CNE Pflegemanagement 2020; 07(03): 3
DOI: 10.1055/a-1177-2368
Erfahrungs
Bericht

Sterben in Zeiten von Corona

Dienst auf einer Palliativstation am Osterwochenende 2020
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(Quelle: Stefan Mugrauer/Thieme Gruppe)

Auch in Zeiten von Corona sterben Menschen. Nicht nur an Corona. Krebs legt in Corona-Zeiten keinen Shut-Down hin. Er beendet das Leben von Menschen. Ich bin ihnen nahe, trotz Corona. Begleite sie. Mit Mundschutz, durch den ich 8 Stunden atme. Möglichst nur einen Mundschutz verwenden, sparen, es könnte nicht reichen.

Menschen sterben, auch in Zeiten von Corona. Nicht nur an Corona. Angehörige trauern. Ich will ihnen nahe sein. Kann es aber nicht. Abstand halten, keine Hand geben. Beileid auf Distanz. Die Maske verdeckt mein Mitgefühl.

Menschen sterben, auch in Zeiten von Corona. Der Krebs reißt Löcher in die Menschen. Die Medizin ist auch hier machtlos. Wie immer, nicht nur in Zeiten von Corona. Machtlos, nicht nur gegen Corona. Ich versuche, das Loch zu stopfen, aus dem der Stuhlgang und undefinierte Masse aus dem Menschen tritt. Sein Sohn war zu Besuch, voller Hoffnung: „Wir wollen den Papa schon mit nach Hause nehmen.“ Ich lasse die Aussage im Raum stehen. Am nächsten Morgen ist der Papa tot. Auch in Zeiten von Corona. Auch ohne Corona. Oder vielleicht mit Corona? Wir wissen es nicht.

Nach 8 Stunden mit der Maske angesichts des Todes und der Toten atme ich Freiheit. Die Sonne strahlt mir ins Gesicht. Ich lasse meine Seele bescheinen. Am Abend spüre ich noch die Schnüre der Maske im Gesicht. Am nächsten Tag wieder 8 Stunden durch die Maske atmen. Reichen die Masken? Reichen unsere Kräfte? Immer mehr Kollegen sind krank, werden positiv getestet. In der Nacht taucht in meinen Träumen das Loch auf, das ich versucht habe, dicht zu bekommen. Hat es gehalten? Was kann der Mensch ertragen? Was können wir Menschen antun? Wo sind die Grenzen der Medizin? Auch in Zeiten von Corona?

„Wir haben die Autos höher geschätzt als den Menschen, das war unser Fehler“, meint ein 86 Jahre alter Mann, der nur noch sterben wollte, bevor er zu uns auf die Palliativstation kam. Heute ist er selbst zur Toilette gegangen. Ich bin überrascht. Er ist dankbar, zu leben, auch in Zeiten von Corona. Dankbar, Hilfe zu bekommen, auch wenn es ihm schwerfällt, sie anzunehmen. Er wird auch sterben, in Zeiten von Corona. Sein Herz ist schwach. Er weiß, dass sein Körper langsam und unaufhaltsam dem Tod entgegen geht. Und er hofft, dass die Welt nach ihm die Pflege besser honoriert und aus der Krise lernt, was ihm der Mensch wert ist. Audi-Mitarbeiter bekommen eine Bonus-Zahlung von 2 500 Euro. Porsche-Mitarbeiter 9 700 Euro. Pflegende 500 Euro. Zumindest etwas.

Was bekommen Pflegende, wenn sie versuchen, in der Nacht am Fließband Menschen menschlich zu pflegen? Was bekommt ein Facharbeiter, der am Fließband in der Nacht Autos zusammenbaut? Geld ist nicht alles, was die Pflege bekommt. Aber als Mensch menschlich pflegen zu können, von unsinnigen ökonomischen Zwängen befreit, würde die Welt ein Stück menschlicher machen. Und wieder mehr Menschen in diesen sinnvollen und schönen Beruf locken. Auch in den Zeiten ohne Corona.

Hoffen wir auf eine bessere, menschlichere Welt in der Zeit nach Corona!

Zum Autor
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Rainer Teufel schloss eine Ausbildung als Industriekaufmann ab. Nach dem Zivildienst im Pflegeheim absolvierte er die Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger. Seit 2004 arbeitet er auf der Palliativstation am Klinikum Ingolstadt. Er hat sich zum Praxisanleiter, zur Palliative Care-Fachkraft, zur Algesiologischen Fachassistenz, zum Clown und zum Trauerbegleiter (BVT) weitergebildet. Zudem studierte er Gesundheits- und Pflegpädagogik (B. A.) und Gesundheits- und Pflegewissenschaft (M. Sc.). Seit 2013 ist er als pädagogischer Mitarbeiter für die Hospiz Akademie der GGSD bayernweit in der Aus- und Weiterbildung als zertifizierter Kursleiter für Palliative Care unterwegs.


E-Mail: rainerteufel@web.de



Publication History

Article published online:
28 May 2020

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Stuttgart · New York