Fortschr Neurol Psychiatr 2021; 89(10): 507-515
DOI: 10.1055/a-1471-3786
Übersichtsarbeit

Prädiktoren der Legalbewährung nach forensischer Suchtbehandlung – Zweiter Teil einer Übersichtsarbeit zu Erfolgsdeterminanten einer Unterbringung gemäß § 64 StGB

Predictors of Legal Probation after Forensic Addiction Treatment: Review of the Determinants of Success of a Treatment order According to sec. 64 of the German Criminal Code – Part II
1   LWL-Akademie für Forensische Psychiatrie (AFoPs), Fachbereich Versorgungsforschung
2   Universität Konstanz, Fachbereich Psychologie
,
Alexander Baur
3   Universität Hamburg, Fakultät für Rechtswissenschaft
› Author Affiliations

Zusammenfassung

Hintergrund Ehe eine forensische Suchtbehandlung gemäß § 64 StGB gerichtlich angeordnet werden kann, ist eine Erfolgsprognose zu stellen und zu bejahen. Der Suche nach entsprechenden Prädiktoren für eine „hinreichend konkrete“ Erfolgsaussicht widmeten sich in den vergangenen Jahren einige Studien. Dabei stellt die Legalbewährung nach Entlassung das gesetzlich vorgesehene Erfolgskriterium forensischer Suchtbehandlung dar.

Zielsetzung Als zweiter Teil einer zweiteiligen Gesamtschau zu Erfolgsdeterminanten forensischer Suchtbehandlung gibt die vorliegende Arbeit einen Überblick über die aktuelle Befundlage zu Prädiktoren der Legalbewährung nach forensischer Suchtbehandlung und setzt diese in Beziehung zu der Studienlage bezüglich Prädiktoren des Entlassmodus.

Methodik Basierend auf systematischer Literaturrecherche werden dabei die Ergebnisse von acht empirischen Studien aus dem Zeitraum 2002–2019 vertieft aufbereitet und in einer Überblickstabelle dargestellt.

Ergebnisse Trotz im Detail heterogener Befunde weisen einerseits das Vorliegen motivationaler, lebenspraktischer und sozialer Ressourcen, andererseits die deliktische Vorgeschichte und Eigenschaften der aktuellen Delinquenz relativ klare Bezüge zur Legalbewährung nach erfolgter forensischer Suchtbehandlung auf. Zugleich treten bei ausschließlicher Betrachtung der Legalbewährung als einzigem Kriterium der Behandlungsprognose konzeptionelle Unschärfen zutage, da diese dann durch die Kriminalprognose überlagert wird.

Schlussfolgerung Die Grenzen des gegenwärtigen Forschungsstands legen für die Erstellung einer Behandlungsprognose gem. § 64 StGB ein zweischrittiges Vorgehen nahe: zunächst könnte anhand der Prädiktoren des Entlassmodus die Frage geprüft werden, als wie wahrscheinlich ein regulärer Therapieverlauf angesehen werden kann; sodann könnte anhand der Prädiktoren der Legalbewährung geprüft werden, ob auf eine rückfallpräventive Wirkung forensischer Suchtbehandlung geschlossen werden kann. Beide Teile der Übersichtsarbeit können forensisch-psychiatrische Sachverständige daher bei der Stellung einer reliablen Prognose der Behandlungsaussicht unterstützen. Ergänzend sollte überlegt werden, ob die Informationsgrundlage für Sachverständige etwa durch eine probatorische Phase verbessert werden könnte.

Abstract

Background Before a forensic addiction treatment can be ordered by the court according to sec. 64 of the German Criminal Code (StGB), a prognosis of success must be made and affirmed. In recent years, several studies have been devoted to the search for appropriate predictors of a “sufficiently concrete” prospect of success. Legal probation after release is the legally stipulated criterion for success in forensic addiction treatment.

Objective As the second part of a two-part review on the determinants of success in forensic addiction treatment, this paper aims to provide an overview of the current evidence on predictors of legal probation after forensic addiction treatment and relates this to the evidence to the predictors of the discharge mode.

Methodology Based on systematic literature research, the results of eight empirical studies published between 2002–2019 were processed in depth and presented in an overview table.

Results Despite heterogeneous findings in detail, the presence of motivational, practical life and social resources, on the one hand, and criminal history and characteristics of current delinquency, on the other hand, show relatively clear relationships to legal probation after successful forensic addiction treatment. At the same time, the exclusive consideration of legal probation as the only criterion for the prognosis of treatment success reveals conceptual imprecision, since this is then overlaid by the criminal prognosis.

Conclusion The limitations of the current state of research suggest a two-step approach for the preparation of a treatment prognosis: first, the predictors of the discharge mode could be used to examine the question of the likelihood of success of a regular course of treatment; then, the predictors of legal probation could be used to examine whether any conclusions can be drawn on the relapse-preventive effect of forensic addiction treatment. Both parts of the review can thus support forensic psychiatric experts in making a reliable prognosis of treatment prospects. In addition, consideration should be given to whether the information base for experts could be improved, for example, through a probationary phase.



Publication History

Received: 10 December 2020

Accepted: 20 March 2021

Article published online:
19 May 2021

© 2021. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

 
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