Notfall & Hausarztmedizin 2008; 34(3): 155
DOI: 10.1055/s-2008-1074789
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Suchterkennung in der Hausarztpraxis - Interventionsmöglichkeiten bei Alkoholabhängigkeit

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Publikationsdatum:
03. April 2008 (online)

 
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In Deutschland konsumieren mehr als zehn Millionen Menschen Alkohol in gesundheitlich riskanten Mengen. Etwa zwei Millionen Personen gelten als abhängig. Trotz dieser alarmierenden Zahlen haben repräsentative Studien gezeigt, dass weniger als 10% der alkoholsüchtigen Menschen eine spezifische suchtmedizinische Behandlung erhalten. Insbesondere dem Hausarzt fällt häufig die Rolle zu, die Entwicklung einer Abhängigkeit bei seinem Patienten frühzeitig zu erkennen und zu intervenieren.

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Strategie: Abwehrhaltung von Patienten umgehen

Die Verfahren zur Früherkennung von Alkoholabhängigkeit lassen sich in direkte und indirekte Maßnahmen unterteilen. Ziel der mittelbaren Strategien ist es, die Abwehrhaltung von Patienten zu umgehen und zu verhindern, dass Betroffene ihr Problem bei einer Konfrontation leugnen oder falsche Angaben zu ihrem Trinkverhalten machen. Zu den indirekten Ansätzen zählt die Erfassung von typischen Laborparametern, wie der Gammaglutamyltransferase (gGT), der Transaminasen (ALAT und ASAT), des mittleren Erythrozyten-Zellvolumens sowie des "carbohydrate deficient transferrin" (CDT). Diese biologischen Marker geben dem Hausarzt Aufschluss über die Alkoholmengen, die der Patient zu sich nimmt. Mithilfe indirekter Fragebogenverfahren erhält der Allgemeinmediziner zusätzliche Informationen über die Trinkgewohnheiten des Befragten.

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Gesprächsführung: direkt und motivierend

Dennoch sollte der behandelnde Arzt vermeiden, seinen Patienten mit Laborwerten konfrontativ zu überführen. Eine direkte Gesprächsführung bietet hier einen sensitiveren Zugang zum Alkoholproblem und fördert zugleich die Selbsteinschätzung des Betroffenen. Als besonders hilfreich haben sich in diesem Zusammenhang der "alcohol use disorder identification test" (AUDIT, AUDIT-G-M) und der "Lübecker Alkoholabhängigkeits- und -missbrauchs-Screening Test" (LAST) erwiesen. Für die tägliche Praxis wird meist eine Kurzversion des AUDIT; der AUDIT-C Test empfohlen, da er gegenüber dem LAST eine größere Sensitivität für den riskanten Alkoholkonsum aufweist. Im Falle eines positiven Screenings eignen sich beispielsweise die "Internationalen Diagnose Checklisten" um den schädlichen Gebrauch und eine Abhängigkeit zu konkretisieren.

Hauptzielgruppe für die Intervention sind Betroffene mit riskantem Alkoholkonsum, Patienten in der frühen Phase der Abhängigkeitsentwicklung und Personen mit einer geringen Motivation zur Verhaltensänderung. Für letzteren Personenkreis eignet sich insbesondere die sogenannte "motivierende Gesprächsführung". Hier kommen mehrere komplexe therapeutische Techniken mit offenen, nicht wertenden Fragen, reflektiertem Zuhören, positiver Rückmeldung und regelmäßigen Zusammenfassungen zum Einsatz. Ziel dieser Gesprächstechnik, die einer besonderen Schulung bedarf, ist die Förderung der Veränderungsbereitschaft beim Patienten.

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Kombination mit medikamentösen Maßnahmen

Das "medical management" (MM) bietet sich an, wenn die Intervention bei Alkoholabhängigkeit mit einer Pharmakotherapie kombiniert werden soll. Diese Behandlung gliedert sich in verschiedene Beratungstermine, bei denen dem Patienten Medikamente verabreicht werden und ein Einnahmeplan erstellt wird. Gleichzeitig wird der Betroffene ermutigt, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen.

Im Rahmen der medizinischen Primärversorgung können Hausärzte in Kombination mit psychotherapeutischen Maßnahmen so genannte "Anticraving Substanzen" einsetzen, wie beispielsweise den µ-Opiat-Rezeptor-Antagonisten Naltrexon. "Anticraving-Substanzen" reduzieren das Verlangen nach dem Suchtstoff und helfen so dem Patienten, abstinent zu bleiben. Eine positive Wirkung bei der Rückfallprophylaxe ist hier insbesondere für den NMDA-Rezeptor Antagonisten Acamprosat belegt. Studien haben gezeigt, dass diese Substanz die Abstinenzrate verdoppelt, wenn zum Verzicht motivierte Patienten nach einer Entgiftung ein Jahr lang damit behandelt werden.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM)

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Terminhinweis:

Symposium im Rahmen des 114. Internistenkongresses: Alkoholassoziierte Erkrankungen in Klinik und Praxis: Neue Perspektiven in Früherkennung und Therapie.

2. April 2008, 10:15 Uhr; Saal 2A/B, Rhein-Main Hallen

 
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