Suchttherapie 2008; 9(1): 30
DOI: 10.1055/s-2008-1046803
Nachruf

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Nachruf für Frau Prof. Dr. Sabine Grüsser-Sinopoli

Obituary for Professor Dr. Sabine Grüsser-SinopoliA. Heinz 1
  • 1Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Campus Charité Mitte, Charité, Berlin
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Publication Date:
05 March 2008 (online)

Am 3. Januar 2008 verstarb überraschend und tragisch Frau Professor Sabine Grüsser-Sinopoli, die führende deutsche Forscherin auf dem Gebiet der stoffungebundenen Süchte.

Frau Grüsser-Sinopoli hatte erst im Herbst 2007 die Professur für Medizinische Psychologie an der Universität Mainz angetreten. Sie hatte Psychologie, Ethnologie und Frühgeschichte in Berlin und London studiert und 1997 promoviert mit einer Arbeit zum Thema des „Zusammenhang[s] von perzeptuellen Phänomenen und kortikaler Reorganisation bei unilateraler Amputation”. Nachfolgend war Frau Grüsser-Sinopoli erst als Hochschulassistentin, dann als Privatdozentin an der Humboldt-Universität zu Berlin und später am Institut für Medizinische Psychologie in Berlin tätig. Frau Grüsser-Sinopoli war ausgebildete Suchttherapeutin und gründete im Jahr 2000 die Interdisziplinäre Suchtforschergruppe Berlin. Im Jahr 2005 habilitierte sie bei Professor Rosemeier in der Medizinpsychologie der Charité mit dem Thema „Lerntheoretische Erklärungsansätze zur Entstehung und Aufrechterhaltung von abhängigem Verhalten: Empirische Erhebungen”.

Frau Grüsser-Sinopoli hat viele Jahre mit Frau Professor Herta Flor zusammengearbeitet. In dieser Zeit entstanden vielfältige Arbeiten zur Schmerzwahrnehmung und kortikalen Reorganisation, beispielsweise publiziert in Lancet 2001 mit Bezug auf Phantomschmerzen. Im Jahr 2004 publizierte Frau Grüsser-Sinopoli als Erstautorin in Psychopharmacology die weltweit erste Arbeit, die zeigen konnte, dass die Betrachtung alkohol-bezogener Bildreize bei Alkoholabhängigen bestimmte Hirnareale aktivieren, die das Rückfallrisiko vorhersagen.

Der Schwerpunkt der Arbeiten von Frau Grüsser-Sinopoli lag im Bereich der nicht-stoffgebundenen Süchte. Hier vertrat sie bereits früh die Auffassung, dass es sich beim pathologischen Spielen und anderen derzeit als Impulskontrollstörung klassifizierten Verhaltensauffälligkeiten um Abhängigkeitserkrankungen handelt. Frau Grüsser-Sinopoli konnte zeigen, dass Menschen mit derartigen Störungen tatsächlich unter Entzugserscheinungen leiden, wenn sie das gewünschte Spiel nicht ausführen können, dass sich Verlangen und Kontrollminderung im Umgang mit der Verhaltenssucht zeigen und dass sich auch bei Untersuchungen elektrophysiologischer Korrelate Ähnlichkeiten zwischen stoffgebundenen und nicht-stoffgebundenen Süchten bei abhängig Kranken manifestieren. Immer wieder hat Frau Grüsser-Sinopoli darauf hingewiesen, dass im Bereich der nicht-stoffgebundenen Süchte die damit verbundenen Aktivitäten zumindest zu Beginn der Abhängigkeitsentwicklung positive Emotionen auslösen, wie das auch bei den übrigen Abhängigkeitserkrankungen der Fall ist. Deshalb kann dieses Kriterium genutzt werden um Suchterkrankungen von Zwangsstörungen zu unterscheiden, bei denen die Zwangshandlung der Angstabwehr dienen kann, aber eben nicht primär angenehm erlebt wird. Diese Differenzierung erscheint besonders wichtig, da sich bei chronischen Suchterkrankungen durchaus Verhaltensweisen finden lassen, die zwangsartig wirken, die sich bei den Suchterkrankungen aber phänomenologisch wie neurobiologisch von den Zwangssymptomen klar abgrenzen lassen.

Frau Grüsser-Sinopoli publizierte mehrere Monografien zu Verhaltenssüchten und war in verschiedenen Beratergremien zu diesem Thema tätig. Weiter war sie langjähriges und engagiertes Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Suchtakademie e. V.

Die kurze Übersicht über Frau Grüsser-Sinopolis engagiertes und kreatives Werk kann nicht einmal ansatzweise andeuten, welchen Verlust ihr Tod bedeutet. Sabine Grüsser-Sinopoli war eine extrem hilfsbereite, aufgeschlossene und empathische Kollegin. Sie war mit Leidenschaft und Engagement Forscherin und Psychotherapeutin. Wer das Glück hatte, sie kennenlernen zu können, mit ihr zu arbeiten und mit ihr befreundet zu sein, wird sie immer vermissen. Unser Mitgefühl gilt ihrer Familie.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. A. Heinz

Direktor, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie

Charité - Universitätsmedizin Berlin

Campus Charité Mitte

Charitéplatz 1

10117 Berlin

Email: andreas.heinz@charite.de

URL: http://www.charite.de/psychiatrie

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