Transfusionsmedizin 2024; 14(02): 63-64
DOI: 10.1055/a-2280-1460
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Kommentar Gibt es schon verlässliche Biomarker für Long-COVID?

Nach einer Infektion mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 erholen sich die meisten Menschen rasch, jedoch ca. 5% der infizierten Personen entwickeln unterschiedliche Symptome, (etwa 200 sind beschrieben), die über Monate oder sogar Jahre andauern können. Das Krankheitsbild, als Long-Covid (LC) oder Post-Covid bezeichnet, kann Menschen jeden Alters treffen und nicht nur nach schweren Verläufen, sondern auch nach milden Covid-19-Erkrankungen auftreten. Einheitliche Diagnoseverfahren oder spezifische Biomarker auch zur Prognose von LC fehlen. Ein Team des Universitätsspitals Zürich hat Mitte Januar 2024 eine methodisch umfangreiche Kollaborations-Studie im Fachmagazin „Science“ zu neuen Biomarkern bei LC vorgelegt, die nicht nur die Diagnostik, sondern auch die Therapie dieser multifaktoriellen Erkrankung beflügeln dürfte. Abgesehen von einigen Schwachstellen in dieser Studie sind die von den Autoren favorisierten Pathomechanismen von LC als einem vor allem thrombo-inflammatorischen Geschehen noch nicht hinreichend aufgeklärt. Hier könnten Anmerkungen des Autors aus eigenen Arbeiten zu Nukleinsäure-„Danger-associated molecular patterns“ (DAMPs) einen Beitrag leisten.

Laut WHO-Definition handelt es sich bei LC um einen Krankheitszustand, der vor allem von physischer und kognitiver Belastungsintoleranz geprägt ist, gekennzeichnet durch drei Hauptsymptome wie postvirale Fatigue (u. a. krankhafte Erschöpfung), Atemnot und neurokognitive Störungen. Bisherige Studien aus der klinischen Forschung weisen weiter auf eine Reihe von auch miteinander wechselwirkenden Ursachen in der Pathogenese von LC hin. Zu diesen zählen: Entzündungen, dysreguliertes (angeborenes wie adaptives) Immunsystem und Autoimmunität, Gefäßerkrankungen und Gerinnungsstörungen, Viruspersistenz/Reaktivierung der Virusinfektion, Störungen des Nervensystems, Hormonelle Veränderungen und metabolische Entgleisung des Stoffwechsels. Allerdings fehlen zuverlässige diagnostische Kriterien und kausale Biomarker, ebenso wie heilende Therapien für die weltweit mehr als 65 Millionen betroffenen Menschen.

Eine Studie aus dem Jahre 2023 zum „Immune Profiling“ unter Einsatz der Proteom-Analyse von Patienten-Serumproben und Maschinellem Lernen [1] zeigte eine Korrelation zwischen erhöhten Spiegeln von Interleukin-6 und dem Grad der Erkrankung, eine Dysregulierung verschiedener Gerinnungs- und Fibrinolyse-Faktoren, erhöhte Komplement-Aktivierung sowie gesteigerte Myeloid- und Lymphozyten-Populationen in der Zirkulation der untersuchten 275 Patienten. Auch wurde im Vergleich zu Kontrollgruppen eine deutliche Absenkung der Cortisolspiegel bei LC-Patienten beobachtet, was mit Müdigkeit und Energielosigkeit in Verbindung gebracht werden kann. Es fanden sich bei diesen Personen erhöhte Anti-Epstein-Barr Virus- und Anti-Cytomegalie Virus-IgG-Antikörperspiegel, was auf eine Reaktivierung latenter Herpesviren hindeuten könnte.

Schon 2021 eröffnete eine Forschergruppe ein „COVIDome explorer researcher portal” [2], um den Austausch von Proteom, Multi-omics und massenspektrometrischen Daten sowie. Metabolomics-Daten, Gesamtblut-Transkriptom-Analysen und Zytokin-Profilen zu befördern, immer in Zusammenhang mit den klinischen Ergebnissen der Patienten. Diese Plattform stellt den Nutzern diese Informationen zum neuesten Stand der Diagnostik zur Verfügung, auch um die Suche zu Mechanismen der Pathogenese von COVID-19 und LC zu beflügeln.

Vor diesem Hintergrund und unter Zuhilfenahme weiterer Analyseverfahren zur Identifizierung von mehr als 6500 Proteinen aus den Seren von 113 COVID-19-Infizierten und 39 gesunden Personen mit einem Follow-up der 40 LC entwickelnden Patienten nach 6 und 12 Monaten zeigte die im Science-Magazin im Januar 2024 veröffentlichte Studie [3] eine Dysregulation des Komplementsystems, erhöhte Marker für Gewebeschäden und veränderte Parameter der Blutgerinnung. Zusammen spricht dies für die schon früher postulierte Hypothese einer chronisch thrombo-inflammatorischen Situation der LC Patienten. Verschiedene Aspekte dämpfen allerdings die Euphorie zu dieser Untersuchung: (a) Das Patientenkollektiv ist recht überschaubar, was eine Differenzierung in Subgruppen der Erkrankung (noch) nicht ermöglicht. (b) Viele (Gerinnungs-) Parameter wurden aus Blutserum und nicht aus Plasma bestimmt, was die Daten verfälschen kann. (c) Die erhöhte Komplementaktivierung und der damit verbundene Schaden von körpereigenen Zellen (durch den „Membrane Attack Complex“, MAC) wird nur indirekt gezeigt, wobei die eigentlichen löslichen Vorstufen des MAC (z. B. SC5b-7, S=S-Protein oder Vitronektin) nicht analysiert wurden. (d) Viele der identifizierten Biomarker sind in Standardlaboren nicht etabliert, so dass eine breitflächige Anwendung bzw. eine Übertragung in die Klinik noch nicht gegeben ist. (e) Eine Abgrenzung zur Diagnostik anderer chronischer Entzündungserkrankungen ist durch die angegebene Analytik (noch) nicht möglich.

Forschungsarbeiten aus dem Labor des Autors zeigen, dass Nukleinsäure-DAMPs, vor allem extrazelluläre ribosomale RNA (rex-RNA) [4], nach (Gefäß-) Zellschädigung, Immunaktivierung oder unter Infektionsbedingungen in der Zirkulation oder im Gewebe auftreten und generelle Marker von inflammatorischen Situationen sind. Diese konnten aufgrund ihrer Zytokin-stimulierenden und prothrombotischen Funktionen für verschiedene Entzündungs-bedingte Erkrankungen (auch bei LC?) verantwortlich gemacht werden, wie in zahlreichen präklinischen in vivo Modellen gezeigt wurde. Die Infusion von körpereigener RNase1 konnte die dabei beobachteten Schäden eindämmen bzw. verhindern. Der Parameter rex-RNA wurde bislang in keiner Studie zu COVID-19 oder LC untersucht. Eine auch im Patienten mögliche RNase1-Therapie ist seit Einführung eines langlebigen RNase1-IgG-Fc-Fusionsproteins potentiell möglich [5]. Es bleibt abzuwarten, ob diese bislang ungenutzten Parameter zur weiteren Aufklärung der Pathomechanismen von LC beitragen können.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
08. Mai 2024

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