Der bloße Verdacht auf eine therapeutische Wirkung reicht nicht
Die Frage, ob ein Produkt den Verkehrsstatus eines Nahrungsergänzungsmittels (NEM)
oder eines Arzneimittels (AM) hat bzw. haben kann, ist seit Jahrzehnten ein Dauerbrenner,
der Hersteller und Konsumenten gleichermaßen verunsichert. Sicher ist bisher lediglich,
dass ein Produkt nicht gleichzeitig NEM und AM sein kann, d. h. dass eine Abgrenzung
unabdingbar erforderlich ist.
Im Bereich der Abgrenzung von NEM und AM hat sich im Lauf der Zeit ein kostenträchtiges
Biotop von Behörden, Gremien, Sachverständigen, Beratern, spezialisierten Juristen,
etc. etabliert, ohne dass jedoch die erforderliche Sicherheit verbessert worden wäre.
Es kommt hinzu, dass sich in Europa unterschiedliche nationale und europäische Bewertungen
überlagern, die das regulatorische Chaos weiter verstärken. Für die Hersteller kann
unter diesen Bedingungen das in den Verkehr bringen eines Produktes zu einem Glücksspiel
mit hohem Kostenrisiko werden, für den Konsumenten geht jede Transparenz verloren.
Auch die zahlreichen Urteile verschiedener Gerichte haben diese Unsicherheit nicht
beheben können.
In dieser Situation ist nun kürzlich in einigen seit mehr als zehn Jahren (!) anhängigen
Verfahren ein höchstrichterliches Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG) ergangen
bzw. die Revision der beklagten Bundesrepublik Deutschland abgewiesen worden (BVerwG
3 C 21.06, Urteil vom 25. Juli 2007). Mit diesem für Konsumenten wie Hersteller sehr
erfreulichen Urteil wird die Rechtssicherheit in der Abgrenzung deutlich verbessert.
Insbesondere wird mit diesem Urteil der beliebten behördlichen Praxis ein Riegel vorgeschoben,
dass Produkte, die als NEM in den Verkehr gebracht werden, ohne weiteres als Arzneimittel
eingestuft werden können, dann wegen fehlender Zulassung als nicht verkehrsfähig bewertet
und so aus dem Markt gedrängt werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat nun in seinem
Urteil explizit ausgeführt, es gehe nicht an, zum Verzehr bestimmte Produkte einfach
auf Verdacht den Arzneimitteln zuzurechnen. Wenn zuverlässige wissenschaftliche Erkenntnisse
über therapeutische Wirkungen oder gesundheitliche Risiken für Inhaltsstoffe von Nahrungsmitteln
in einem bestimmten Dosierungsbereich fehlen, so ist es zukünftig unzulässig, diese
Inhaltsstoffe auf bloßen Verdacht hin zu Arzneimitteln zu erklären und ihnen dann
wegen dieser fehlenden Erkenntnisse die Verkehrsfähigkeit abzusprechen. Eine Einstufung
von Produkten als Arzneimittel kann nach dem Urteil nur bei Vorliegen belastbarer,
beweiskräftiger Erkenntnisse über therapeutische Wirkungen erfolgen und nicht bei
Nicht-Vorliegen derartiger Erkenntnisse.
Ausgangspunkt der Kontroverse war beispielsweise ein NEM in Tablettenform, das 50
mg aus Traubenkernen gewonnene Bioflavanole (oligomere Procyanidine) enthält, eine
Stoffgruppe, die unstreitig in zahlreichen Nahrungsmitteln wie Rotwein oder Äpfeln
vorkommt und zu der keine gesicherten Erkenntnisse über therapeutische Wirkungen oder
gesundheitliche Risiken auch in höherer Dosierung vorliegen. Das Bundesamt für Verbraucherschutz
und Lebensmittelsicherheit sah dieses Produkt als Arzneimittel an und sprach ihm die
Verkehrsfähigkeit ab. Die dagegen gerichteten Klagen wurden von einem Verwaltungsgericht
abgewiesen, anschließend wurde ihnen von einem Oberverwaltungsgericht stattgegeben.
Das BVerwG hat nun die Revision der beklagten Bundesrepublik Deutschland zurückgewiesen.
Dies bedeutet, dass eine Behörde, die in der Zukunft ein Nahrungsergänzungsmittel
zu einem Arzneimittel erklärt, belastbares, beweiskräftiges Erkenntnismaterial für
die therapeutische Wirkung vorlegen muss. Insofern kann das Urteil des BVerwG zukünftig
auch für die Zulassung von Inhaltsstoffen von Nahrungsmitteln als Arzneimittel von
Bedeutung sein, da auf diese von der Behörde als beweiskräftig akzeptierten Erkenntnisse
zurückgegriffen werden kann.
Alles in allem ein sehr erfreuliches und überfälliges Urteil.
Prof. Dr. Dr. Karlheinz Schmidt