Krankenhaushygiene up2date 2008; 3(3): 196-201
DOI: 10.1055/s-2008-1077656
Meldungen und Meinungen

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Verhindert Routine-MRSA-Screening auf Intensivstationen Infektionen?

Further Information

Publication History

Publication Date:
07 October 2008 (online)

McGinigle KL, Gourlay ML, Buchanan JB. The Use of Active Surveillance Cultures in Adult Intensive Care Units to Reduce Methicillin-Resistant Staphylococcus aureus – Related Morbidity, Mortality and Costs: A Systematic Review. Clinical Infectious Diseases 2008; 46: 1717 – 1725

Wirkt sich ein systematisches Screening auf MRSA-Besiedlung bei Aufnahme auf die Intensivstation messbar auf die Morbidität und Mortalität des Patienten sowie die Kosten von S. aureus-Infektionen aus? Dieser Frage gingen Katherine L. McGinigle et al. aus Chapel Hill, North Carolina, USA in einer ausgedehnten Literaturrecherche nach.

Hintergrund der Frage ist, dass höhere MRSA-Kolonisationsraten das Risiko für MRSA-Übertragungen zwischen einzelnen Patienten ansteigen lassen könnten und dass gleichzeitig eine MRSA-Kolonisierung mit einem signifikanten Risiko einer späteren MRSA-Infektion verbunden ist. In einer früheren Studie [Clin Infect Dis 2004; 39: 3776 – 3782] konnte gezeigt werden, dass ca. 19 % der bereits bei Aufnahme auf die Intensivstation mit MRSA kolonisierten Patienten später eine manifeste MRSA-Infektion entwickelten. Darüber hinaus entwickelten 25 % derjenigen Patienten, die während ihres Intensivaufenthaltes MRSA akquirierten, später eine manifeste Infektion.

Art und Notwendigkeit eines Routinescreenings auf MRSA werden kontrovers diskutiert. Gemeint sind Screeninguntersuchungen bei Krankenhausaufnahme mit dem Ziel, asymptomatische MRSA-Träger zu identifizieren. In manchen Fällen werden während des Krankenhausaufenthaltes in regelmäßigen Abständen, z. B. wöchentlich, erneute Untersuchungen durchgeführt, um Patienten zu identifizieren, die eine MRSA-Besiedlung auf der Intensivstation neu erwerben. Im Jahre 2003 wurden von einer angesehenen amerikanischen Fachgesellschaft (Society for Health Care Epidemiology of America) Empfehlungen veröffentlicht, die solche MRSA-Screening-Untersuchungen in Kombination mit einer Reihe wichtiger Standardhygienemaßnahmen mit Nachdruck empfahlen. Von Seiten der Centers for Disease Control (Health Care Infection Control Practices Advisory Committee) wurde eher konservativ ein routinemäßiges MRSA-Screening als Maßnahme in zweiter Linie eingestuft, wenn übliche Standardhygienemaßnahmen mutmaßliche MRSA-Übertragungen nicht ausreichend verhindern konnten.

Der Kernpunkt der Debatte ist bis heute ungelöst: Auch wenn wir die asymptomatischen MRSA-Träger identifizieren und sie isolieren können, gibt es wenig harte Daten, die zeigen, dass damit automatisch auch die Häufigkeit von MRSA-Übertragungen und die Last an MRSA-Infektionen gesenkt werden kann.

In einigen von den Autoren analysierten Studien haben Routinescreening und Isolierungsmaßnahmen die Häufigkeit von MRSA-Übertragungen zwar reduziert, in anderen Studien zeigte sich jedoch keine Senkung der MRSA-Übertragungsrate. Die Literatur zu diesem Thema ist leider in vielerlei Hinsicht äußerst heterogen: Nach welchen Kriterien sollen die Patienten ausgewählt werden und wie oft sollen sie überhaupt „gescreent” werden? Die Autoren versuchten, eine Assoziation zwischen Screening-Maßnahmen und MRSA-bezogenen Komplikationen bei hospitalisierten Patienten herzustellen.

Aus über 2500 Primärartikeln wurden 20 Artikel nach harten Kriterien in die Untersuchung eingeschlossen. Leider fanden sich nur wenige Studien, die das Qualitätskriterium „fair – einigermaßen” erfüllten und gar keine, die das Kriterium „gut” erfüllten. Es gab keine randomisierten kontrollierten Studien. Nur zwei schlossen überhaupt eine Kontrollgruppe ein. Von den 5 mit „fair – einigermaßen” qualifizierten Studien und 2 Kosten/Nutzen-Analysen konnte mit schlechter (= poor) bis mittlerer (= fair) Evidenz geschlossen werden, dass routinemäßige MRSA-Screeninguntersuchungen mit einer reduzierten Inzidenz von nosokomialen MRSA-Infektionen verbunden waren. Um es noch weiter zu komplizieren: Die Bandbreite des Ausmaßes der Screeninguntersuchungen reichte von der Untersuchung aller aufgenommenen Patienten bis hin zu Selektion von Hochrisikopatienten (z. B. solche mit mehrfachen Klinikaufenthalten, Aufnahme auf die Intensivstation, diversen Grunderkrankungen, MRSA-Nachweis in der Vorgeschichte oder regelmäßigen „ambulanten” Kontakten mit medizinischen Einrichtungen (chronische Hämodialyse). Die Richtlinie der „Society for Health Care Epidemiology of America” aus dem Jahre 2003 empfiehlt Abstriche aus der Nase und allen möglichen Hauteintrittspforten, wie z. B. Kathetereintrittsstellen oder Ulzera. Diese sollen bei Aufnahme und im weiteren Verlauf wöchentlich erfolgen. Über die Art der mikrobiologischen Testung findet sich noch kein Konsens. In Zukunft werden sicherlich PCR-basierte Verfahren wegen der potenziell kürzeren Untersuchungszeiten vorteilhaft sein. Keine der analysierten Studien jedoch berichtete über PCR-basierte Verfahren zu MRSA-Erkennung.

Auch wenn darüber kein wissenschaftlicher Konsens besteht, wurden in der Hälfte der Studien Dekolonisationsregimes unterschiedlicher Art als Teil des Interventionsprogrammes angeschlossen. In der analysierten Literatur besteht auch keine Einigkeit darüber, in welchem Ausmaß zusätzliche Isolierungsmaßnahmen in Zusammenhang mit dem MRSA-Screening durchgeführt werden sollen. Eine Möglichkeit ist, dass alle gescreenten Patienten prophylaktisch isoliert werden, bis das negative Abstrichergebnis zurückgespeist wird, was eine an sich logische Konsequenz ist. Eine andere als Kompromiss wegen Knappheit von Einzelzimmern häufig genutzte Variante ist es, eine Isolierung erst bei positivem MRSA-Nachweis einzuleiten. Bei alledem muss auch berücksichtigt werden, dass Isolierungsmaßnahmen nicht selten auch Isolierung des Patienten vom versorgenden medizinischen Personal bedeuten können. Kirkland und Weinstein beobachteten in einer prospektiven Studie [Lancet 1999; 354: 1177-1178], dass medizinisches Personal kontaktisolierte Patienten nur halb so häufig im Zimmer sahen, wie wenn keine Isolierungsmaßnahmen in Kraft waren. Andere Untersuchungen kamen zu ähnlichen Ergebnissen und fanden, dass isolierte Patienten ca. 5-mal pro Stunde im Vergleich zu 10-mal pro Stunde bei den nicht isolierten Patienten visitiert wurden. Dies ist umso bemerkenswerter, als dass die isolierten Patienten auf Intensivstationen höhere mittlere APACHE-II-Scores aufwiesen als die nicht isolierten. Eine entscheidende Variable in Bezug auf den Erfolg von Screeningmaßnahmen hinsichtlich Reduktion von MRSA-Übertragungen besteht nicht nur in der Compliance mit den Abstrichen selbst, sondern vor allem auch in der Compliance des Personals bezüglich entsprechender Isolierungs- und Standardhygienemaßnahmen. Bei sehr schlechter Compliance mit der Händehygiene können Screeninguntersuchungen diesbezüglich durchaus ins Leere laufen.

Fazit: Die Autoren schlussfolgerten, dass eine Reihe von Beobachtungsstudien einen günstigen Effekt von routinemäßigen MRSA-Screeningmaßnahmen auf die Inzidenz von MRSA-Infektionen nahelegen. Dabei ist jedoch die Qualität dieser Untersuchungen hinsichtlich ihres Evidenzgrades so schlecht, dass definitive evidenzbasierte Empfehlungen derzeit nicht gemacht werden können.Es bleibt also nach wie vor der Expertise und der individuellen Einschätzung der jeweiligen Situation durch das verantwortliche Hygienepersonal überlassen, in welchem Umfang routinemäßige Screeningmaßnahmen auf MRSA-Besiedlungen durchzuführen sind. Auch die entsprechenden Empfehlungen des Robert Koch-Institutes zu MRSA geben hier nur eine ungefähre Richtschnur vor, die immer auch an die jeweilige Situation des Hauses angepasst werden muss.

Dr. med. Thomas Hauer, Freiburg

    >