Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2021; 28(03): 125
DOI: 10.1055/a-1469-1201
Gesellschaft
DGMM
Deutsche Gesellschaft für Maritime Medizin e. V.

Liebe Mitglieder der DGMM,

Marcus Oldenburg
1   Herzliche Grüße aus Hamburg Ihr
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die Coronapandemie hat in der Schifffahrt nicht nur wirtschaftliche, sondern auch erhebliche psychosoziale Spuren hinterlassen. Wie bereits in der vorletzten Ausgabe der FTR erwähnt, sind hiervon u. a. kiribatische Seeleute betroffen gewesen. Aufgrund von pandemiebedingten Reiserestriktionen ihrer Regierung konnten über 140 kiribatische Seeleute seit Beginn der Pandemie bis April 2021 nicht auf ihre südpazifische Heimatinsel zurückkehren. Zwei Hamburger Reedereien, die in einem größeren Umfang Kiribatis auf ihren Schiffen beschäftigen, vereinten ihre an Bord befindlichen kiribatischen Seeleute in Hamburg. Nachdem viele von ihnen schon über 1,5 Jahre von ihren Familien getrennt lebten, waren diese, z. T. bereits seit Oktober 2020, auf zunächst nicht absehbare Zeit in der Jugendherberge in Hamburg-Horn gestrandet. In dieser außergewöhnlichen psychosozialen Notlage wurden die Seeleute unter Federführung der Deutschen Seemannsmission intensiv und professionell begleitet.

Die Probleme der gestrandeten Seeleute waren vielfältig; zunächst waren diese nicht darauf eingestellt, über mehrere Monate in der kühlen nordeuropäischen Region zu verweilen. Daher waren viele von ihnen kleidungsmäßig nicht auf das Wetter im damals zeitweilig sogar verschneiten Hamburg vorbereitet. Die Seemannsmission hat dank bestehender Kleiderspenden dafür Sorge getragen, dass die Seeleute bei uns in Hamburg nicht frieren mussten. Darüber hinaus hat die Seemannsmission die psychosoziale Betreuung der Seeleute übernommen. Es wurden regelmäßig Gottesdienste für die christlich orientierten Seeleute gehalten sowie eine Fülle von persönlichen Gesprächen in dieser schwierigen, perspektivlosen Situation geführt.

Weiterhin erfolgten zahlreiche Aktionen; so fanden z. B. geführte Ausflüge im Hamburger Hafen oder in der Region, gemeinsames Kochen oder auch Fortbildungsveranstaltungen für die Seeleute statt. Darüber hinaus wurde die medizinische Betreuung von dem Hamburg Port Health Center (HPHC) durch eine etablierte ärztliche Sprechstunde vor Ort sichergestellt. Auch das Zentralinstitut für Arbeitsmedizin und Maritime Medizin (ZfAM) brachte sich mit regelmäßigen Freizeitangeboten zur Gesundheitsberatung und mit Fitnessaktionen ein.

Ende Februar signalisierte die Regierung auf den Kiribati – nicht zuletzt aufgrund eines erheblichen politischen Druckes –, die Grenzen für ihre Seeleute zu öffnen. Daher konnte ab Anfang März eine jeweils gruppenweise Abreise der Kiribati zurück in ihre Heimat gestartet werden. Die rückkehrenden Seeleute mussten zunächst auf den Fidschi-Inseln zwischenlanden, wo sie noch über 2 Wochen in Quarantäne verweilten. Dann erfolgte bei negativem Coronatest endlich die letzte Reisetappe zu ihrer Heimatinsel. Allerdings erwartete sie dort eine weitere unangenehme Überraschung. Ihnen wurde auf ihrem maritimen Ausbildungsgelände ein viel zu kleines, den hygienischen Anforderungen nicht adäquates Areal für eine weitere 2-wöchige Quarantänezeit zugewiesen. Viele Seeleute entwickelten dort gastrointestinale Beschwerden. Tragischerweise erhielt ein akut Schwererkrankter nicht rechtzeitig medizinische Hilfe vor Ort, sodass dieser während der Quarantänezeit verstarb.

Insgesamt hat die Politik auf den Kiribati die Odyssee ihrer seefahrenden Landsleute verschuldet und eine psychosoziale sowie medizinische Extremsituation dieser Seefahrer zu verantworten. Die einzig positive Botschaft ist, dass die kiribatischen Seeleute seit Ende April 2021 – nach einer durchschnittlich 2-jährigen Trennungszeit von ihren Familien und Freunden – endlich wieder zu Hause und angekommen sind.

Liebe Mitglieder der DGMM, diese Odyssee der kiribatischen Seeleute zeigt, vor welchen psychosozialen und medizinischen Herausforderungen die Schifffahrtsmedizin infolge der Pandemie stehen kann. Der beeindruckende Schulterschluss und das große Engagement vieler unterschiedlicher Akteure in der Jugendherberge in Hamburg belegen die Bereitschaft und das Potenzial, effektiv und unbürokratisch zum Wohle der Seeleute zu helfen. Vielen Dank an alle Beteiligten!

Herzliche Grüße aus Hamburg

Ihr

Marcus Oldenburg

Verantwortlich für die DGMM-Gesellschaftsseiten in der FTR:

PD Dr. Marcus Oldenburg, Hamburg (V.i.S.d.P.)

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Deutsche Gesellschaft für Maritime Medizin e. V.

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Article published online:
02 June 2021

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