"Deutschland, ein Diabetesland", so kommentierte Prof. Oliver Schnell vom Institut
für Diabetesforschung in München die Tatsache, dass sich bei uns in den nächsten Jahren
eine enorme Zunahme der Zahl von am Typ-2-Diabetes erkrankten Menschen abzeichnet.
Waren vor wenigen Jahren noch 5-6 % in der Altersgruppe zwischen 20 und 79 Jahren
betroffen, sind es schon derzeit mehr als 9 % und ein weiterer Anstieg ist vorprogrammiert.
Weltweit, und das ist nach den Angaben von Schnell eine eher konservative Schätzung,
wird die Zahl der Betroffenen von etwa 194 Millionen im Jahr 2003 auf mindestens 333
Millionen im Jahr 2025 steigen.
Die meisten Diabetiker sterben nicht am Diabetes, sondern an kardiovaskulären Erkrankungen,
diese sind mit einem Anteil von rd. 75 % die häufigsten Todesursachen. Weitere Komplikationen
sind die diabetische Retinopathie (in den Industrieländern die häufigste Ursache für
eine Erblindung), die Nierenschädigung (Diabetiker stellen die bei weitem größte Gruppe
bei dialsysepflichtigen Menschen), der Schlaganfall (verdoppeltes Risiko bei Diabetes)
und die Amputation (bei den unteren Extremitäten 15- bis 40mal häufiger bei Menschen
mit Diabetes). Die Komplikationen sind es auch, die Kosten für die Versorgung der
Diabetiker in die Höhe treiben. Der Krankenhausaufenthalt ist dabei mit 50 % der größte
Kostenblock, das Insulin ist mit nur 5 %, die oralen Antidiabetika sogar mit nur 2
% beteiligt. Grund genug also, hier mit intensiven präventiven und therapeutischen
Regimen aktiv zu werden, um das Auftreten der Komplikationen und Spätschäden zumindest
hinaus zu zögern.
Zuerst versagt die Betazelle
Zuerst versagt die Betazelle
In der Betazell-Masse herrscht ein dynamisches Gleichgewicht zwischen Verlust und
Neogenese. Bei Nichtdiabetikern regenerieren sich die Betazellen, bereits im Stadium
der Insulinresistenz ist die Funktion der Betazelle aber gestört, erklärte Schnell.
Dem versucht der Körper, mit einer gesteigerten Insulinsekretion gegenzusteuern. In
der weiteren Entwicklung hin zu Typ-2-Diabetes nimmt dann aber die Insulinproduktion
ab, es kommt zum Betazellversagen - dem Diabetes - und zur prä- und postprandialen
Hyperglykämie. Unter den heute überwiegend eingesetzten Therapieregimen mit Sulfonylharnstoff
und Metformin erschöpft sich die Betazellfunktion, auch bei Diabetikern, die ausschließlich
diätetisch behandelt worden sind, ist dies der Fall. Es müssen deshalb neue therapeutische
Wege gesucht werden.
Ein neuer Ansatz
Ein neuer Ansatz
Als Antwort auf die Nahrungszufuhr werden vom Darm so genannte "Inkretine" in den
Blutkreislauf sezerniert, um den Blutglukosespiegel zu senken. Dabei besitzt das GLP-1
(Glucagon-like Peptide-1) besondere Bedeutung, weil es abhängig von der Höhe des Blutglukosespiegels
die Insulinsekretion anregt, erklärte Prof. Michael Nauck vom Diabeteszentrum in Bad
Lauterberg. In mehreren Studien wurde gezeigt, dass Inkretine bei Stoffwechselgesunden
für etwa 60 % der gesamten postprandialen Insulinsekretion verantwortlich sind, bei
Menschen mit Diabetes aber kann die durch Inkretine vermittelte Insulinsekretion sehr
viel geringer ausfallen [1], [2]. Zur Behebung dieser Stoffwechselstörung stehen im Prinzip zwei Ansätze zur Verfügung:
-
Die Hemmung der enzymatischen Degradierung des endogen freigesetzten GIP (gastric
inhibitory peptide) und GLP-1 durch DPP-4-Inhibitoren, und
-
die Aktivierung des GLP-1-Rezeptors durch Peptide, die eine Resistenz gegenüber der
DPP-4-Spaltung sowie eine verlängerte biologische Halbwertszeit aufweisen (Inkretin-Mimetika).
Ein ideales Antidiabetikum wäre aufgrund seines multimodalen Wirkprofils das GLP-1:
Es stimuliert die Insulinsekretion in strenger Abhängigkeit von der Blutglukosekonzentration,
es hemmt die Glukagonsekretion, verzögert die Magenentleerung und steigert das Sättigungsgefühl.
Sein Nachteil: Es ist therapeutisch nicht zu verwenden, weil es innerhalb ganz kurzer
Zeit (weniger als zwei Minuten) im Organismus durch das Enzym DPP-4 (Dipeptyl-Peptidase-4)
inaktiviert wird.
Ein Ausweg bot sich mit der Entdeckung, dass sich im Speichel der Krustenechse Heloderma
suspectum der Wirkstoff Exendin-4 findet, der in seiner Wirkung dem GLP-1 vergleichbar
ist, im Organismus aber nicht durch das Enzym DPP-4 abgebaut wird. Dieser Wirkstoff
wurde für die klinische Anwendung synthetisiert und durchlief als "Exenatide" ein
umfangreiches toxikologisches und klinisches Prüfprogramm.
Mit GLP-1 vergleichbar, aber stabil
Mit GLP-1 vergleichbar, aber stabil
Wie GLP-1 kann Exenatide die Insulinsekretion aus den Betazellen fördern und gleichzeitig
die Glukagonfreisetzung unterdrücken - die Regulation erfolgt streng blutglukoseabhängig,
d.h. bei normalen Werten haben Inkretin-Mimetika wie Exenatide keine Wirkung. Die
Steigerung der postprandialen Insulinsekretion deutet darauf hin, dass die erste Phase
der Insulinsekretion wieder hergestellt wird, die bei Menschen mit Typ-2-Diabetes
gestört ist [3]. Da der schnelle, erste Insulinpeak die postprandialen Glukosespitzen reduziert,
kann die Therapie mit Exenatide zu einem glatteren Blutzuckerprofil beitragen.
Die zusätzliche Gabe von Exenatide bei mit Metformin oder Sulfonylharnstoff mit unzureichendem
Ergebnis behandelten Typ-2-Diabetikern führte zu besseren HbA1c-, Nüchtern- und postprandialen Werten [4], [5], [6]. Bei offener Fortsetzung der Medikation über die Studiendauer von 30 Wochen hinaus
blieb die Wirkung auch über 82 Wochen noch erhalten [7] und ging bei den meisten Patienten mit einer Gewichtsreduktion einher, betonte Schnell
bei der Zusammenfassung der bisher vorliegenden Studienergebnisse (Tabelle [1]).
Tab. 1 Studienergebnisse mit Exrnatide
Byetta® hat die europäische Zulassung für die Kombinationstherapie mit Metformin,
einem Sulfonylharnstoff oder beiden, wenn mit den oralen Antidiabetika keine ausreichende
Blutglukosekontrolle (mehr) erreicht wird - das Medikament wird ab Mitte 2007 für
die Therapie zur Verfügung stehen.
Ein Standardpen für alle
Ein Standardpen für alle
Byetta® wird mit einem Fertigpen zur subkutanen Injektion in den Dosierungen 5 und
10 µ angeboten. In den ersten vier Wochen der Therapie werden zweimal täglich 5 µ
vor dem Frühstück und Abendessen subkutan injiziert. Danach beträgt die Standarddosis
zweimal täglich 10 µ. Im Unterschied zur Insulinbehandlung ist keine Dosistitration
erforderlich, auch zusätzliche Schulungsmaßnahmen oder engmaschige Blutzucker-Selbstkontrollen
sind nicht erforderlich, so Schnell. Zwischen zwei s.c.- Applikationen sollten nach
Schnell sechs Stunden liegen, der Wirkspiegel bleibe nach einer Injektion etwa für
sechs bis acht Stunden erhalten. Versuche mit einer dreimal täglichen Anwendung (Phase-II-Studie)
hätten keine besseren Ergebnisse erbracht. Hat ein Patient ein anderes Lebensprofil
mit Hauptmahlzeiten zu Mittag und am Abend, sei es eventuell für ihn vernünftiger,
die Injektion am Mittag und am Abend zu machen, sagte Schnell in der Diskussion, betonte
aber, dass dies keine Empfehlung aus der Studienlage heraus, sondern eine aus der
Praxis (ärztliche Kunst) sei.
Günther Buck
Quelle: "Erstes Inkretin-Mimetikum Exenatide zur Therapie des Typ-2-Diabetes. Zulassung
für Byetta® in Europa", Pressekonferenz von Lilly Deutschland GmbH am 17. Januar 2007
in Berlin