Balint Journal 2007; 8(4): 133-134
DOI: 10.1055/s-2007-990501
Buchbesprechung

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Psychoanalyse der Lebensbewegungen. Zum körperlichen Geschehen in der psychoanalytischen Therapie - ein Lehrbuch

P. Geißler, G. Heisterkamp
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Publication History

Publication Date:
04 January 2008 (online)

2007, Wien, New York, Springer Verlag. 680 Seiten, 25 Abbildungen, gebunden, 89,95 €, 146,50 CHF, ISBN 978-3-211-48608-5

Die Psychoanalyse entdeckt den Körper

Das Buch erhebt den Anspruch eines Lehrbuchs und “setzt sich zum Ziel, die körperliche Dimension im Wirkungsgeschehen zwischen Patient und Therapeut psychoanalytisch und psychotherapeutisch zu erschließen” (S. V). Dabei liegt der Fokus “ganz im praktischen und behandlungstechnischen Vorgehen” (S. V). Leider wird auf eine ausführliche historische Darstellung der Vorläufer einer solch erweiterten Psychoanalyse - genannt werden Ferenczi, Balint, Winnicott und Reich - verzichtet und damit einer heutzutage zunehmend in Mode kommenden weitgehend ahistorischen Betrachtungsweise Vorschub geleistet. Zudem wäre zu fragen, wo Pioniere wie Georg Groddeck oder Felix Deutsch bleiben. Auch sucht man Begriffe wie “Massage” im Sachregister vergeblich. Nicht vergessen werden sollte zudem, dass kein geringerer als Sigmund Freud ursprünglich bei seinen Hypnoseexperimenten mit Berührung begonnen hat, das Weglassen dieser Praxis dann aber auch für die Entwicklung der psychoanalytischen Technik eine conditio sine qua non war.

Es ist zweifellos richtig, wenn die Herausgeber im Vorwort davon sprechen, dass “in einer körperlichen Haltung oder einem einzigen Lächeln…sich oft eine dermaßen große Fülle an möglichen Bedeutungen verbirgt, dass wir sie sprachlich nur mühsam und höchstens annäherungsweise erfassen können” (S. VI). Dass der in den vergangenen zwanzig Jahren entstandene “Gärungsprozess” (S. V) im Spannungsfeld von Psychoanalyse und Körpertherapie noch nicht zum Stillstand gekommen ist, sieht man auch an den Schwierigkeiten, das was getan wird, begrifflich zu fassen. “So sprechen die einen von körperorientierter Psychoanalyse, andere von analytischer Körperpsychotherapie, leibfundierter Psychoanalyse, psychoanalytischer Körperpsychotherapie, psychoanalytisch basierter Körperpsychotherapie oder Körperpsychotherapie analytischer Orientierung. So ist einmal vom Leib und dann wieder vom Körper die Rede” (S. VI).

Das Buch ist in fünf große Kapitel gegliedert: “Grundlagen und neuere psychoanalytische Konzepte”, das Zentralkapitel “Psychoanalyse der Lebensbewegungen”, “Analyse der Lebensbewegungen in der Gruppe”, “Spezielle Anwendungen” sowie “Weiterbildung und Ausblick”. Einführend sind Gedanken zum Thema von Hans Müller-Braunschweig vorangestellt. Er streicht heraus, dass das Buch auch zu einer Darstellung moderner Ansätze in der Psychoanalyse wird.

Joachim Küchenhoff fasst seinen Beitrag unter dem Begriff der Inszenierung zusammen, Gabriele Poettgen-Havekost sieht das Trauma als “erstarrte Lebensbewegung” und verdeutlicht, wie stark auch die moderne Säuglingsforschung die Arbeit mit dem Körper beeinflusst hat. Abgesehen von schwer traumatisierten Patienten kann sich die körperorientierte Psychotherapie auch bei schweren Störungen wie der Anorexia nervosa bewähren, deren Behandlung mit einer Körpertherapie analytischer Orientierung Rudolf Maaser ausführlich schildert. Angela von Arnim, Peter Joraschky und Hedda Lausberg beschreiben in ihrem Beitrag zur “Körperbild-Diagnostik” den “Körperbild-Struktur-Test”, bei dem eine Annäherung an das Körpererleben mit dem “Plastizieren einer menschlichen Gestalt mit geschlossenen Augen” durch den Patienten angestrebt wird. Zuweilen wird das dargestellte Körperbild zur “Landkarte der erlebten Traumatisierungen”. Somit lässt sich der Test also auch therapeutisch nutzen.

Die Frage “körperbezogene oder verbale Intervention” wird im Beitrag von Thomas Reinert am Beispiel von Patienten mit Borderline-Symptomatik diskutiert. Der Beitrag von Ursula Volz-Boers weist darauf hin, wie wichtig es ist, dass der Therapeut mit seinem eigenen Körpergefühl in gutem Kontakt ist. Sie lässt es daher zu, “dass der desintegrierte Affekt des Patienten einen Raum in meinem Körpererleben findet” und verarbeitet Körperempfindungen zu Bildern und Phantasien, die im Zusammenhang mit traumatischen Erlebnissen der Patienten stehen. Dabei geht es im Wesentlichen um die Verbindung zwischen sensomotorischem Empfinden und Sprache. Durch das Zusammenspiel von Therapeutin und Patient entsteht etwas Neues, im Sinne einer “Gestalt”, die ein neues Entwicklungspotenzial besitzt.

Vor dem Hintergrund des - oft polemisch vorgebrachten Vorwurfs des “verkopften Vorgehens” - sehen die Herausgeber “die gegenwärtige Psychoanalyse immer deutlicher vor einer historischen Entwicklungsaufgabe” (S. V). Die Beiträge dieses Bandes zeigen, dass die Psychoanalyse in den vergangenen Jahren in vieler Hinsicht “in Bewegung” geraten ist (S. 13). Daher wäre es zweckmäßig, dass der Zugang zum eigenen Körpererleben auch in der psychoanalytischen Ausbildung und der Ausbildung anderer psychotherapeutischer Schulen mehr beachtet, angeregt und angeboten würde, denn “die verbale Intervention steht in den Diskussionen immer wieder in einem Spannungsverhältnis zu Interventionen auf der Körperebene” (S.17). Selbsterfahrung in körperorientierter Psychotherapie kann von daher auch die Wirkung der verbalen Kommunikation in der Therapie verstärken. Das würde besonders für Verfahren gelten, die sprachlichen Ausdruck und Arbeit mit dem Atem einschließen.

Erfreulich ist, dass viele Fallbeispiele das Buch angenehm lesbar machen und die theoretischen Erörterungen illustrieren. So wird anhand der vorgestellten Episoden deutlich, wie eingestreute Körperarbeit bei schweren Störungen innerhalb der Einzel- oder Gruppenarbeit zu wesentlichen emotionalen Erlebnissen führt, die auch frühe und / oder traumatische Inhalte berühren können, vorher nicht gefühlte Trauer oder tiefen Schmerz erleben lassen. Die zahlreichen Beispiele verschiedenster Krankheitsbilder führen die Leser zu basalen Formen des Gewahrwerdens, Erfassens und Behandelns. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis und ein Index der Fallvignetten runden das Buch ab.

Fazit: Das Buch ist nicht billig, aber lesenswert. Wer sich über den gegenwärtigen “state of the art” der Körpertherapie informieren will, findet hier eine Fundgrube in einem ansprechend geschriebenen Lehrbuch.

Steffen Häfner, Tübingen

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