Aktuelle Urol 2023; 54(03): 176-178
DOI: 10.1055/a-2031-3014
Referiert und kommentiert

Flappen oder nicht flappen? Eigentlich ist das jetzt nicht mehr die Frage!

Contributor(s):
Matthias May
1   Urologische Klinik, Klinikum St. Elisabeth Straubing GmbH, Straubing, Deutschland
,
Ingmar Wolff
2   Klinik und Poliklinik für Urologie, Universitätsmedizin Greifswald, Greifswald, Deutschland (Ringgold ID: RIN60634)
,
Christain Gilfrich
1   Urologische Klinik, Klinikum St. Elisabeth Straubing GmbH, Straubing, Deutschland
› Author Affiliations

Mit einer Häufigkeit von 2–10% stellen symptomatische Lymphozelen (sLZ) die zahlenmäßig relevantesten Komplikationen nach roboterassistierter radikaler Prostatektomie (RARP) und pelviner Lymphknotendissektion (PLND) dar [1]. Im Jahr 2015 wurde von Lebeis et al. auf der Grundlage retrospektiv erhobener Daten mit dem Peritoneal-Interposition-Flap (PIF) eine intraoperative Modifikation vorgestellt, bei der zum Abschluss der RARP das Blasenperitoneum auf kaudale Anteile des perivesikalen Fettgewebes geklappt und mit diesen vernäht wird [2]. In Ermangelung randomisiert-kontrollierter Studien (RCT) wurde Ende 2021 eine Metaanalyse von 5 bis dahin publizierten retrospektiven Studien durchgeführt, die für den PIF eine sLZ-Reduktion um 77% (95%-Konfidenzintervall/KI: 1–95%) nachwies [3].

Inzwischen wurden nun die Ergebnisse von 4 RCTs (Pianoforte, PerFix, ProLy, PLUS) publiziert, die Patienten mit RARP und simultaner PLND in die Studienarme PIF vs. kein-PIF randomisierten [4] [5] [6] [7]. Diese 4 RCTs bilden den korpus einer bislang unpublizierten Metaanalyse (PROSPERO-ID: CRD42023395116), die anhand von „Random-Effect-Models“ den PIF-Einfluss auf die Endpunkte 1.) sLZ-Rate, 2.) Gesamt-Lymphozelen-Rate (gLZ), und 3.) Komplikationen nach Clavien-Dindo ≥ Grad 3 (CDG-3+) untersuchte. Anhand dieser Metaanalyse betrugen die korrespondierenden Odds-Ratios 0,46 (95%-KI: 0,23–0,93), 0,51 (95%-KI: 0,38–0,68) bzw. 0,43 (95%-KI: 0,22–0,85) [8]. In den Absolutzahlen dieser „gepoolten“ Analyse kam es durch den PIF zu einer Reduktion von 7,8% (46/588) auf 3,6% (21/580) bei den sLZ (p=0,002), von 29,3% (172/588) auf 17,6% (102/580) bei den gLZ (p<0,001) und von 14,6% (86/588) auf 5,7% (33/580) bei den CDG-3+ (p<0,001). Die Ergebnisse dieser Metaanalyse zeichnen sich durch eine geringe Heterogenität zwischen den 4 RCTs und ein minimales Bias-Risiko aus [8]. Komplikationen oder funktionelle Beeinträchtigungen, resultierend aus dem PIF, wurden übrigens weder in den Studien mit indirekter Evidenz noch in den RCTs beobachtet.

Lapidar könnte man nun die Datenlage mit direkter Evidenz zum PIF auch so zusammenfassen: Der erste Trial (Pianoforte) war hinsichtlich der Endpunkte negativ, worauf dann die Publikationen von 3 RCTs (PerFix, ProLy, PLUS) mit positiven Studienergebnissen folgten. Die Suche nach dem „Heiligen Gral“ des technisch optimalen PIFs wird auch dadurch erschwert, dass sich die Studien hierzu teilweise deutlich unterscheiden. Die deutsche Pianoforte- und die nordamerikanische PLUS- Studie fixierten den Flap an den kaudalen Aspekten des perivesikalen Fettgwebes (wie auch Lebeis et al. in der Originalbeschreibung). Lebeis et al. und die Kolleg/-innen der Pianoforte nutzen hierfür eine Naht je Seite, Joseph Wagner (der solitäre RARP-Operateur der PULS-Studie) jedoch 2 [2] [4] [7]. Im Kontrast hierzu wurde in der tschechischen unizentrischen PerFix-Studie der PIF durch je eine kontinuierliche Naht pro Seite mit dem Periost des Schambeins adaptiert, die deutsche multizentrische ProLy-Studie fixierte den PIF wiederum durch 2 Nähte pro Seite mit der endopelvinen Faszie [5] [6]. Weitere Unterschiede zwischen den RCTs mit potenziellem Einfluss auf die Studienergebnisse bestanden in der Operateur-präferierten vs. obligaten Einlage bzw. Nicht-Einlage einer Wunddrainage und auch in der Verwendung von Clips und Strom zur Versorgung der Lymphbahnen.

Sind die Ergebnisse von Gloger et al. (ProLy) bzw. jene aggregierten Daten der bislang unpublizierten Metaanalyse nun „L‘art pour l‘art“? Nein – sind sie natürlich nicht! Dieser Kommentar endet somit komplett anders als die sehr offene „Empfehlung“ des Epilogs von Brechts gutem Menschen von Sezuan. Der PIF sollte nun anhand vorhandener Level-1A Evidenz bei RARP-Patienten, die simultan eine PLND erhalten, zur Prävention bzw. Reduktion postoperativer Lymphozelen durchgeführt werden. Nichtsdestotrotz sind weiterhin einige Fragen hinsichtlich des technisch optimalen PIFs offen, zu deren Beantwortung ggf. bald die nächste deutsche Studie mit direkter Evidenz (PELYCAN) beitragen kann [9].



Publication History

Article published online:
24 May 2023

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  • Literatur

  • 1 Novara G, Ficarra V, Rosen RC. et al. Systematic review and meta-analysis of perioperative outcomes and complications after robot-assisted radical prostatectomy. Eur Urol 2012; 62: 431-52
  • 2 Lebeis C, Canes D, Sorcini A. et al. Novel Technique Prevents Lymphoceles After Transperitoneal Robotic-assisted Pelvic Lymph Node Dissection: Peritoneal Flap Interposition. Urology 2015; 85: 1505-1509
  • 3 Deutsch S, Hadaschik B, Lebentrau S. et al. Clinical Importance of a Peritoneal Interposition Flap to Prevent Symptomatic Lymphoceles after Robot-Assisted Radical Prostatectomy and Pelvic Lymph Node Dissection: A Systematic Review and Meta-Analysis. Urol Int 2022; 106: 28-34
  • 4 Bründl J, Lenart S, Stojanoski G. et al. Peritoneal Flap in Robot-Assisted Radical Prostatectomy. Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 243-250
  • 5 Student VJr, Tudos Z, Studentova Z. et al. Effect of Peritoneal Fixation (PerFix) on Lymphocele Formation in Robot-assisted Radical Prostatectomy with Pelvic Lymphadenectomy: Results of a Randomized Prospective Trial. Eur Urol 2023; 83: 154-162
  • 6 Gloger S, Ubrig B, Boy A. et al. Bilateral Peritoneal Flaps Reduce Incidence and Complications of Lymphoceles after Robotic Radical Prostatectomy with Pelvic Lymph Node Dissection-Results of the Prospective Randomized Multicenter Trial ProLy. J Urol 2022; 208: 333-340
  • 7 Wagner J, McLaughlin T, Pinto K. et al. The Effect of a Peritoneal Iliac Flap on Lymphocele Formation After Robotic Radical Prostatectomy: Results From the PLUS Trial. Urology 2022; DOI: 10.1016/j.urology.2022.12.002.
  • 8 May M, Gilfrich C, Bründl J et al. To flap or not to flap, that is the question: Systematic review and meta-analysis on the benefit of peritoneal interposition flap for patients undergoing robot-assisted radical prostatectomy and pelvic lymph node dissection based on prospective randomized trials. Unpublished Data. The manuscript is in the review process at European Urology
  • 9 Neuberger M, Kowalewski KF, Simon V. et al. Peritoneal flap for lymphocele prophylaxis following robotic-assisted laparoscopic radical prostatectomy with pelvic lymph node dissection: study protocol and trial update for the randomized controlled PELYCAN study. Trials 2021; 22: 236 DOI: 10.1186/s13063-021-05168-x.