Der Klinikarzt 2007; 36(8): 439
DOI: 10.1055/s-2007-986463
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Venöse Thromboembolie

Sebastian M. Schellong
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Publication Date:
23 August 2007 (online)

Tiefe Beinvenenthrombose und Lungenembolie gelten heute als zwei verschiedene klinische Manifestationen derselben Erkrankung. Ist doch pathophysiologisch eine Lungenembolie immer die Verschleppung eines Blutgerinnsels aus der Körperperipherie in die Pulmonalarterien. In der Tat kann man mit entsprechend sensitiven Verfahren bei zwei Dritteln der Patienten mit Beinvenenthrombose klinische, stumme Lungenembolien nachweisen - und bei bis zu 90 % aller Patienten mit Lungenembolie findet sich die dazugehörige Beinvenenthrombose. Daher verwundert es nicht, dass nicht nur bezüglich der Therapie, sondern sogar bei der Diagnostik viele Gemeinsamkeiten dieser beiden Erkrankungen bestehen.

Das Verständnis von den Ursachen der venösen Thromboembolie war in den vergangenen 15 Jahren mehrfach einem starken Wandel unterworfen. Zwar ist das Konzept der sogenannten „multifaktoriellen Genese” weiterhin tragfähig, die Gewichtung innerhalb dieses Konzeptes aber hat sich verschoben. Heute unterscheiden wir zwei - im Wesentlichen gleich große - Ursachengruppen: Entweder ist das thromboembolische Ereignis klar einem vorübergehenden oder auch andauernden Risikofaktor anzulasten, sei es eine Operation, ein Trauma, eine akute Erkrankung, eine Immobilisierung, eine Schwangerschaft bzw. eine Tumorerkrankung oder ein Antiphospholipidsyndrom. Findet sich auch bei vertiefter Umfelddiagnostik kein solcher Risikofaktor, spricht man von einem idiopathischen Ereignis.

Den gemeinsamen Rahmen für diese beiden Gruppen bildet ein inzwischen immer besser verstandenes Spektrum thrombogener Varianten des Gerinnungssystems. Als in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts die Tür zum Verständnis dieses genetischen Hintergrunds mit der Entdeckung der Resistenz gegen aktiviertes Protein C (APC-Resistenz) und der zugrunde liegenden Faktor-V-Leiden-Mutation aufgestoßen wurde, glaubte man, die wesentliche, auch individuelle Determinante für die venöse Thromboembolie gefunden zu haben. Heute haben wir durch unser Wissen um die Vielfalt der genetischen Thrombophilien zwar viel über die Thrombogenese im Allgemeinen dazugelernt, für die Beratung eines einzelnen Patienten gewinnen wir daraus aber nur sehr selten echte Klarheit.

Insbesondere für die schwierige Frage der Dauer der Antikoagulation nach einem venösen thrombembolischen Ereignis bleiben nur ganz einfache, mit der Anamnese allein zu klärende Kriterien: Bestand ein vorübergehender, gut abzugrenzender Risikofaktor, ist das Wiederholungsrisiko sehr gering und die Erhaltungstherapie kann sich auf wenige Monate beschränken, in denen der Körper mit der Reparatur des thrombembolischen Ereignisses beschäftigt ist. Bei andauernden Risiken kann dagegen jederzeit ein neues Ereignis auftreten, sodass auch eine dauerhafte Erhaltungstherapie indiziert ist. Aber auch das idiopathische Ereignis hat ein hohes Wiederholungsrisiko. In diesem Fall würde man von vornherein ein ganzes Jahr antikoagulieren, um danach über die dauerhafte Verlängerung nachzudenken - allerdings immer unter Berücksichtigung des Wiederholungsrisikos.

Und erstaunlich genug, aber wahr: Wer als erstes Ereignis eine Beinvenenthrombose hatte, wird im Falle eines Rezidivs zu 80-90 % wieder eine Beinvenenthrombose bekommen. Und für die Lungenembolie gilt genau dasselbe. Die eine gemeinsame Erkrankung 'venöse Thromboembolie' manifestiert sich offenbar beim selben Patienten vorzugsweise auf dieselbe Weise. Bedenkt man die unterschiedliche Gefährlichkeit der beiden Manifestationen, liegt auch hierin ein wichtiges Entscheidungskriterium für die Erhaltungstherapie.

Prof. Dr. Sebastian M. Schellong

Dresden

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