Dialyse aktuell 2007; 11(3): 45-46
DOI: 10.1055/s-2007-985534
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Jeder vierte Nierentransplantierte ist non-compliant - Mangelnde Therapietreue gefährdet transplantierte Nieren

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01 August 2007 (online)

 
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Die lebenslange korrekte Einnahme der immunsuppressiven Medikamente ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass ein Transplantat seine Funktion behält und im fremden Körper überlebt. Allerdings erweist sich die Annahme, Transplantierte hätten generell eine besonders gute Compliance, um ihrem Transplantat die optimalen Voraussetzungen für den langfristigen Erhalt der Funktion zu geben, als falsch. Dies zeigen auch die Ergebnisse verschiedener Studien.

Zwei große Metaanalysen zahlreicher Studien an Nierentransplantierten legen erschreckende Zahlen offen: Die mittlere Prävalenz von Non-Compliance betrug 22,3 bzw. 27,7 % [5], wobei die Spannbreite zwischen 2 und 67 % lag [2]. Dabei wurde als Non-Compliance das Vergessen oder Auslassen einzelner Dosen, bewusste Therapiepausen (sogenannte "drug holidays"), das Ändern der Dosierung oder die fallweise verspätete Einnahme des Immunsuppressivums definiert. Zu vergleichbaren Ergebnissen kam eine große prospektive Studie, in der 22,6 % der Patienten als non-compliant identifiziert wurden (Abb. [1]; [12]).

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Abb. 1 Non-Compliance (Mittelwerte) nach Nierentransplantation in verschiedenen Studien (nach [2], [5], [12])

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Risiko für akute Abstoßungen und Transplantatverluste erhöht

Die Konsequenzen von Non-Compliance bei der Einnahme immunsuppressiver Medikamente liegen auf der Hand. Aufgrund der variierenden Exposition mit dem Immunsuppressivum ist eine kontinuierliche gleichmäßige Suppression der gegen das Transplantat gerichteten Immunantwort nicht gegeben. Die Non-Compliance ist wahrscheinlich der wichtigste Risikofaktor für späte akute Abstoßungen, diese wiederum sind ein wesentlicher Risikofaktor für chronische Transplantatnephropathie ("chronic allograft nephropathy", CAN) und Transplantatverlust [12].

In der genannten prospektiven Studie wurden die Folgen von Non-Compliance über fünf Jahre untersucht. Bei 21,2 % der Patienten, die im ersten Jahr nach Transplantation als non-compliant identifiziert worden waren, traten späte akute Abstoßungen auf. Die Abstoßungshäufigkeit bei den Patienten, die die Immunsuppressiva korrekt eingenommen hatten, lag dagegen bei 8 % (Abb. [2]). Non-Compliance erhöhte somit das Risiko für späte akute Abstoßungen um den Faktor 3,2 (Cox-Regressionsanalyse). Non-Compliance war zudem mit einer deutlich schlechteren Nierenfunktion assoziiert, was sich bei diesen Patienten in einem signifikant höheren Anstieg des Serumkreatinins manifestierte (Abb. [3]; [12]).

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Abb. 2 Anteil der Patienten ohne späte akute Abstoßungen bei Non-Compliern und Compliern(p = 0,03) (modifiziert nach Vlaminck, [12])

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Abb. 3 Veränderung des Serumkreatinins bei Non-Compliern und Compliern (p < 0,001) (modifiziert nach Vlaminck, [12])

Die beiden Metaanalysen bestätigten diese Zusammenhänge. Auch sie zeigten eine starke Korrelation zwischen Non-Compliance und einer erhöhten Inzidenz von späten akuten Abstoßungen sowie Transplantatverlusten [2], [5]. Butler et al. kamen in ihrer Studie zu dem Ergebnis, dass bei mangelnder Therapietreue das Risiko für Transplantatverluste versiebenfacht ist und 36% der Transplantatverluste mit Non-Compliance assoziiert waren [2]. Die Analyse von Denhaerynck et al. ergab, dass jede fünfte späte akute Abstoßung und jeder sechste Transplantatverlust auf die Nichteinhaltung des immunsuppressiven Therapieregimes zurückzuführen war [5].

Da Non-Compliance ein beeinflussbarer Risikofaktor für CAN und erhöhte Morbidität ist, sind die Überprüfung der Compliance und das Verständnis der Einflussfaktoren essenziell, um rechtzeitig geeignete Maßnahmen zur Verbesserung der Therapietreue einzuleiten.

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Non-Compliance multifaktoriell bedingt

Die Compliance ist ein multidimensionales Phänomen, das durch das Zusammenspiel von etwa 200 Faktoren aus fünf Kategorien determiniert wird. Es handelt sich dabei um sozioökonomische, patientenbezogene, krankheitsbezogene und therapiebezogene Faktoren. Hinzu kommen Faktoren, die im Zusammenhang mit dem Behandlungsteam und dem Gesundheitssystem stehen. Weit verbreitet ist noch die Meinung, die Compliance werde hauptsächlich von Faktoren beeinflusst, die im Patienten selbst liegen. Diese jedoch gehören nur zu einer von fünf Kategorien, das heißt eine Vielzahl weiterer Faktoren kann das Verhalten des Patienten und dessen Vermögen, seine Behandlung korrekt durchzuführen, beeinträchtigen [11]. Häufig identifizierte Risikofaktoren für Medikamenten-Non-Compliance sind in Tabelle [1] aufgeführt.

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Tab. 1 Häufig identifizierte Risikofaktoren für Medikamenten-Non-Compliance

Wesentliche, die Compliance beeinflussende Faktoren sind in der Medikation selbst begründet. Komplexe Einnahmeschemata mit unterschiedlichen Medikamenten, eine Vielzahl von Tabletten und spezielle Einnahmemodalitäten stellen hohe Anforderungen an den transplantierten Patienten. Die Korrelation zwischen der Häufigkeit der erforderlichen Tabletteneinnahmen und Non-Compliance ist in der Medizin allgemein bekannt und wurde für unterschiedliche chronische Erkrankungen wie Arthrose, Diabetes mellitus und Morbus Parkinson nachgewiesen [9].

Dies trifft auch auf die immunsuppressive Therapie bei transplantierten Patienten zu. Wie eine prospektive Studie zeigte, ist die Dosierungsfrequenz ein unabhängiger Risikofaktor für Non-Compliance bei der Einnahme von Immunsuppressiva. Folglich lässt sich mit einer täglichen Einmalgabe die Wahrscheinlichkeit für eine gute Compliance gegenüber einer Zweimalgabe mehr als verdoppeln (Abb. [4]; [13]). Eine Metaanalyse verschiedener Studien kam zu dem Ergebnis, dass der beste Prädiktor für eine gute Compliance eine einfache Therapie ist [7].

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Abb. 4 Wahrscheinlichkeit für Compliance in Abhängigkeit von der Dosierungsfrequenz (modifiziert nach Weng, [13])

Ein enger Zusammenhang besteht zudem zwischen Nebenwirkungen der Medikation, Lebensqualität und Compliance. Besonders häufig führen kosmetische Nebenwirkungen der Immunsuppression wie Gingivahyperplasie, Hypertrichose oder Stiernacken zu einem Nichteinhalten der Therapieschemata. Sie haben primär keinen Einfluss auf Morbidität und Mortalität, können für den Patienten allerdings eine extreme subjektive Belastung darstellen, seine Lebensqualität negativ beeinflussen und zur Non-Compliance bis hin zum Therapieabbruch führen [3], [6].

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Strategien zur Förderung der Compliance

Strategien zur Verbesserung der Compliance verfolgen drei Ziele, nämlich die Prävention der Non-Compliance, die kontinuierliche Beachtung potenzieller Symptome für Non-Compliance (Compliance-Monitoring), um Non-Compliance so früh wie möglich zu erkennen, sowie die umgehende Intervention bei Identifikation einer Non-Compliance [6].

Die Grundlage zur Prävention von Non-Compliance bildet die Schulung des Patienten über die Erkrankung und die notwendige Medikation. Dazu gehört in erster Linie die Information über die Relevanz der regelmäßigen und pünktlichen Einnahme der immunsuppressiven Medikation sowie über potenzielle Nebenwirkungen. Von besonderer Bedeutung ist die Schulung von Verhaltensstrategien. Sie beinhaltet vor allem den sicheren Umgang mit den Medikamenten und Erinnerungshilfen zur Sicherung einer regelmäßigen und pünktlichen Einnahme sowie Maßnahmen zur Optimierung der Lebensqualität. Je nach Persönlichkeitstypus des Patienten kann auch Bedarf an emotionaler Unterstützung bestehen [6].

Die Patientenschulung alleine genügt meist nicht zur Sicherung der Therapietreue. Denn wesentliche Faktoren, welche die Medikamenten-Compliance beeinflussen, sind die Häufigkeit der erforderlichen Medikamenteneinnahme und die Verträglichkeit der Therapie. Dabei gilt: "Je einfacher die Verordnung, desto besser die Compliance" [10]. Eine Verbesserung der Compliance ist bei Immunsuppressiva zu erwarten, deren Einnahme einfach ist und die nur einmal täglich einzunehmen sind. Subjektiv als nicht akzeptabel empfundene Nebenwirkungen müssen bei der individuellen Auswahl der Immunsuppression Berücksichtigung finden.

Dr. Hedwig Weisser, München

Dieser Text entstand mit freundlicher Unterstützung der Astellas Pharma GmbH, München

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Literatur

  • 01 Bunzel B . Laederach-Hofmann K . Solid organ transplantation: are there predictors for posttransplant noncompliance? A literature overview.  Transplantation. 2000;  70 (5) 711-716
  • 02 Butler JA . et al . Frequency and impact of nonadherence to immunosuppressants after renal transplantation: a systematic review.  Transplantation. 2004;  77 (5) 769-776
  • 03 De Geest S . Moons P . The patient's appraisal of side-effects: the blind spot in quality-of-life assessments in transplant recipients.  Nephrol Dial Transplant. 2000;  15 (4) 457-459
  • 04 Denhaerynck K . et al . Prevalence and risk factors of non-adherence with immunosuppressive medication in kidney transplant patients.  Am J Transplant. 2007;  7 (1) 108-116
  • 05 Denhaerynck K . et al . Prevalence, consequences, and determinants of nonadherence in adult renal transplant patients: a literature review.  Transpl Int. 2005;  18 (10) 1121-1133
  • 06 Kugler C . et al . Compliance nach Organtransplantation. Einfluss von Lebensqualität und Arzt-Patienten-Beziehung.  Dtsch med Wochenschr. 2007;  132 (1-2) 40-44
  • 07 Laederach-Hofmann K . Bunzel B . Noncompliance in organ transplant recipients: a literature review.  Gen Hosp Psychiatry. 2000;  22 (6) 412-424
  • 08 Nonnast-Daniel B . Spezielle Probleme der Transplantationsnachsorge bei Adoleszenten.  Transplantationsmedizin. 2005;  17 22-25
  • 09 Richter A . et al . The impact of reducing dose frequency on health outcomes.  Clin Ther. 2003;  25 (8) 2307-2335
  • 10 Robbins ML . Medication adherence and the transplant recipient: helping patients at each stage of change.  Transplant Proc. 1999;  31 (4A) 295-305
  • 11 Sabaté E . Adherence to long-term therapies: evidence for action. World Health Organisation, 2003. 
  • 12 Vlaminck H . et al . Prospective study on late consequences of subclinical non-compliance with immunosuppressive therapy in renal transplant patients.  Am J Transplant. 2004;  4 (9) 1509-1513
  • 13 Weng FL . et al . Race and electronically measured adherence to immunosuppressive medications after deceased donor renal transplantation.  J Am Soc Nephrol. 2005;  16 (6) 1839-1848
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Literatur

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Abb. 1 Non-Compliance (Mittelwerte) nach Nierentransplantation in verschiedenen Studien (nach [2], [5], [12])

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Abb. 2 Anteil der Patienten ohne späte akute Abstoßungen bei Non-Compliern und Compliern(p = 0,03) (modifiziert nach Vlaminck, [12])

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Abb. 3 Veränderung des Serumkreatinins bei Non-Compliern und Compliern (p < 0,001) (modifiziert nach Vlaminck, [12])

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Tab. 1 Häufig identifizierte Risikofaktoren für Medikamenten-Non-Compliance

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Abb. 4 Wahrscheinlichkeit für Compliance in Abhängigkeit von der Dosierungsfrequenz (modifiziert nach Weng, [13])