Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2009; 14(1): 44-48
DOI: 10.1055/s-2008-1027448
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Prozess- und Ergebnisqualität in der Psychiatrie: Reduktion von Patientenübergriffen und Zwangsmaßnahmen bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen durch Implementation einer Kriseninterventionsstation[1]

Quality of Processes and Results in Psychiatry: Decreasing Coercive Interventions and Violence among Patients with Personality Disorders by Implementation of a Crisis Intervention WardT. Steinert1 , F. Eisele2 , U. Göser1 , S. Tschöke1 , S. Solmaz1 , S. Falk1
  • 1Abteilung Psychiatrie I der Universität Ulm, Zentrum für Psychiatrie Die Weissenau
  • 2Südwürttembergische Zentren für Psychiatrie, Medizinisches Controlling
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Publication Date:
04 February 2009 (online)

Zusammenfassung

Zielsetzung: Die Häufigkeit von Patientenübergriffen und freiheitsbeschränkenden Zwangsmaßnahmen wird als ein wichtiger Qualitätsindikator bei stationären psychiatrischen Behandlungen angesehen. In einem Benchmarking unter Beteiligung von 12 Kliniken wurden 2004 in Deutschland 36 690 Behandlungsepisoden hinsichtlich des Vorkommens von Zwangsmaßnahmen ausgewertet. In der eigenen Klinik war dabei der Anteil der betroffenen Patienten in der Diagnosegruppe ICD-10 F 6 (Persönlichkeitsstörungen) überdurchschnittlich hoch. Als Maßnahme zur Qualitätsverbesserung wurde deshalb eine spezielle Kriseninterventionsstation für diese Patientengruppe eingerichtet. Methoden: Auswertung der elektronischen Krankenakten aller Patienten mit der Diagnose F 6 in der Klinik in Bezug auf Zwangsmaßnahmen und aggressives Verhalten 1 Jahr vor und 1 Jahr nach der Implementation der Station. Ergebnisse: Die Gesamtzahl von Zwangsmaßnahmen konnte im Vergleich zum Jahr vor der organisatorischen Umgestaltung von 120 auf 17 reduziert werden. Der Anteil der Fälle, bei denen es zu aggressiven Patientenübergriffen kam, reduzierte sich von 7,0 auf 3,8 %, der Anteil von Fällen mit gerichtlicher Unterbringung reduzierte sich von 11,0 auf 3,8 %. Schlussfolgerung: Zum ersten Mal wird damit eine organisatorische Maßnahme beschrieben, die speziell für diese Patientengruppe den Zyklus von Zwang und Gewalt erfolgreich vermindern kann und damit zu einer nachweisbaren Qualitätsverbesserung führt. Dies gelang ohne eine Steigerung interner oder externer Kosten und ist ein in die Routineversorgung übertragbares Modell.

Abstract

Aim: The frequency of violent acts and coercive measures is looked upon as an important indicator of quality for in-patient treatment. In a benchmarking among 12 German psychiatric hospitals in 2004 36.690 treatment episodes were examined regarding the occurrence of coercive interventions. In the own hospital the proportion of patients with personality disorders (ICD-10 F 6) affected by such measures was higher than average. As an intervention to improve quality a special crisis intervention ward for this group of patients was established. Method: Evaluation of electronic charts regarding coercive interventions, aggressive behaviour, and involuntary commitment of all patients with diagnosis F 6 treated in the hospital one year before and one year after implementation of the crisis intervention ward. Results: The total number of coercive interventions decreased from 120 to 17 in the year after the intervention. The percentage of cases with violent behaviour decreased from 7.0 to 3.8 %, the percentage of involuntary commitments from 11.0 to 3.8 %. Conclusion: This is the first time to describe an effective intervention to reduce violence and coercion for this group of psychiatric in-patients. Thus an important amelioration of treatment quality could be achieved without an increase of internal or external cost. The model can be recommended for routine clinical care.

1 Das dieser Arbeit zugrunde liegende Projekt erhielt 2007 den 2. Preis des Golden Helix Award für Qualitätsmanagement.

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1 Das dieser Arbeit zugrunde liegende Projekt erhielt 2007 den 2. Preis des Golden Helix Award für Qualitätsmanagement.

2 Aus sprachlichen Gründen wird hier ausschließlich die maskuline Form verwendet. Gemeint sind stets Patientinnen und Patienten, wobei die Patientinnen sogar deutlich in der Überzahl sind.

Prof. Dr. med. Tilman Steinert

Abteilung Psychiatrie I der Universität Ulm, Zentrum für Psychiatrie Die Weissenau

Postfach 2044

88190 Ravensburg

Email: tilman.steinert@zfp-weissenau.de

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