PiD - Psychotherapie im Dialog 2007; 8(4): 303-304
DOI: 10.1055/s-2007-986280
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Borderline-Störungen - Ein ideales Feld der Therapieintegration?

Henning  Schauenburg, Michael  Broda
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Publication Date:
27 November 2007 (online)

Aufmerksamen Lesern ist bestimmt nicht entgangen, dass dieses Heft erstmals in der achtjährigen Geschichte unserer Zeitschrift ein Thema „wiederholt”. Im Heft „Borderline-Störungen” vom Dezember 2000 schrieb Ulrich Streeck in seinem Editorial: „Angesichts der Vielfalt der Symptomatik und Beschwerden, unter denen eine Borderline-Störung auftreten kann, und angesichts dessen, dass sowohl PatientInnen mit vergleichsweise geringfügigen Beeinträchtigungen als Borderline-Persönlichkeitsstörung diagnostiziert werden, wie auch PatientInnen, die außerordentlich schwer gestört und beeinträchtigt sind, eignet sich die Borderline-Störung wie kaum eine andere psychische und psychosoziale Störung dazu, die Diskussion zwischen verschiedenen psychotherapeutischen Richtungen zu fördern. Und wie kaum eine andere Störung zeigt sich im Zusammenhang mit der Behandlung vor allem von schwerer gestörten Borderline-Patientinnen, dass ein einziger therapeutischer Zugangsweg alleine oftmals nicht ausreicht.”

Dieses Statement entstand zu einem Zeitpunkt, zu dem erstmals spezifische psychotherapeutische Behandlungsverfahren für PatientInnen mit Borderline-Störungen etabliert wurden. Dies allein war ein Fortschritt, galten die betroffenen PatientInnen doch jahrzehntelang als quasi psychotherapeutisch nicht behandelbar. In den 70er- und 80er-Jahren, als die Versorgungssituation im Bereich der Psychotherapie insgesamt besser wurde, gab es zwar Versuche, diese PatientInnen psychotherapeutisch zu behandeln, allerdings schienen dabei entweder die PatientInnen oder die TherapeutInnen oder beide überfordert zu sein. Voller Schrecken wussten manche TherapeutInnen von Borderline-PatientInnen in ihrer Klientel zu berichten, die ihnen auf die eine oder andere Weise „die Hölle heiß machten”. So tauchte auf einer anderen Ebene der Nimbus der Unbehandelbarkeit wieder auf.

Betrachtet man dann die in den 90er-Jahren in manualisierter Form entwickelten Verfahren auf psychodynamischer und verhaltenstherapeutischer Seite, so fällt auf, dass sie durch eine sehr starke Betonung der Rahmen- und Struktursetzung bzw. der Eingrenzung ausufernder Impulse und Affekte und der Bescheidenheit zu erreichender Therapieziele gekennzeichnet waren. Diese Beschränkung und Bescheidenheit sollte sich als äußerst fruchtbar für die weitere Entwicklung erweisen.

In den Jahren, die seit der Veröffentlichung unseres ersten Heftes zur Thematik vergangen sind, hat in kaum einem anderen Feld der Psychotherapie eine vergleichbare Bewegung und „kreative Explosion” stattgefunden. Praktisch jede Therapieschule hat begonnen, ihre Konzepte spezifisch auf die Behandlung von PatientInnen mit Borderline-Störungen zuzuschneiden. Parallel dazu hat sich ein breites Feld vernetzter ambulanter, teilstationärer, stationärer und betreuender Versorgungsangebote entwickelt.

Auf diese Weise erhielten immer mehr PatientInnen mit entsprechenden Beeinträchtigungen eine angemessene Therapie So konnte das Augenmerk darauf gerichtet werden, dass natürlich die Diagnose Borderline-Störung ein breites Spektrum umfasst und dass, nicht zuletzt anhand weiterer Persönlichkeitsmerkmale, Untergruppen abzugrenzen sind, die allenfalls noch die Affektregulationsstörung sowie die Impulsivität als gemeinsamen Nenner haben. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch die Diskussion um den Anteil traumatischer Lebenserfahrungen in der Entwicklung von Borderline-Persönlichkeitsstörungen, die zu einer weiteren „Diversifizierung” beigetragen hat (vgl. PiD Heft 4/2006).

Nicht zuletzt führt die neue Sichtweise auf PatientInnen mit schweren Persönlichkeitsstörungen und die verbesserten Behandlungsmöglichkeiten dazu, dass wir unsere PatientInnen länger begleiten und so die Vielfalt möglicher Verläufe kennenlernen. Auch erfahren wir mehr über ihr Leben jenseits therapeutischer Interventionen, sozusagen den „gesunden Anteil ihres Alltages”. Und nicht zuletzt ist auch die „El Dorado-Stimmung” in der neurobiologischen Forschung und funktionellen Bildgebung an den PatientInnen nicht spurlos vorübergegangen. Es häufen sich die spezifischen Befunde, die uns eine Ahnung davon geben, in welchen Bereichen die Affektregulation und Impulsbeeinträchtigungen zu lokalisieren sind. Auch wenn diese korrelativen Studien uns vielleicht im Moment klinisch noch wenig helfen, sind sie doch Ausgangspunkt für später mögliche Beobachtungen von kognitiv-affektiven Prozessen und Verschränkungen und evtl. auch für die Entwicklung sehr spezifischer „Trainingsverfahren”, von denen die betroffenen PatientInnen profitieren könnten.

Was hat uns also bei der Zusammenstellung dieses Heftes interessiert:

Zum einen wollten wir wissen, was aus den bereits im ersten Heft zu Borderline-Störungen breit dargestellten therapeutischen Konzepten der verschiedenen Schulen inzwischen geworden ist. Wie sie sich entwickelt haben, wie sie modifiziert wurden, welche Ausweitungen der Indikation stattgefunden haben und nicht zuletzt welche Studien inzwischen durchgeführt wurden, die auch „evidenz-basierte” Aussagen zur Wirksamkeit erlauben. Wir wollten neu entwickelte Verfahren darstellen und zuletzt das Augenmerk darauf legen, wo es Gemeinsamkeiten aber auch Unterschiede zwischen ihnen gibt, die evtl. Anlass sein können, in der Zukunft differenzielle Indikationsstellungen für unsere PatientInnen zu finden. Wir wollten, wie erwähnt, Langzeitverläufe betrachten, die uns vielleicht auch in unserer therapeutischen Tätigkeit eine Hilfe sein können, insofern sie unseren, manchmal durch die Heftigkeit der Krisen unserer PatientInnen, nahe gelegten Pessimismus zu relativieren bzw. uns klar zu machen, dass es jederzeit berechtigt ist, Hoffnung zu haben, dass unsere PatientInnen zu einem eigenständigeren und weniger belasteten Leben finden können. Wir wollten sehen, welche Anwendung die therapeutischen Verfahren im psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgungsnetz finden. Uns haben die neuen Befunde aus der Neurobiologie interessiert, aber auch der „zukunftsträchtige” Aspekt der Mutterschaft bei erkrankten Patientinnen.

Zu Beginn gaben wir Experten, die sich in diesem Feld einen Namen gemacht haben, unabhängig voneinander den Raum, in diesem Sinne zu zentralen Fragen Stellung zu nehmen. Dies auch, um zu sehen, wo Divergenzen und Konvergenzen in den etablierten psychotherapeutischen Herangehensweisen zu finden sind, aber auch um ein Gefühl dafür zu bekommen, welcher generelle „Trend” sich in den heutigen Behandlungskonzepten zur Borderline-Störung widerspiegeln mag.

Wo sich hier gemeinsame, aber auch divergierende Tendenzen zeigen, und ob wir erhellende Antworten auf unsere Fragen bekommen haben, werden wir und Sie als LeserInnen am Ende des Heftes wissen. Zunächst wünschen wir Ihnen eine anregende und bereichernde Lektüre.

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