Geburtshilfe Frauenheilkd 2024; 84(05): 427-430
DOI: 10.1055/a-2237-7117
GebFra Magazin
Der interessante Fall

Maligner Unterbauchtumor oder doch nur ein Schwannom?

Laura Dussan Molinos
,
Martin Heuschmid
,
Joachim Alfer
,
Ann-Kathrin Illig
,
Martina Gropp-Meier
,
Philipp Guttenberg

Falldarstellung

Eine 33-jährige Patientin stellte sich initial mit Überweisung von der niedergelassenen Gynäkologin mit einer unklaren Raumforderung im kleinen Becken vor. Vor 10 Monaten hatte die Patientin über eine geplante Re-Sectio ihr 2. Kind entbunden. Der Befund war im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung aufgefallen, die Patientin asymptomatisch und durch das Stillen noch amenorrhoisch.

In der gynäkologischen Untersuchung zeigte sich eine klar abgrenzbare Raumforderung unklarer Dignität lateral des Uterus mit ca. 5 cm Durchmesser. Der Befund befand sich medial des rechten Ovars scheinbar ohne direkten Kontakt zum Uterus oder zu den Adnexen. Bei nicht genau definierbaren Verhältnissen zu den Nachbarorganen wurde eine Computertomografie (CT) des Abdomens mit Kontrastmittel durchgeführt und zur weiteren Abklärung der Dignität Tumormarker (CA 125 und CEA) und LDH bestimmt.

Die CT des Abdomens zeigte eine 4,5 cm messende rundliche, glatt begrenzte, hyperperfundierte Raumforderung zentral im Unterbauch liegend. In der Bildgebung konnte kein Bezug zum Uterusparenchym oder zur zystisch veränderten Ovarialregion dargestellt werden ([Abb. 1], [Abb. 2], [Abb. 3]). Zudem konnte radiologisch keine eindeutige Entitätsbestimmung erfolgen. Die Tumormarker waren unauffällig.

Zoom Image
Abb. 1 In der CT des Abdomens sieht man im Sagittalschnitt die 48,8 × 45 mm messende rundlich, glatt begrenzte Struktur im zentralen Unterbauch. Ein genauer Bezug zum Uterusparenchym oder der Ovarialregion kann nicht dargestellt werden.
Zoom Image
Abb. 2 Die Nähe zu den umgebenden Strukturen kann man vor allem im Transversalschnitt darstellen. Dass der Tumor im Retroperitoneum liegt, galt in der durchgeführten CT-Bildgebung als wahrscheinlich.
Zoom Image
Abb. 3 In der koronaren Ebene kann die Nähe zur Wirbelsäule und dem Os sacrum besonders gut gesehen werden. Dies erklärt auch, wieso intraoperativ auf eine Laparotomie konvertiert wurde.

Zur weiteren Abklärung erfolgte initial eine operative Laparoskopie. Intraoperativ zeigten sich unauffällige gynäkologische Organe. Kaudal rechts lateral des Os sacrums wölbte sich ein ca. 5 cm messender Tumor hervor, dieser war allseits von Peritoneum glatt bedeckt ([Abb. 4]). Es gab keinen Kontakt zu Nachbarstrukturen des kleinen Beckens oder zum Darm. Zunächst erfolgte die Entnahme einer Spülzytologie aus dem Douglas-Raum. Anschließend konnte durch das Eröffnen des Peritoneums oberhalb des Befundes kaudal des Os sacrums die Raumforderung dargestellt werden. Es zeigte sich ein glatt berandeter, weißlich schimmernder Tumor. Ein Drittel des Tumors konnte laparoskopisch stumpf herausgelöst werden. Ein Schnellschnittpräparat wurde in die Pathologie geschickt.

Zoom Image
Abb. 4 Intraoperative Darstellung der gynäkologischen Organe. a Vor Eröffnen des Peritoneums, b nach Eröffnen des Peritoneums. 1 = Uterus; 2 = Douglas-Raum; 3 = Adnex; 4 = Ovar; 5 = Befund; 6 = Peritoneum; 7 = Darm

Aufgrund der Nähe zum Os sacrum gestaltetet sich die Präparation schwierig, sodass eine Konversion zur Laparotomie über den Pfannenstiel-Querschnitt zur Komplettierung der Operation folgte. Der restliche Tumor konnte stumpf unterhalb des Os sacrum vollständig herausgelöst werden. Es wurden zur Sicherheit einige makroskopisch unauffällige Lymphknoten der Region herauspräpariert. Der Schnellschnitt zeigte einen mesenchymalen Tumor ohne Nekrosen und Mitosen, woraufhin die Operation beendet wurde.

Makroskopisch zeigte die Schnittfläche des Präparats teils gelb-orangefarbene, teils grau-schwarze abgekapselte, knotige Gewebsstücke. Differenzialdiagnostisch erinnerte der Befund an Uterusmyome. Mikroskopisch zeigte sich ein mesenchymales Tumorproliferat mit wirbelartig angeordneten Zellen und länglich-ovalen Zellkernen ohne Mitosen oder Nekrosen. Die endgültige histologische Untersuchung mit Immunhistochemie (nukleäre Positivität für S100) ergab die Diagnose eines zellreichen Schwannoms ohne Hinweis auf Malignität ([Abb. 5] und [Abb. 6]).

Zoom Image
Abb. 5 a S100-Antigen 100× vergrößert, b 400× vergrößert. Nach histopathologischer Untersuchung mit Immunhistochemie konnte die Diagnose final festgelegt werden. Es zeigt sich das typische Antigenexpressionsmuster für das S100-Antigen. Das S100-Antigen ist ein in Neuronen angereichertes, kalziumbindendes astrogliales Protein. Zu erkennen sind zelluläre, spindelförmige Schwannomzellen, teils mit palisadenförmig angeordneten Nuclei mit zytoplasmatischen Verzweigungen und wirbelartiger Anordnung ohne Malignitätskriterien. Die Binnenstruktur ist infolge von fettiger Degeneration, Zystenbildung und geringen Einblutungen teils inhomogen [1].
Zoom Image
Abb. 6 a GFAP 100× vergrößert, b 400× vergrößert (rechts). Glial Fibrillary Acidic Protein (GFAP) ist ein Klasse-III-Intermediärfilament, das hauptsächlich in astrozytären Gliazellen im zentralen Nervensystem exprimiert wird. GFAP ist an vielen Prozessen des zentralen Nervensystems beteiligt, unter anderem an der intrazellulären Kommunikation und der Erhaltung der Blut-Hirn-Schranke. Die GFAP-Expression wurde bei mehreren pathologischen Prozessen bewiesen. Es ist ein potenzieller Biomarker bei unter anderem Schädel-Hirn-Traumata, Schlaganfällen, Hirntumoren, Schizophrenien und vielen mehr [2].

Diskussion

Der vorliegende Fallbericht ist einer der Fälle, in dem von einem gynäkologisch typischen Befund ausgegangen wurde und schlussendlich nur aufgrund der Histologie die richtige Diagnose gestellt werden konnte. Schwannome sind benigne, langsam wachsende Tumoren (WHO-Grad I) des peripheren Nervensystems, die von den Schwann-Zellen ausgehen. Sie können im gesamten Körper vorkommen und treten meist solitär in der Nähe der Hirnnerven auf. Schwannome manifestieren sich vor allem am Körperstamm und im Bereich der Extremitäten [3]. Die Wahrscheinlichkeit eines Auftretens im Retroperitoneum beträgt nur 3% [4].

Ein Schwannom ist eine seltene Differenzialdiagnose intraabdomineller oder retroperitonealer Raumforderungen. Die Patienten sind meist asymptomatisch, es handelt sich daher häufig um Zufallsbefunde. Symptome treten erst auf, wenn es zur Kompression von benachbarten Organen oder Nerven kommt [5]. Die Symptome sind meist sehr unspezifisch und ahmen verschiedene Krankheiten nach. Am häufigsten treten aber ungenau lokalisierbare Schmerzen, Obstipation, Blähungen und Völlegefühl auf [6].

Die präoperative Diagnostik ist von enormer Relevanz. Zur Planung der operativen Therapie müssen bei Veränderungen im retroperitonealen Raum die Größe, die Lokalisation und vor allem die Abgrenzung von umgebenden Organen genau bestimmt werden. Präoperativ ist die sichere Diagnosestellung eines retroperitonealen Schwannoms sehr schwierig. Bildgebende Verfahren wie die Computertomografie, die Sonografie und die MR-Tomografie (MRT) bieten begrenzte, aber nützliche Informationen hinsichtlich der Differenzierung von Tumoren anderer Entitäten.

Das diagnostische Mittel der Wahl ist die Sonografie von abdominell und transvaginal, um den retroperitonealen Raum orientierend darzustellen. Tumoren können sich aber sowohl echoarm als auch echoreich darstellen; einen sonografischen Befund, der sicher die Dignität eingrenzen kann, gibt es nicht [7]. Die Ultraschalldiagnostik kann besonders die Vaskularität und Gefäßinvasion darstellen. Die CT bietet bei Schwannomen die beste Methode, Verkalkungen zu erkennen. Schwannome stellen sich im Gegensatz zu Myomen oder Sarkomen eher homogen dar. Die MRT dagegen zeigt einen besseren Weichteilkontrast im Vergleich zur CT [8].

Man spricht von primären retroperitonealen Tumoren, wenn diese direkt von retroperitonealen Organen ausgehen. Sekundäre retroperitoneale Tumoren sind meist metastatischen Ursprungs. Das Spektrum an Differenzialdiagnosen solider Unterbauchtumoren ist groß. Es kommen mesenchymale, parasympathische, extragonadale oder maligne (Sarkome, neurogene Tumoren oder Lymphome) Tumoren in Frage. In der Regel gibt es keine spezifischen Tumormarker zur Identitätsfindung [3].

Es ist wichtig, Schwannome von anderen mesenchymalen Tumoren zu unterscheiden, da die Differenzialdiagnosen teils ein hohes Malignitätspotenzial aufweisen. Aufgrund der Bildmorphologie und der Häufigkeit muss auch in diesem Fall differenzialdiagnostisch an ein gynäkologisches Malignom oder Sarkom gedacht werden.

Das Sarkom (< 0,01% aller myometrialen Tumoren) ist wohl die wichtigste Differenzialdiagnose, da sie sowohl in der Symptomatik als auch in der Bildgebung dem Schwannom ähnelt ([Tab. 1]). Eine genaue Differenzierung ist nur histopathologisch im Rahmen der operativen Therapie oder (je nach Lokalisation) mittels CT-gesteuerter Biopsie möglich. Bei Verdacht auf einen malignen Prozess wäre eine fraktionierte Kürettage indiziert, auch wenn dies meist nicht zielführend ist und häufig ein falsch negatives Ergebnis ergibt [9].

Trotz des gutartigen Wachstums besteht beim Schwannom Entartungspotenzial [10], sodass therapeutisch eine komplette, nervenschonende chirurgische En-bloc-Tumorresektion erzielt werden sollte. Die Rezidivrate ist sehr gering und die Prognose sehr gut [11]. Unsere Patientin befindet sich aktuell im Wohlbefinden, ihr wurde die reguläre Vorstellung zur Vorsorgeuntersuchung empfohlen.

Tab. 1 Differenzialdiagnose solider Unterbauchtumoren.

Fibrom

Schwannom

Myom

Ovarialkarzinom

Sarkom

Metastase

Wachstum

langsam

langsam

langsam (über Jahre)

schnell

schnell (Zeitraum zwischen 3–6 Monaten)

schnell

sonografische Darstellung

  • oval, gelappt

  • glatte Berandung

  • echoarm oder echoreich

  • glatt begrenzt

  • echoarm

  • glatt begrenzt periphere Vaskularisation

  • zystische Veränderungen mit soliden/papillären/ septierten Anteilen

  • Aszites

  • unregelmäßige Kontur

  • zentrale Vaskularisation

  • irregulär

  • solider Tumor

  • papilläre Strukturen

  • gekammert

  • vermehrte Vaskularisation

  • irregulär

  • solider Tumor

  • papilläre Strukturen

  • gekammert

  • vermehrte Vaskularisation

Laborparameter

CA 125

(unspezifisch)

Hb-Wert

Ferritin

CA 125, CEA, CA 19–9, CA 72–4

LDH, Ferritin, CRP

je nach Primarius

Alter (Jahre)

prä- oder postmenopausal

40–60

35–50 (prämenopausal)

mittleres Alter: 69

> 50

variierend, je nach Primarius

Symptome

  • Zunahme des Bauchumfangs

  • Druckgefühl

  • Kachexie trotz Benignität (Eiweißverlust)

häufig asymptomatisch

  • Blutungsstörungen

  • Drucksymptomatik

  • Infertilität

  • geburtshilfliche Komplikationen

  • lange asymptomatisch

  • Zunahme Bauchumfang

  • Fremdkörpergefühl Schmerzen

  • B-Symptomatik

  • lange asymptomatisch

  • B-Symptomatik

  • Blutungsstörungen

  • abdominale und GI-Beschwerden

variierend je nach Primarius, Lokalisation und Wachstumsmuster


#

Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
29. Mai 2024

© 2024. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany