Wie PD Dr. Michael Überall aus Nürnberg auf einem Symposium während des Deutschen
Schmerztages [1] 2007 berichtete, erhielt jeder Versicherte der Gesetzlichen Krankenversicherung
im Jahr 2005 im Mittel 13,8 definierte Tagesdosen (DDD) entzündungshemmende Analgetika.
Davon seien NSAR mit 95% am häufigsten verordnet worden, so Überall. Da im gleichen
Zeitraum 13,1 definierte Tagesdosen (DDD) der Präparate zur Behandlung säurebedingter
Erkrankungen verschrieben worden seien, liege der Zusammenhang nahe, dass die gastrointestinalen
Nebenwirkungen der NSAR durch Gabe weiterer Medikamente kompensiert werden, folgerte
Überall.
Substanzbezogene Risiken gastrointestinaler Blutungen
Substanzbezogene Risiken gastrointestinaler Blutungen
Von den derzeit verordneten NSAR wurde Naproxen zum neuen Goldstandard erklärt, "obwohl
es bezüglich seiner Schleimhautschädigungen in der Kurzzeittherapie nur im Mittelfeld
der NSAR liegt", kritisierte Überall (Abb. [1]). Als problematisch sieht er, dass es sich bei allen NSAR um Säuren handelt, die
den Magen-Darm-Trakt, Leber, Nieren und Herz-Kreislauf-System belasten. "Mit der Einführung
von Cox-2-Hemmern konnten zumindest die gastrointestinalen Nebenwirkungen reduziert
werden", zeigte Überall. So ergab eine Untersuchung über drei Monate, dass Celecoxib
in verschiedenen Dosierungen (50 mg, 100 mg, 200 mg und 400 mg zweimal täglich) hochsignifikant
weniger gastroduodenale Schleimhautulzerationen verursachte als Naproxen (2 x 500
mg/d) [3]. 2005 untersuchte eine Metaanalyse die substanzbezogenen Risiken gastrointestinaler
Blutungen unter verschiedenen NSAR und Cox-2-Hemmern [4]. Dabei zeigte Naproxen ein 7-8-fach höheres Risiko für gastrointestinale Blutungen
im Vergleich zu den Cox-2-Inhibitoren Celecoxib und Rofecoxib.
Abb. 1 Substanzbezogene Risiken gastrointestinaler Blutungen unter NSAR [2]
Abb. 2 Peritonitis: Perforation des Magen-Darmtraktes durch NSAR
Eine frühe wirtschaftliche Analyse nach den britischen National Institute for Health
and Clinical Excellence (NICE)-Kriterien ergab, dass Patienten mit folgenden Kriterien
trotz des höheren Kostenanteils mit Cox-2-Hemmern behandelt werden sollten:
-
Patienten ab 65 Jahre
-
Gastroduodenale Ulzera oder Blutungen in der Anamnese
-
Gleichzeitige Einnahme von Medikamenten, die die Entwicklung gastrointestinaler Probleme
erhöhen könnten
-
Patienten mit ernsthaften Begleiterkrankungen (z. B. kardiovaskuläre Erkrankungen,
Nieren- oder Leberfunktionsstörungen, Diabetes mellitus oder arterieller Hypertonie)
-
Patienten, die über einen längeren Zeitraum konventionelle NSAR in einer Höchstdosis
benötigen.
Begründet wurde dies dadurch, dass die Folgekosten durch Nebenwirkungen von NSAR "so
eklatant höher sind, sodass es wirtschaftlich unsinnig wäre, Patienten diesem Risiko
auszusetzen", erklärte Überall. Eine Studie in den neuen Bundesländern untersuchte,
wie oft Patienten mit medikamentösen Nebenwirkungen ins Krankenhaus kommen. "Dabei
waren Nebenwirkungen im Verdauungstrakt mit fast 39% der häufigste Grund", zeigte
Überall. Verantwortlich für diese Nebenwirkungen waren hauptsächlich Entzündungshemmer
- dabei seien die frei verkäuflichen NSAR nicht berücksichtigt, betonte Überall.
Obduktionen weisen Substanz und gastroduodenale Ulzera nach
Obduktionen weisen Substanz und gastroduodenale Ulzera nach
Auch Prof. Dr. med. Michael Tsokos aus Berlin kennt die Todesursache aufgrund gastrointestinaler
Blutungen aus rechtsmedizinischen Obduktionsstatistiken. "Wir können mithilfe chemisch-toxikologischer
Untersuchungen die Substanz und ihren Wirkstoffspiegel nachweisen", erklärte er. Die
Prävalenz in Obduktionen liegt bei 1-3%. Dabei sind Ulzera und in der Folge Blutungen
sowie hämorrhagischer Schock die häufigsten Komplikationen. Im Jahr 2001 untersuchte
er, ob NSAR postmortal nachweisbar sind, beziehungsweise ob es eine Assoziation von
todesursächlichen Komplikationen gastroduodenaler Ulzera mit der Einnahme von NSAR
gibt. Dazu wurden prospektiv alle Obduktionen (1 139 Fälle) innerhalb von zwölf Monaten
bezüglich tödlicher Ulcuskomplikationen untersucht. Es fanden sich zwölf Fälle, die
den Kriterien entsprachen. Davon konnten in sieben Fällen NSAR nachgewiesen werden,
andere Substanzen wie ASS, Kortikoide oder orale Antikoagulanzien, konnten ausgeschlossen
werden. Somit war ein Zusammenhang mit der Einnahme von NSAR anzunehmen. "Schaut man
in die Literatur, sollen in mehr als 65% der Fälle NSAR ursächlich für eine Ulcuspathogenese
sein", betonte Tsokos. Daraus schließt er, dass ein nicht ausreichend gewürdigtes
Risiko zwischen NSAR und schweren, letal verlaufenden gastrointestinalen Nebenwirkungen
besteht - auch bei Patienten unter 60 Jahren. Vermutlich besteht zusätzlich eine hohe
Dunkelziffer von Fällen, die in der Todesstatistik nicht erfasst werden.
NSAR plus PPI schützen nur den oberen Gastrointestinaltrakt
NSAR plus PPI schützen nur den oberen Gastrointestinaltrakt
"Problematisch bei gastrointestinalen Läsionen ist, dass die Patienten uns keine Alarmzeichen
senden, denn sie spüren nichts", warnte Prof. Rainer Wigand aus Frankfurt a. M. 1997
starben in den USA 16 500 Menschen nur durch gastrointestinale Schädigungen aufgrund
von NSAR, in Deutschland sterben zirka 2 200 Patienten jährlich durch NSAR-induzierte
gastrointestinale Komplikationen [5], und das, so Wigand, "obwohl wir jährlich rund 200 Millionen Euro dafür aufwenden,
diese Komplikationen zu therapieren oder zu verhindern." Hinzu kommen enorme Kosten
durch Arbeitsausfälle. "Das interessiert aber keinen, da wir ein sektorales Gesundheitssystem
haben", bemängelte er. In England beispielsweise erfolgt aufgrund der NICE-Kriterien
eine andere Berechnung. Hier wird beurteilt, wie viel der Patient insgesamt kostet,
unabhängig davon, in welchem Bereich die Kosten anfallen.
So empfiehlt die KV Hessen, NSAR gemeinsam mit Protonenpumpenhemmern (PPI) zu verordnen,
um Ulzerationen effektiver zu verhindern. Teure Coxibe seien zu vermeiden. "Das ist
falsch", sagte Wigand, und auch Überall argumentierte, dass selektive Protonenpumpenhemmer
nur den oberen Gastrointestinaltrakt schützen. Die Nebenwirkungen seien aber auch
im unteren Bereich relevant. Bereits 2005 zeigten Untersuchungen, dass Naproxen unter
dem Schutz des Protonenpumpenhemmers Omeprazol vielfach häufiger Schleimhautläsionen
verursachte, als ein Cox-2-Inhibitor.
"We are still confused, but on a higher level"
"We are still confused, but on a higher level"
Bei Arthrose und rheumatischen Erkrankungen haben sich laut Wigand alle Coxibe in
ihrer Wirksamkeit äquipotent zu NSAR erwiesen. Ein Rückblick auf Studien zu Coxiben
zeigt folgendes: die VIGOR-Studie mit Rofecoxib ergab, dass ein kardiovaskuläres Problem
bestehen könnte. In der CLASS-Studie mit Celecoxib in der doppelten Dosis (800 mg/Tag)
konnten keine kardiovaskulären Risiken gefunden werden. Die APPROVe-Studie mit Rofecoxib
in erhöhter Dosierung sollte das Auftreten maligner Folgeerkrankungen untersuchen.
"Sie war letztendlich der Todesstoß für Rofecoxib, da hier die VIGOR-Daten bestätigt
worden sind", fasste Wigand zusammen. Bei der APC-Studie zeigte sich unter erhöhter
Dosierung von Celecoxib ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Dagegen bestand in der
PreSAP-Studie gegen Placebo kein erhöhtes Risiko. In der ADAPT-Studie zeigte sich
ein erhöhtes Risiko für Naproxen gegen Placebo, nicht aber für Celecoxib gegen Placebo.
"Das Problem dabei ist, dass immer gegen Placebo getestet wurde", betonte Wigand,
ein kardiovaskuläres Risiko bestehe auch bei klassischen NSAR, dazu gebe es aber keine
Studien. "Aber nur weil wir keine Evidenz haben heißt das nicht, dass keine Risiken
bestehen", folgerte er. Die MEDAL-Studie, die Etoricoxib gegen Diclofenac bei Rheumapatienten
testete, lieferte erstmals "harte Daten": Beide Substanzen ergaben ein identisches,
leicht erhöhtes kardiovaskuläres Risiko.
Laut Wigand wissen wir heute folgendes:
-
NSAR und Coxibe sind gleich wirksam
-
Coxibe sind gastrointestinal signifikant verträglicher als NSAR
-
Die momentane Datenlage besagt, dass keine Unterschiede zwischen Coxiben und NSAR
bezüglich ihrer kardiovaskulären Toxizität bestehen.
"Ansonsten ist nichts anderes belegt, alles andere ist Politik", folgerte Wigand.
Abb. 3 Häuftigkeit schwerer gastrointestinaler Schleimhautschädigungen im Alltag [6]
Vorgehen in der täglichen Praxis
Vorgehen in der täglichen Praxis
Für das Vorgehen in der täglichen Praxis empfiehlt Wigand folgendes: Hat der Patient
Schmerzen, muss geklärt werden, um welche Art von Schmerz es sich handelt. Liegt ein
Prostaglandin-vermittelter Entzündungsschmerz vor, ist ein antiphlogistisches Analgetikum
indiziert. Die Entscheidung, ob ein NSAR oder ein Coxib verordnet wird, orientiert
sich an international festgelegten gastrointestinalen Risikofaktoren. Ist der Patient
in fortgeschrittenem Alter, besteht eine Ulcusanamnese, eine schwere Allgemeinkrankheit,
die Einnahme von Steroiden oder Antikoagulanzien sowie selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer,
ist ein Coxib zu wählen. Bestehen keine gastrointestinalen Risikofaktoren, sind NSAR
oder ein Coxib indiziert.
Um die Tagestherapiekosten von Coxiben und NSAR zu vergleichen rechnete Wigand folgendermaßen:
Diclofenac und Omeprazol als Magenschutz kosten zusammengerechnet als Generika 1,25
Euro pro Tag. Celecoxib kostet täglich 1,30 Euro, Etoricoxib zirka 1,53 Euro pro Tag.
"Worüber wir uns unterhalten sind 5 Cent höhere Tagestherapiekosten", rechnete Wigand,
"damit schützen wir den Darm gleich mit, den wir mit PPI nicht erreichen."
"Medikamente benötigen also eine gewisse Intelligenz in der Anwendung", proklamierte
Überall, "einen differenzierten Zugang, ein Abwägen und ein individuelles Anpassen.
Dabei sei Naproxen in einigen Fällen durchaus richtig. Für ein differenziertes Vorgehen
ist aber das gesamte Spektrum wichtig, dazu gehören auch die Cox-2-Hemmer, betonte
er.
ts
Mit freundlicher Unterstützung der Pfizer Pharma GmbH, Karlsruhe