Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2008; 43(3): 190-195
DOI: 10.1055/s-2008-1070968
Fachwissen
Anästhesiologie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die Schwangere mit neurologischen Begleiterkrankungen – Implikationen für das peripartale Anästhesiemanagement – Teil II

Neurological diseases in pregnancy: implications for anesthesia care – Part 2Annette Griebe, Luc Aniset, Csilla Jámbor, Thomas Frietsch
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Publication Date:
18 March 2008 (online)

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Zusammenfassung

Bei Schwangeren mit neurologischen Erkrankungen sind dringliche Operationen häufiger als bei gesunden Schwangeren, die Rate an Schnittentbindungen ist aber nur leicht erhöht. Während bei gesunden Schwangeren die Vermeidung einer Gefährdung des Fetus im Vordergrund der Anästhesie steht, muss bei Schwangeren mit Begleiterkrankungen das erhöhte mütterliche Risiko mit berücksichtigt werden. Die Krankheitsverläufe vorbestehender neurologischer Schädigungen werden durch Schwangerschaft verändert, aber nicht einheitlich verschlechtert. Von den gehäuft in der Schwangerschaft auftretenden Erkrankungen hat die intrakranielle Blutung einen 65 %igen Anteil an der maternalen Sterblichkeit. Schwangerschaftsinduzierte und für die Anästhesie relevante Erkrankungen sind außer seltenen Geburtsverletzungen die Präeklamsie, Eklampsie und das HELLP–Syndrom. Die anästhesiologische Betreuung aller neurologischen Erkrankungen ist gekennzeichnet durch 1.) Kenntnis der Erkrankung und Risiken, 2.) sorgfältige, präoperative Erhebung des neurologischen Status, 3.) sichere Auswahl des Verfahrens mit Bevorzugung der Regionalanästhesie, 4.) Vermeidung von ungünstigen Medikamentenwirkungen auf die uteroplazentare und zerebrale Funktion als auch auf den Feten und 5.) intraoperatives Monitoring der neuronalen Funktion als auch der fetalen Herzfrequenz ab der 22. SSW.

Abstract

In the parturient as well as in the pregnant patient with neurological disease, surgery is necessary more frequently than in healthy pregnants. Most pregnancies of these patients will result in a slightly increased rate for cesarean section. The focus of anesthesia care is mostly to avoid damage to the fetus, in some pathologies to protect the mother. Pregnancy itself may change the course of pre–existent chronic neurological diseases such as epileptic seizure, multiple sclerosis, or myasthenia gravis. Other diseases will have their onset predominantly in pregnancy such as back pain, nerve compression syndromes, some brain tumors or cerebrovascular events. Subarachnoidal hemorrhage and intracranial bleeding contribute to 65 % of maternal mortality. Finally, pregnancy induced conditions such as eclampsia and HELLP syndrome and its management are reviewed where the concerns for the nervous system have high relevance for anesthesiological management.

Anesthesia care for the pregnant and the parturient presenting with a neurological disease requires 1.) expertise with neuroanesthesia and obstetric anesthesia care, 2.) accurate physical examination of the neurological system preoperatively, 3.) safe choice and conductance of the anesthesia technique (mostly regional anesthesia) 4.) avoidance of unfavorable drug effects for the fetus and the nervous system of the mother and 5.) intraoperative neuromonitoring together with the control of the fetal heart rate.

Kernaussagen

  • Regionalverfahren sind bei allen häufigen neurologischen Vorerkrankungen der Allgemeinanästhesie vorzuziehen.

  • Bei einer Allgemeinanästhesie für schwangere Epileptikerinnen sind prokonvulsive Substanzen und Muskelrelaxation zu vermeiden und/oder die elektrische Hirnaktivität zu überwachen.

  • Die Schwangere mit Multipler Sklerose profitiert am meisten von einer Periduralanästhesie. Eine Hyperthermie muss perioperativ vermieden werden.

  • Auch bei der Myasthenia gravis sind Regionalverfahren zu bevorzugen; jedes 5. bis 10. Neugeborene hat eine postnatale, vorübergehende Myasthenie.

  • Die Anästhesieführung bei ZNS–Tumoren und Subarachnoidalblutungen vermeidet Hyperthermie, Hypovolämie, zerebrale Hypoperfusion, Hirndruckerhöhung, Hyperventilation, Lachgas und hohe Dosierungen von volatilen Anästhetika >0,5–1 MAC.

  • Bei Guillain–Barré–Syndrom erfolgt die Ileus–Einleitung – wenn möglich – ohneVerwendung von depolarisierenden Muskelrelaxanzien.

  • Die Spinalanästhesie ist das bevorzugte Verfahren zur Entlastung von Bandscheibenvorfällen in der Schwangerschaft.

Literatur

Dr. med. Annette Griebe
Dr. med. Luc Aniset
Dr. med. Csilla Jámbor
PD Dr. med. Thomas Frietsch

Email: annette.griebe@anaes.ma.uni-heidelberg.de

Email: luc.aniset@anaes.ma.uni-heidelberg.de

Email: csilla.jambor@kssg.ch

Email: thomas.frietsch@anaes.ma.uni-heidelberg.de