Laryngorhinootologie 2008; 87(8): 583-584
DOI: 10.1055/s-2007-995568
Gutachten + Recht

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Keine Verletztenrente bei erst ein Jahr nach Unfall aufgetretener Schwerhörigkeit

Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 19. 6. 2007, L 3 U 51/05No Pension if Hearing Loss Occurs One Year after AccidentA.  Wienke1 , O.  Walter1
  • 1Wienke & Becker – Köln
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Publication Date:
24 July 2008 (online)

Sachverhalt

In einem dem Landessozialgericht (LSG) Hamburg vorliegenden Fall war die Frage zu entscheiden, ob die Hörstörung eines Schiffbauhelfers die Folge eines Arbeitsunfalls war und deshalb ein Anspruch auf Verletztenrente bestand. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger erlitt während seiner Tätigkeit als Schiffbauhelfer auf einer Werft in Hamburg einen Arbeitsunfall: Er hatte das Gleichgewicht verloren und war mit seinem behelmten Kopf gegen einen Eisenträger geschlagen. Unmittelbar nach dem Sturz klagte er über Hinterkopf-, Nacken- und Schulterschmerzen sowie über Würgereiz und Schwindel. Die erstbehandelnden Krankenhausärzte fanden am Hinterkopf eine druckschmerzhafte Schwellung bei sonst unverletzter Haut; sie diagnostizierten eine okzipitale Schädelprellung. Nach einer Woche beschrieb der Kläger noch Störungen des Geschmacks- und Geruchssinns, nach einem weiteren Monat klagte er noch über Kopfschmerzen, Schwindel sowie Flimmern vor den Augen.

Ungefähr ein Jahr nach dem Unfallereignis beschrieb der Kläger erstmals eine Hörstörung sowie Ohrgeräusche beidseits. Ein Neurologe stellte gutachtlich fest, dass die anlässlich des Unfalls erlittene Gehirnerschütterung zwischenzeitlich folgenlos ausgeheilt sei. Die weiterhin beklagten Kopfschmerzen könnten sich allenfalls als Folge einer unfallunabhängigen Halswirbelsäulen-Symptomatik darstellen, seien aber in erster Linie als depressiver Verstimmungs- und Versagenszustand zu interpretieren. Unfallfolgen seien nicht mehr festzustellen. Ein HNO-Arzt stellte zum selben Zeitpunkt eine nur geringgradige Schwerhörigkeit fest, die nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Unfallereignis zurückzuführen sei. Aufgrund dieser Begutachtungen lehnte die Berufsgenossenschaft mit Bescheid vom 25. 4. 1985 die Gewährung einer Verletztenrente ab und verwies darauf, dass die Unfallfolgen ausgeheilt seien und eine Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht bestehe. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Klage und behauptete, sein Hörvermögen habe sich gegenüber einer vor dem Unfallereignis erfolgten Hörmessung verschlechtert; diese Verschlechterung sei auf den Unfall zurückzuführen. Der vom Sozialgericht Hamburg zum medizinischen Sachverständigen bestellte Direktor einer HNO-ärztlichen Klinik betonte in seinem Gutachten, dass die aufgrund der Angaben des Klägers erstellten Hörkurven wegen einer deutlichen Aggravation nicht verwendbar seien. Unter Berücksichtung der Ergebnisse der objektiven Hörprüfungen sei jedoch anzunehmen, dass sich das Hörvermögen seit der Zeit vor dem Unfall zwar geringgradig verschlechtert habe. Hierbei handele es sich jedoch um einen schleichenden Prozess, sodass es nicht wahrscheinlich sei, dass diese Verschlechterung ursächlich auf das Unfallereignis zurückzuführen sei. Auf Antrag des Klägers wurde sodann ein weiteres HNO-ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt. Dieses gelangte zu dem Ergebnis, dass der Unfall durchaus als Ursache für die leichte Innenohrschwerhörigkeit beidseits infrage komme, aus der sich allerdings keine Minderung der Erwerbstätigkeit ergebe. Es handele sich um einen bleibenden Schaden, der aber nicht zunehmen werde. Später eventuell eintretende Verschlechterungen des Hörvermögens seien deshalb als unfallunabhängig anzusehen. Das Sozialgericht Hamburg wies die Klage des Klägers ab und führte aus, dass der Unfall keine gesundheitlichen Schäden mit einer messbaren MdE hinterlassen habe, weshalb auch kein Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente bestehe. Selbst wenn die festgestellte beiderseitige leichte Innenohrschwerhörigkeit auf den Unfall zurückzuführen sei, bedinge diese jedenfalls keine messbare MdE, und auch eine etwaige künftige Verschlimmerung sei als unfallunabhängig zu beurteilen. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung nahm der Kläger später zurück.

Knapp zwölf Jahre später behauptete der Kläger dann, die seinerzeit als unfallbedingt festgestellte leichte beiderseitige Innenohrschwerhörigkeit habe sich zwischenzeitlich erheblich verschlechtert, weshalb er nunmehr erneut die Gewährung einer Verletztenrente beantrage. Die Berufsgenossenschaft lehnte diesen Antrag wiederum ab. Der beratende HNO-Arzt führte in seiner Stellungnahme nach Auswertung der vorliegenden Audiogramme aus, dass bereits aufgrund der Ergebnisse eines Hörtests vor dem Unfall und der Befunde aus späterer Zeit eine Verschlechterung des Hörvermögens nicht zu objektivieren sei. Dementsprechend sei im HNO-ärztlichen Fachgebiet keine Unfallfolge festzustellen. Gegen diese Beurteilung erhob der Kläger erneut Klage zum Sozialgericht Hamburg. In dem Prozess wurde ein weiteres HNO-ärztliches Gutachten vorgelegt, in dem betont wurde, dass bereits die Behauptung, durch den Unfall sei ein fortschreitendes Hörleiden entstanden, abwegig sei. Die tatsächlich vorliegende gering- bis mittelgradige Schwerhörigkeit sei nicht auf den Unfall zurückzuführen. Ein weiteres Sachverständigengutachten eines HNO-Arztes bestätigte diese Einschätzung. Da der Kläger erstmals knapp ein Jahr nach dem Unfall überhaupt eine Schwerhörigkeit beschrieben habe, sei der zeitliche Abstand zu dem Unfallereignis zu groß, um einen kausalen Zusammenhang zwischen Unfall und Schwerhörigkeit herzuleiten. Bei einer unfallbedingten Hörstörung müsse sofort ein deutlicher Abfall des Hörvermögens, vergleichbar mit den Auswirkungen eines massiven Hörsturzes, vorliegen, der den Betroffenen innerhalb von Minuten oder Stunden beunruhigen würde. Ein solches Phänomen sei bei dem Kläger jedoch nicht aufgetreten.

Das Sozialgericht Hamburg wies die Klage unter Bezugnahme auf diese Ausführungen des HNO-ärztlichen Sachverständigen ab. Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung zum Landessozialgericht Hamburg ein. Das Landessozialgericht hat zunächst einen Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussichten des Berufungsverfahrens abgelehnt.

Dennoch führte der Kläger das Berufungsverfahren fort, in dessen Verlauf das LSG ein HNO-ärztliches Sachverständigengutachten nach Aktenlage erstellen ließ. Dieser HNO-ärztliche Sachverständige verwies darauf, dass bereits eine Verschlechterung des Hörvermögens bei einem Vergleich der Audiogramme aus der Zeit vor und nach dem Unfall nicht festgestellt werden könne. Die weiteren in der Akte befindlichen Audiogramme seien wegen der offensichtlichen Aggravation des Klägers nicht verwertbar. Da der Kläger jedoch erstmals ein Jahr nach dem Unfall über Hörschäden berichtete, sei der Unfall mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht für die ohnehin nicht sicher einzuschätzende beiderseitige Schwerhörigkeit ursächlich. Eine exakte Bestimmung eines Hörschadens sei aufgrund der Aggravation des Klägers nicht möglich.

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