Aktuelle Neurologie 2008; 35(7): 325-326
DOI: 10.1055/s-2008-1067536
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Die stationäre Neurologie wächst – die Herausforderungen wachsen mit

In-patient Health Care in Neurology is Growing – Challenges are also GrowingG.  Deuschl1
  • 1Klinik für Neurologie, Unversitätsklinikum Schleswig-Holstein
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Publication Date:
25 August 2008 (online)

Prof. Dr. med. Günther Deuschl
1. Vorsitzender der DGN

Dass die Neurologie längst zu den großen akutmedizinischen Fachgebieten gerechnet werden kann ist nicht neu. Die in diesem Heft vorliegende 8. Erhebung zur Struktur der neurologischen Kliniken der Akutversorgung in Deutschland zeigt aber detailgetreu, was in den letzten Jahren wirklich erreicht wurde. Die Kommission Qualitätssicherung / Anhaltszahlen unserer Gesellschaft unter der Leitung von C. W. Wallesch hat nunmehr zum 8. Mal einen Bericht zum Zustand der stationären Neurologie in Deutschland vorgelegt, was sehr verdienstvoll ist.

Die wichtigsten Botschaften sind folgende: Die Zahl der neurologischen Betten, der neurologischen Kliniken und der personellen und sachlichen Ausstattung hat zugenommen. Dieser Zunahme betrifft bestimmte Bundesländern ganz besonders, in denen sich die Bettenzahl seit 2002 fast verdoppelt hat. Damit wurden längst fällige Korrekturen vorgenommen. Auf fast allen Ebenen der Versorgung stehen die Zeichen für die Neurologie damit auf Wachstum. Es gibt aber gleichzeitig Bedrohungen für die stationäre Neurologie und damit für die neurologische Versorgung der Bevölkerung. Dazu gehören das Nachwuchsproblem und die Zukunft der neurologischen Intensiv- und Notfallmedizin.

Aber treten wir von dieser Momentaufnahme zurück und machen uns klar, was uns in den nächsten Jahren erwartet. Durch die Veränderung der Alterspyramide werden wir zwischen 2000 und 2035 eine Verdoppelung der Zahl der Demenzkranken und wahrscheinlich auch der Parkinson-Kranken erleben [1]. Die Zahl der Schlaganfallpatienten wird gewaltig anwachsen. Nach jüngsten Schätzungen wird die Zahl der Schlaganfallpatienten in Hessen zwischen 2005 und 2050 um 68 % steigen [2]. Die Details und die Übertragbarkeit auf andere Bundesländer sind dieser ausgezeichneten epidemiologischen Arbeit zu entnehmen. Mit anderen Worten: – die Zunahme der Prävalenz neurologischer Krankheiten ist so groß, dass wir nur sagen können, dass es noch erhebliche Kapazitätsausweitungen für die stationäre und ambulante Versorgung von neurologischen Patienten geben muss. Dies betrifft natürlich auch den neurologischen Rehabilitationsbereich.

Die neurologischen Kliniken reagieren auf diese Zunahme der Patienten mit großer Flexibilität, aber dadurch werden auch neue Probleme geschaffen. Eines der größten Probleme ist das Nachwuchsproblem. Die erhebliche Ausweitung der personellen Kapazitäten hat den Markt für neurologische Nachwuchskräfte abgesaugt. Natürlich ist die Situation regional sehr unterschiedlich. In Extremfällen müssen jetzt schon einzelne Stationen geschlossen werden wegen Mangels an ärztlichem Personal. Zwar ist dieses Problem keineswegs auf die Neurologie begrenzt. Im Gegenteil, haben andere Fächer wie die Viszeralchirurgie oder die Gastroenterologie noch größere Probleme. Heute kommen aber auf eine ausgeschriebene Facharztstelle für Neurologie nur halb so viele Bewerber wie auf den gesamten Durchschnitt aller ausgeschriebenen Facharztstellen [3]. Die Gründe für den Ärztemangel sind sicher in erster Linie strukturell, hängen mit der derzeit ärztefeindlichen Politik zusammen und führen zu einer erheblichen Nettoabwanderung von zumeist hochqualifizierten Ärzten in andere Berufe oder ins Ausland [4]. Allerdings sind auch ganz spezifische Faktoren wirksam, die wir innerhalb gewisser Grenzen in unseren Kliniken beeinflussen können. Im Folgenden will ich auf einige dieser Maßnahmen hinweisen durch die wir bezogen auf die jeweilige Klinik oder die Kliniken einer Region mehr ärztliche Mitarbeiter für die Neurologie gewinnen können.

Die Attraktivität der neurologischen Ausbildung muss weiter verbessert werden. Dazu zählt die Reorganisation des Stationsablaufes mit einer Begrenzung administrativer Tätigkeiten für die ärztlichen Mitarbeiter. Ein zweiter Aspekt ist die mitarbeiterfreundlichere Gestaltung der Dienste, die zwangsläufig in der Neurologie immer umfangreicher werden. Hier lässt sich durch intelligente Lösungen dem immer deutlicheren Verlangen nach kalkulierbarer Freizeit bei unseren Mitarbeitern nachkommen. Für besonders wichtig halte ich den Aufbau eines Facharztcurriculums. Analog den Residency-Programmen der Amerikaner müssen wir unser Facharzt-Ausbildungsprogramm besser strukturieren. Dem Bewerber müssen die Ausbildungsschritte bereits zu Anfang transparent gemacht werden und die Ausbildungsinhalte müssen konkret definiert sein. Die Gründung unserer Nachwuchsorganisation „Junge Neurologen” ist ein weiterer Baustein der DGN, um deutlich zu machen, wie wichtig uns die Nachwuchsarbeit ist und um bei den Berufsanfängern das Interesse für die Neurologie in Klinik und Wissenschaft zu fördern. Unser Fach hat durch die starke Forschung die Möglichkeit, viele junge Ärzte anzuziehen. Darauf müssen wir bauen.

Ein zweiter Faktor ist die Verbesserung der Perspektiven für den neurologischen Facharzt. Die Perspektiven des heutigen Neurologen sind vielfältig. Neben der Niederlassung bestehen heute viele Möglichkeiten als Arzt in Akut- oder Rehakliniken und zusätzlich die Möglichkeit eine akademische Karriere als Forscher oder Kliniker einzuschlagen. Einige klassische Varianten haben aber deutlich an Attraktivität eingebüßt. Die Niederlassung als Facharzt wird durch eine deutliche Zunahme der Patientenzahlen bei z. T. sogar real sinkendem Einkommen nicht gerade attraktiver [5]. Man muss davon ausgehen, dass sich der Neurologe heute im unteren Drittel der Einkommensskala der niedergelassenen Fachärzte bewegt [5]. Dies muss von der DGN und den Berufsverbänden mit der Forderung nach einer nachhaltigen Einkommensstärkung beantwortet werden. Auch die Assistenz-, Oberarzt- und Chefgehälter müssen so gestaltet werden, dass sie der Ausbildung und Verantwortung entsprechen. Diese Forderungen werden mittlerweile selbst von den privaten Klinikbetreibern aufmerksamer wahrgenommen. Alle unsere Neurologenorganisationen müssen diese Aspekte stärker in ihren Focus rücken. Es geht hier nicht um die Durchsetzung von persönlichen Interessen der Niedergelassenen, sondern um einen Aspekt der für die Berufswahl junger Nachwuchskräfte bedeutsam ist und daher auch über das Schicksal der neurologischen Versorgung in der Zukunft mitentscheiden wird.

Die Erhebung hat weitere Felder aufgedeckt, auf denen die Qualität der Versorgung bedroht ist. Dazu zählt besonders die neurologische Intensiv- und Notfallmedizin. Es ist vielerorts die Strategie der Klinikumsverwaltungen, die Intensivmedizin zu zentralisieren. Dies ist nicht sachgerecht und führt dazu, dass neurologische Erkrankungen von Ärzten behandelt werden, die in diesen Bereichen nicht erfahren sind. Zu Recht wird die fachspezifische Intensivmedizin heute von verschiedenen Fächern wie etwa der Herzchirurgie, der Kardiologie und der Inneren Medizin gefordert. Es gibt zahlreiche Argumente, die zeigen, dass die fachspezifische Intensivmedizin hinsichtlich der Ergebnisqualität und meist auch der Ökonomie effizienter ist. Zu spezifisch sind die Therapiemaßnahmen, die hier erforderlich sind und die spezifischen Erkrankungen, die Intensivpflichtigkeit nach sich ziehen, als dass sie von jedem Intensivmediziner übernommen werden könnten. Für die kardiochirurgische Intensivmedizin ist dies kürzlich gezeigt worden [6]. Auch die Ökonomie spricht für eine fachspezifische Intentensivmedizin. So wurde in einer Vergleichsstudie gezeigt, dass die Tageskosten auf einer neurologischen Intensivstation im Vergleich zu anderen Intensivstationen günstiger liegen [7]. Für kleine Häuser kann man interdisziplinäre Intensivstationen dann akzeptieren, wenn die Gesamtverantwortung für den Patienten beim Facharzt verbleibt. Es wird deshalb zu den Aufgaben der DGN und ihrer Schwerpunktgesellschaften gehören in Zusammenarbeit mit anderen Fächern mit starkem intensivmedizinischem Versorgungsbedarf für eine qualitativ gute Intensivmedizin zu werben.

Nicht alle Fachgebiete verfügen über so detaillierte Daten wie die Neurologie. Die verantwortlichen Klinikleiter sollten die Ergebnisse dieser Übersicht daher verwenden, um vor Ort die erforderlichen Strukturen einzufordern. Jede einzelne Klinik kann anhand dieser Daten genau erkennen, wo ihre Stärken und Schwächen liegen. In diesem Sinne reicht die Arbeit weit über eine reine Bestandsaufnahme hinaus.

Literatur

  • 1 Bickel H. [Dementia in advanced age: estimating incidence and health care costs].  Z Gerontol Geriatr. 2001;  34 108-115
  • 2 Foerch C BM, Sitzer M, Steinmetz H. et al, and f. d. A. S. H. (ASH) . Die Schlaganfallzahlen bis zum Jahr 2050.  Dtsch Arztebl. 2008;  105 467-473
  • 3 Martin W. Der Ärztemangel nimmt weiter zu.  Deutsches Ärzteblatt. 2008;  105 853-854
  • 4 Kopetsch T. Das Ausland lockt.  Deutsches Ärzteblatt. 2008;  105 716-719
  • 5 Albrecht M, Fürstenberg T, Gottberg A. IGES-Gutachten: Strukturen und Finanzierung der neurologischen und psychiatrischen Versorgung. Berlin; Selbstverlag 2007
  • 6 Cremer J. et al . Interdisziplinäre oder fachgebundene Intensiveinheit.  f&w. 2006;  23 648-651
  • 7 Burchardi H. Cost and Outcome study. Kosten und Leistungserfassung auf Intensivstationen deutscher Universitätskliniken. Bovenden; 2005: 10

Prof. Dr. med. Günther Deuschl

Klinik für Neurologie, Universitätsklinkum Schleswig-Holstein

Schittenhelmstr. 10

24105 Kiel

Email: g.deuschl@neurologie.uni-kiel.de

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