ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2008; 117(5): 203
DOI: 10.1055/s-2008-1081116
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Leiden auf Rezept

Cornelia Gins
Further Information

Publication History

Publication Date:
09 June 2008 (online)

Voltaire, der französische Aufklärer, war skeptisch gegenüber den Ärzten und behauptete: Ärzte geben Medikamente, von denen sie wenig wissen, in Menschenleiber, von denen sie noch weniger wissen, zur Behandlung von Krankheiten, von denen sie überhaupt nichts wissen. Seit Voltaires Zeiten hat die Medizin enorme Fortschritte gemacht. Die Krankheit per se ist keine unbekannte Größe mehr, und die Menschenleiber sind transparent geworden wie eine gut geputzte Glasscheibe. Die Medikamente aber sind der Unsicherheitsfaktor geblieben bei der modernen Medizin. Und die Medizin ist modern, es existiert kaum eine Krankheit, gegen die es nicht mindestens ein Medikament gibt. Aber was wissen wir wirklich von der „Medizin”, die wir unseren Patienten geben? Nun gut, da gibt es den „Waschzettel”, der jeder Packung beiliegt, mit dem sich die Pharmaindustrie im wahrsten Sinne des Wortes reinwäscht. Und den Apotheker kann man auch noch fragen. Nichtsdestotrotz bleiben die Nebenwirkungen von Arzneien das Problem, da sie nicht verhindert werden können. Die Komplikationen bzw. Arzneimittelzwischenfälle haben sich seit 1998 mehr als verdoppelt. Die Todesfälle haben sich sogar fast verdreifacht. Verschiedene Faktoren tragen dazu bei. So ist die Zahl der verschriebenen Medikamente insgesamt gestiegen, sodass auch mehr Nebenwirkungen gemeldet werden. Etwa 15 % des Anstiegs gehen auf neue Substanzen zurück, hauptsächlich Schmerzmittel. Werden Nebenwirkungen gemeldet, kann darauf reagiert werden, doch die Dunkelziffer ist hoch. In den wenigsten Fällen wird ein neu auftretendes Symptom beim Patienten als Nebenwirkung auf ein Medikament erkannt. So entwickeln sie gewissermaßen ein Eigenleben, verselbstständigen sich und bilden in der Summe wieder erneut Krankheitsbilder aus. Ein fataler Kreislauf. Der Sachverständigenrat im Gesundheitswesen schätzte in seinem Gutachten 2007, dass in Deutschland rund 80 000 Patienten jährlich wegen Nebenwirkungen ins Krankenhaus müssen. Die noch schlechtere Nachricht: mindestens 40 % dieser Fälle wären vermeidbar gewesen.

Die Lösung dieses Problems kommt der Quadratur des Kreises nah. Die moderne Medizin kann diesen Kreislauf nicht mehr verlassen, zumal der Patient durch den rezeptfreien Kauf von Medikamenten, die meisten auch nicht ohne Nebenwirkungen, durch die Kontrolle des Arztes rutscht. Die Zahnmedizin ist da gottlob ein wenig außen vor. Medikamente verschreiben ist nicht unser primärer Therapieansatz. Doch auf der Suche nach neuen Einnahmequellen geht auch die Zahnmedizin inzwischen andere Wege. Butox hatte zu früheren Zeiten ein sehr begrenztes Indikationsgebiet. Und heute?? Butox ist eine Nervengift. Nebenwirkungen? - Schauen wir mal!

Dr. med. dent. Cornelia Gins

    >