Der Klinikarzt 2018; 47(11): 497
DOI: 10.1055/a-0770-5223
Editorial
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Watson kann doch (noch) nicht alles

Achim Weizel
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Publication Date:
07 December 2018 (online)

Bei der Führung einer Gruppe von Besuchern im Forschungszentrum der IBM in Haifa/Israel wurde den Teilnehmern vor einiger Zeit die Wirkungsweise des Superkomputers Watson (keine Verbindung zu Sherlock Holmes) demonstriert. Watson ist ein Paradebeispiel für Künstliche Intelligenz (KI), der seine Überlegenheit gegenüber menschlichen Bemühungen, zum Beispiel bei der Lösung von kniffligen Quizfragen, unter Beweis gestellt hat. Ein Schwerpunkt der Forschung mit Watson ist seine Anwendung in der Medizin. Nach Presseberichten hat IBM mehrere Milliarden in das Projekt investiert. Das Ziel besteht darin, die immer umfangreicher werdenden Daten von Patienten zu speichern, die Erstellung fehlender diagnostischer Daten anzuregen. Bei der Therapieentscheidung soll dann aus den vorliegenden wissenschaftlichen Ergebnissen und Daten von vergleichbaren Fällen die für den Patienten beste Therapie herausgefunden werden. Theoretisch ist dies ein schlüssiges Konzept und mit den zunehmend leistungsfähiger werdenden Computern sicher auch zu bewältigen.

Die anfängliche Euphorie ist allerdings inzwischen einer gewissen Skepsis gewichen, wenn man sich die praktischen Ergebnisse der Arbeit mit Watson ansieht. Bei der Demonstration in Haifa wurde der Fall einer Frau mit einem Knoten in der Brust demonstriert. Die Patientin füllte einen mehrere Seiten langen Fragebogen aus, die Daten wurden mit allen übrigen Unterlagen in Watson eingegeben. Nach aufwendigen Rechenoperationen erfolgte der Vorschlag: Ultraschalluntersuchung der Brust. Der Einwand eines teilnehmenden Arztes, dass diese Entscheidung von jedem Arzt ohne Computer seit Jahren so gefällt würde, wurde als unsachlich und unwissenschaftlich abgetan. Versuche des Einsatzes von Watson in der klinischen Praxis waren bisher auch nur mäßig erfolgreich. Ein Schwerpunkt der Anwendung ist die Entscheidung für eine Therapie bei malignen Erkrankungen, die bei der Vielfalt von therapeutischen Möglichkeiten durchaus wünschenswert wäre. Hierzu wurden im Sloan Kettering Institute Versuche durchgeführt. Es zeigte sich, dass die Ergebnisse häufig ungenau und gefährlich („inaccurate and unsafe“) waren und zu Zweifeln an der zugrundeliegenden Technologie geführt haben.

Weitere negative Ergebnisse wurden aus Dänemark und aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg gemeldet. Dort hatten jahrelange gemeinsame Bemühungen mit IBM zu keinem verwertbaren Ergebnis geführt. Auch bei den Rhön-Kliniken, die mit großem Enthusiasmus eine Kooperation begonnen hatten, wurde die Zusammenarbeit inzwischen abgebrochen. Zu diesen Ergebnissen passen Meldungen im Wirtschaftsteil der Zeitungen, nach denen IBM auf dem Health-Sektor massiv Stellen abgebaut hat.

Der Gesundheitssektor ist weltweit ein riesiger Markt mit ungeheurem finanziellen Potenzial. Die zunehmende Datenflut, die bei einzelnen und gerade chronischen Patienten anfällt, stellt die Ärzte zunehmend vor Probleme. Daher ist es verlockend, mit Künstlicher Intelligenz Ordnung in die Daten zu bringen, diese zu sortieren und dann therapeutische Konsequenzen zu ziehen.

Über die Ursachen des fehlenden Erfolgs wird im Moment noch spekuliert. So wurden angeblich als Grundlage der Entscheidung nicht immer echte Patientendaten, sondern konstruierte Fälle eingegeben, aus denen dann nicht mit genügender Sicherheit eindeutige Entscheidungen getroffen werden können. So kommt es zu Schlagzeilen wie: „Im Krankenhaus fällt die Wunderwaffe durch“ (FAZ 02.06.2018). Letztendlich bewahrheitet sich hier vielleicht wieder einmal die uralte Binsenwahrheit der Computertechnologie, nämlich: „garbage in – garbage out“, was bedeutet: wenn die Eingabe fehlerhaft ist, ist kein korrektes Ergebnis zu erwarten. Künstliche Intelligenz, ob mit oder ohne Watson, wird sicherlich in der Zukunft auch in der Medizin eine große Rolle spielen, für den Augenblick ist aber noch die Urteilskraft des einzelnen Arztes für den Patienten auschlaggebend.