen und im gleichen Zuge auch noch einer neuerlichen Verschmälerung der allgemeinärztlichen Pflichtweiterbildung zuzustimmen – all dies hat die bestehende Entfremdung zur eigenen Fachvertretung in den letzten Jahren vergrößert.

Seinem ihn nie verlassenden Humor, seiner von Liebe zum Leben durchwirkten Neugierde und seinem unstillbaren Drang, „jeden Tag aufs Neue […] die Welt zu ändern” (aus der Todesanzeige der Familie) hat dies jedoch keinen Abbruch getan. Peter Helmich hat ungeachtet nachlassender Kräfte bis wenige Wochen vor seinem Tode im Austausch mit zahlreichen Kollegen neue Gedanken und Konzepte zur Förderung seiner geliebten Allgemeinmedizin entwickelt; er hat im Kreise seiner Lieben buchstäblich bis zuletzt aus dem Vollen geschöpft und genossen. Seiner Familie und seinen Freunden wird er schmerzlich fehlen; in der wissenschaftlichen Allgemeinmedizin reißt sein Weggang eine klaffende Lücke.

Jürgen in der Schmittten

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Jürgen in der Schmittten

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