Z Sex Forsch 2022; 35(01): 57-59
DOI: 10.1055/a-1747-2346
Buchbesprechungen

Männlichkeit, Sexualität, Aggression. Zur Psychoanalyse männlicher Identität und Vaterschaft

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Hans-Geert Metzger, Frank Dammasch, Hrsg. Männlichkeit, Sexualität, Aggression. Zur Psychoanalyse männlicher Identität und Vaterschaft. Gießen: Psychosozial 2017 (Reihe: Forum Psychosozial). 279 Seiten, EUR 29,90

Der Band wurde von Hans-Geert Metzger und Frank Dammasch herausgegeben, welche gemeinsam mit dem Mitautoren Josef Christian Aigner regelmäßig Tagungen zum Thema „Psychoanalyse des Jungen und des Mannes“ veranstalten. Metzger ist zudem Leiter des gleichnamigen Arbeitskreises der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung. In zwölf Kapiteln und einer ausführlichen Einleitung sammeln sich die Beiträge von neun Autoren und zwei Autorinnen zu den Themen Begrifflichkeit der Männlichkeit, Vaterschaft, männliche Kindheit und Jugend, männliche Aggression, männliche Sexualität und Reproduktionsmedizin. Die Autoren beschreiben „eine Krise traditioneller männlicher Identitätsbildung“ (S. 8; vgl. auch: Frank Dammasch, Hans-Gert Metzger und Martin Teising, Hsrg. Männliche Identität. Psychoanalytische Erkundungen. Frankfurt/M.: Brandes & Apsel 2009). Auf der einen Seite gebe es die „grundsätzliche Infragestellung der Notwendigkeit einer Zweigeschlechtlichkeit und der Bedeutung von Heterosexualität“ (S. 8). Auf der anderen Seite sei eine „Rückkehr zu traditionellen Identitätsmustern“ (S. 9) festzustellen, die teilweise durch eine erhebliche Aggressivierung im gesellschaftlichen Umgang bemerkbar werde. Genug Gründe also für die Beschäftigung mit dem titelgebenden Thema.

Im ersten Beitrag „Männlichkeit – ein neuer dunkler Kontinent in der Psychoanalyse?“ plädiert Josef Christian Aigner lustvoll für die Beibehaltung der „Zweigeschlechtlichkeit“ – für ihn die Voraussetzung sowohl für heterosexuelles als auch homosexuelles Begehren. Explizit geht er dabei nur auf das „sozialkonstruktivistisch(e)“ (S. 24) Wegdiskutieren der Biologie des Leibes ein und sieht die Gefahr des „Diffusgeschlechtlichen“ (S. 22). Die Themen Transgender und Varianten der Geschlechtsentwicklung, die auch auf biologische, geschlechtliche Gegebenheiten noch einmal eine ganz andere Perspektive werfen, werden dabei nicht beachtet. Sein Nachdenken über Männlichkeit, insbesondere männlichen Neid, liest sich fast wie eine Feier weiblicher Fähigkeiten (Gebären, Stillen) und zieht in Betracht, dass die „traditionelle Betonung des Phallus als Machtsymbol […] letztlich der Unbewussthaltung der Übermacht der Frauen und der Unterlegenheit der Männer diene und damit als Abwehrmechanismus fungiere“ (S. 30). Es bleibt zu hoffen, dass Aigner (re-)produktive weibliche Möglichkeiten nicht auf diese so hoch idealisierten biologischen Bereiche reduziert – wo idealisiert wird, ist die Entwertung nicht weit. Anregend sind Aigners Ausführungen, dass ein Nachdenken (nicht nur) über Männlichkeit ohne eigene persönliche Anteile (affektive Verstrickungen, Gegenübertragungen) nicht möglich ist – dementsprechend offen gestaltet er seinen eigenen Umgang mit Befindlichkeiten.

Michael Diamonds Beitrag „Männlichkeit – ein schwer zu fassender Begriff“ beeindruckt durch die gelungenen Bemühungen, ein „psychoanalytisches Genderverständnis“ (S. 36) zu entwickeln. Sorgfältig stellt er die Verwendung der Begriffe Gender, Genderidentität, Geschlecht in der psychoanalytischen Theoriebildung dar und befasst sich kritisch mit einer psychoanalytischen Haltung, bei der eine „relativ stabile und kohärente, binär basierte Genderidentität als wesentliche Voraussetzung der psychischen Gesundheit gilt“ (S. 38). Er stellt die Forderung, dass eine differenzierte psychoanalytische Theorie versuchen muss, „die Spannung zwischen geschlechtlicher Rigidität und Fluidität, zwischen Körper (Sexualität) und Psyche (Begehren) und zwischen der (Kern-)Geschlechtsidentität und der Mehrgeschlechtlichkeit des Selbst“ (S. 38) aufrechtzuerhalten. Moderne psychoanalytische (Gender-)Theorien führt er dabei immer wieder auf die Wurzeln Freuds und sein Konzept der psychischen Bisexualität zurück.

Auch die erste von zwei Autorinnen dieses Bandes, Simone Korff Sausse, denkt in ihrem Text „Das Vaterwerden in Familie und Gesellschaft heute“ das Männliche nicht ohne das Weibliche. Um – in Anlehnung an Melanie Klein – zu einem fruchtbaren und schöpferischen Penis zu finden, der bereit ist, etwas weiterzugeben, habe der potenzielle Vater die Aufgabe zu bewältigen, sich aus zu engen Identifizierungen mit der Mutter zu lösen und sich mit den weiblichen, rezeptiven Anteilen des Vaters zu identifizieren. Eine zu bedrohliche Vaterimago führe dazu, dass eine Vaterschaft vermieden werde, damit nicht heftige Affekte dem eigenen Vater gegenüber reaktiviert würden. Ihre klinische Folgerung: „Man muss die Väter von ihrem Vater sprechen lassen“ (S. 102).

Eine klassische Auffassung von Vater- und Mutterrollen erläutert Hans-Geert Metzger im Artikel „Aggression und Autorität in der Vaterschaft“. Der reale Vater habe die Aufgabe, „im Wechselspiel zwischen Nähe und Distanz“ (S. 114) für Grenzen und Strukturen zu sorgen und dem heranwachsenden Jungen so die Fähigkeit zu intimer Bindung und konstruktiver Nutzung aggressiver Impulse zu vermitteln. Männliche und weibliche Eigenschaften und Funktionen blieben dabei immer an das biologische Geschlecht gebunden. Das Aufgeben der „patriarchale[n] Dominanz“ der letzten Jahrzehnte beschreibt er als „Verlust“ (S. 115), den die Männer sich nicht freiwillig ausgesucht hätten und der viele Männer defensiv reagieren lasse: „Sie lassen sich oft von Frauen sagen, wie sie sich verändern sollen“ (S. 115). Wie schon im Vorwort weist er warnend auf die Bedeutung von Grenzen „im Zusammentreffen unterschiedlicher gesellschaftlicher und religiöser Kulturen“ (S. 111) hin, lässt diese Warnungen aber unbefriedigend unausgeführt.

Einfühlsam beschreibt Dieter Bürgin die Herausforderungen der Adoleszenz aus psychoanalytischer Sicht. Den roten Faden bildet dabei die Frage nach der (Un-)Fähigkeit zur Verantwortungsübernahme. Verantwortungsübernahme sei ein dialogischer Vorgang, sei immer bezogen auf „ein Gegenüber“, „einen Anderen“, ein „Nicht-Ich“ (S. 126). Adoleszente changierten in einem Wechselspiel zwischen Verschmelzungswünschen und Auflehnung gegen Autoritäten. Bezogen auf das Geschlecht betont er, dass männliche und weibliche Qualitäten zunächst psychische Repräsentanzen seien, die erst später anatomischen Gegebenheiten zugeordnet würden, und ruft damit in Erinnerung, dass es nicht nur typisch männliche oder typisch weibliche Entwicklungsaufgaben gibt, sondern auch typisch menschliche.

Bei Hans Hopfs Aufsatz „Unruhig-aggressive Jungen“ steht ähnlich wie bei Metzger und Aigner die Verletzlichkeit von Jungen im Mittelpunkt. Anhand von Balints Konzept der Oknophilie und Philobatie erläutert er seine Hypothese, dass Jungen unerträgliche, von der Mutter nicht ausreichend containte Gefühle externalisieren und derart in Bewegung und Aggression verwandeln würden, dass diese selbstschädigende Konsequenzen haben können (als Beleg zieht er die höheren männlichen Unfall- und Suizidzahlen der letzten Jahre heran, aber auch schlechtere Schulabschlüsse von Jungen im Vergleich zu ihren Altersgenossinnen). Wie Metzger sieht er die Triangulierung der Mutter-Kind-Dyade durch den Vater, den Grenzen und Struktur setzenden „Anderen“, als wichtigen Entwicklungsschritt, der dem Jungen hilft, sich von der Mutter gleichzeitig zu lösen und eigene weibliche Anteile anzunehmen. Seine Forderung an die Pädagogik ist, die philobatischen, phallischen Tendenzen von Jungen anzuerkennen und angemessen zu unterstützen. Ergänzend möchte die Rezensentin hinzufügen, dass es möglicherweise für alle Geschlechter gesund wäre, wenn männliche und weibliche Haltungen und Eigenschaften nicht nur in der kindlichen Entwicklung gefördert und anerkannt würden, sondern auch im späteren Berufsleben, in dem Männer (auch das zeigen die Statistiken) immer noch deutlich höhere Gehälter beziehen und bessere Karrierechancen haben.

Als zweiter Herausgeber des Bandes meldet sich Frank Dammasch in „Aggressive Männlichkeit zwischen Ohnmacht, Angst und Allmachtsfantasien“ mit einem Fallbeispiel aus einer psychoanalytischen Behandlung eines achtjährigen Jungen, in dem viele Darstellungen aus vorangegangenen Artikeln anschaulich aufgegriffen werden: die Fremdheit zwischen Mutter und Sohn (vgl. Hopf), eine inzestuöse, hoch ambivalente Mutter-Kind-Beziehung, der ein triangulierender Vater weder als reale Person noch als mütterliche Fantasie zur Verfügung steht. Sein Brückenschlag zu der Gewalt meist muslimischer extremistischer Attentäter und Dschihadisten anhand der von dem (dem Namen nach deutschen) Jungen erlittenen Beschneidung wirkt etwas abrupt und wenig ausgeführt – ist aber ein wichtiger Ansatz zum Nachdenken über gesellschaftspolitisch aktuelle Themen im Zusammenhang mit Männlichkeit.

Ein zweites ausführliches Fallbeispiel trägt Mohammed Revaza Dahami bei, indem er anhand der Behandlung eines narzisstisch schwer gekränkten Patienten mit massiven Gewaltfantasien die transgenerationale Weitergabe einer traumatisierenden Vater-Sohn-Beziehung in einem arabisch-muslimischen Kontext darstellt. Lesenswert ist Dahamis offene Analyse seiner Gegenübertragungsgefühle vor dem Hintergrund der eigenen iranischen Herkunft.

Peter Fonagys Ausführungen zu Mentalisierung und Sexualität sind – auch mit Hilfe eines Fallbeispiels – spannend erzählt und bieten anregende Ideen. Eine Schwierigkeit (auch von Psychotherapeut_innen) im Umgang mit sexuellen Gefühlen rühre aus der Tatsache, dass sexuelle Gefühle des Kindes von ihren primären Bezugspersonen nicht gespiegelt würden und dementsprechend „grundsätzlich dysreguliert“ (S. 191) blieben – dementsprechend sei Psychosexualität „eigentlich Wahnsinn oder zumindest im Borderline-Bereich angesiedelt“ (S. 200). Erwachsene Sexualität sei „von Natur aus inkongruent mit dem Selbst“ und müsse daher „in dem Anderen erlebt werden“ (S. 206). In der analytischen Situation sei es schwer, „mit den Gefühlen des [sic] Patienten mitzuschwingen, wo diese das Psychosexuelle einbeziehen“ (S. 216). Im Spannungsfeld zwischen der Notwendigkeit, zum Psychosexuellen Zugang zu erhalten, um den Patienten in der emotionalen Komplexität seiner Konflikte zu verstehen, und den „Minenfelder[n] der Gegenübertragung“ appelliert er für eine „feinfühlige klinische und theoretische Untersuchung subjektiver Erfahrungen, die das Sexuelle umgeben, so dass dieses wieder zum Hauptinteresse der Psychoanalyse wird“ (S. 217).

Auch Heribert Blaß steuert ein Fallbeispiel bei, diesmal, um sich dem Verstehen von Cybersex-Praktiken (vornehmlich meint er damit Internetpornografie und Dating-Portale) bei Jungen zu nähern. Mit einer angenehm selbstverständlichen Leichtigkeit bezieht er in seine Einleitung die psychosexuelle Entwicklung von Jungen und Mädchen ein, bevor er auf das Fallbeispiel eines 21-jährigen jungen Mannes eingeht, der exzessiv Pornografie konsumiert. Anhand von längeren Dialogen skizziert er sehr persönlich und unter Einbezug (leider in der Literatur oft vernachlässigter) homoerotischer Gegenübertragungsgefühle die Entwicklung des jungen Mannes, bei der es seiner Ansicht nach um die psychische Loslösung vom Körper der Mutter geht.

Die letzten beiden Beiträge widmen sich der Reproduktionsmedizin. Während Hans-Geert Metzger sich in „Künstliche Befruchtungen, neue Sexualitäten und die Bedeutung der heterosexuellen Urszene“ besonders mit dem Thema Samenspende und dem damit psychisch unerfahrbaren Dritten und seiner unbewussten Bedeutung für das Familiengefüge beschäftigt, setzte sich Ute Auhagen-Stephanos mit „Reproduktionsmedizin als Einstieg in die Elternschaft“ auseinander. Auf klinischen Erfahrungen und mündlichen Mitteilungen von Kollegen basierende Befunde lassen sie mit zu großer Gewissheit zu der Aussage kommen, alle durch künstliche Reproduktion gezeugten Kinder seien generell traumatisiert. Ihre Forderung, Betroffene im Bereich der Reproduktionsmedizin immer ganzheitlich zu erfassen, „um das Seelenlose der technischen Instrumente in humanitäre Handlungen zu verwandeln“ (S. 258), ist wichtig und nachvollziehbar. Der von ihr auch dafür entwickelte Mutter-Embryo-Dialog mag für manche werdenden Eltern hilfreich sein. Jedoch begegnet die Rezensentin Ausführungen der Autorin skeptisch, dass „die Lebensumstände der Eltern während der genomischen Prägung, also vor der Zeugung und vor der Einnistung […] auf den Körper und den Geist des Kindes einen großen Einfluss“ (S. 246) haben, Eltern schon einige Wochen vor der Zeugung auf eine stressfreie Umgebung achten sollten und ihrem künftigen Kind gegenüber ein Lächeln einüben sollten. Die Annahme, mit diesen Maßnahmen Einfluss auf das zukünftige Leben der Kinder zu nehmen, so „klügere, gesündere und glücklichere Kinder“ (S. 245) zu erzeugen, erscheint ihr ähnlich größenhaft und möglicherweise stressauslösend wie die Vorstellung, durch technische Mittel und genetische Auswahl ein perfektes Kind produzieren zu können.

Das Buch bietet vielseitige und einige sehr originelle Beiträge. Der titelgebende rote Faden ist nicht immer ersichtlich, was der Lektüre der einzelnen Artikel keinen Abbruch tut. Die Rezensentin hätte sich weniger Seitenhiebe der Herausgeber auf das „linke Bildungsbürgertum“ und etwas mehr frischen Wind und Mut (wie z. B. bei Michael Diamond) zu neueren Denkansätzen gewünscht.

Annika Flöter (Hamburg)



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Article published online:
08 March 2022

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