Die Wirbelsäule 2023; 07(02): 70-71
DOI: 10.1055/a-1536-8990
Referiert und kommentiert

Kommentar zu: Lumbale Spinalkanalstenose: Dekompression mit oder ohne Fusion?

Elisabeth Rumbler
1   Klinik für Neurochirurgie und Wirbelsäulenchirurgie, HELIOS Klinikum Krefeld, Krefeld, Deutschland
› Author Affiliations

Es herrscht weiterhin Uneinigkeit über die beste OP-Technik bei lumbaler Spinalkanalstenose und über die Notwendigkeit einer zusätzlichen Fusion, insbesondere auch beim Vorliegen einer Spondylolisthese, die bisher oft als Zeichen einer Instabilität gewertet wurde.

Bereits 2016 haben Försth et al. die klinischen Daten der Swedish Spinal Stenosis Study (SSSS) veröffentlicht [1]. Hierbei konnte kein signifikanter Unterschied im Outcome zwei und fünf Jahre nach Dekompression und Fusion im Vergleich zur alleinigen Dekompression bei lumbaler Spinalkanalstenose in ein bis 2 angrenzenden Segmenten gezeigt werden. Zu einem ähnlichen Ergebnis sind auch Austvoll und Kollegen in ihrer 2021 veröffentlichten Studie zur Dekompression mit oder ohne Fusion bei degenerativer lumbaler Spondylolisthese gekommen [2].

In dieser Studie werden von Karlsson und Kollegen die radiologischen Daten zur oben genannten SSS-Studie präsentiert [3]. Es handelt sich um eine randomisierte klinische Studie ohne erkennbare methodische Fehler.

Die gewählten Ausschlusskriterien (z.B. Spondylolyse usw.) sind sinnvoll, um ein möglichst homogenes Patientenkollektiv zu erreichen.

Die Definition der Spinalkanalstenose als Querschnittsfläche des Duralschlauches im MRT ≤75mm2 ist gängig. Untersucht wurde auch eine Untergruppe von Patienten mit Spondylolisthese, definiert als Wirbelgleiten ≥3mm im seitlichen Röntgen. Tatsächlich war dieser Wert deutlich höher mit durchschnittlich 7,4mm. Eine Unterteilung dieser Patienten je nach Schweregrad der Listhese wäre sinnvoll, wobei für eine Subgruppenanalyse eine größere Patientenzahl notwendig wäre. Röntgen-Funktionsaufnahmen zur Beurteilung einer möglichen Makroinstabilität wurden nicht durchgeführt. In der Fusionsgruppe wurde in 86 bzw. 93% der Fälle eine instrumentierte posterolaterale Fusion ohne interkorporelle Fusion durchgeführt. Die Indikation für eine Fusionsoperation bei den 44 Patienten mit reiner Stenose ohne Listhese bleibt unklar. Die verwendeten Patienten-berichteten Outcome-Parameter wie ODI, EQ-5D und VAS sind gängige Parameter in der Wirbelsäulenchirurgie.

Insgesamt konnten die Autoren in der Fusionsgruppe eine signifikant höhere Rate an neuen Stenosen nachweisen, selbst auch in der Untergruppe mit Listhese. Als neue Stenose wurden Re-Stenosen im operierten Segment und/oder Anschluss-Stenosen im proximalen Segment definiert. Es lohnt sich ein genauer Blick in den Daten, denn die signifikant höhere Rate an neuen Stenosen beruht in der Fusionsgruppe hauptsächlich auf höhere Raten an Anschluss-Stenosen von ca. 44%, unabhängig davon, ob eine Listhese vorliegt oder nicht. Die Rate an Anschlussdegeneration wird in der Literatur mit 2,6–62,5% angegeben [4], sodass dieser Wert realistisch erscheint.

Tatsächlich ist die Rate der Re-Stenosen im operierten Segment in der Dekompressionsgruppe sogar signifikant höher als in der Fusionsgruppe. Dieser Effekt lässt sich möglicherweise damit erklären, dass in der Dekompressionsgruppe auch das Wirbelgleiten signifikant zunimmt.

Insgesamt gibt es jedoch mehr Patienten mit Anschluss-Stenosen bei Fusion (44%) als Re-Stenosen bei Dekompression (14%).

Die klinischen Outcomedaten nach 2 Jahren unterscheiden sich nicht, sodass es sich in dieser Studie zunächst nur um radiologische Befunde handelt, die bisher asymptomatisch zu sein scheinen. Die Re-Operationsrate ist laut den SSSS-Daten bis zu 3 Jahre nach Studienende in beiden Gruppen gleich mit ca. 21% [1]. Hier werden sicherlich die Langzeitergebnisse von Interesse sein.

Letztendlich unterstützt die Studie den zunehmenden Trend, dass eine bildgebende Spondylolisthese per se noch keine Fusionsoperation mit höheren OP-Risiken rechtfertigt. Das gleiche gilt für eine reine Spinalkanalstenose. Die Wahl der Operation bleibt weiterhin individuell. Jeder Wirbelsäulenchirurg muss versuchen anhand verschiedener Parameter, wie z.B. Makroinstabilität in den Röntgenfunktionsaufnahmen, prädominanter Rückenschmerz usw. diejenigen Patienten zu identifizieren, die tatsächlich von einer Stabilisierung profitieren. Die Rate der Anschluss-Stenosen und die höheren Risiken der Fusionsoperation müssen in der Entscheidung mit einfließen. Auch andere weniger invasive Optionen wie z.B. die dynamische Stabilisierung, die kürzlich von Meyer et al. als Alternative zur Fusion vorgestellt wurde [5], sollten bei V.a. eine Instabilität in Erwägung gezogen werden.



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Article published online:
02 May 2023

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