Notfall & Hausarztmedizin 2007; 33(5): 227
DOI: 10.1055/s-2007-984420
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Diskussion über den Hausarzt: Was haben wir in der in den letzten 10 Jahren dazugelernt?

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Publication Date:
25 June 2007 (online)

Vor ziemlich genau einer Dekade habe ich auf einem allgemeinmedizinischen Kongress einen Vortrag gehalten mit dem Thema „Stirbt der Allgemeinarzt aus?”. Außer einem müden Gähnen hat die Tatsache, dass der Berufswunsch Hausarzt bei Medizinstudenten zwischen 1989 und 1995 von über 30 % auf unter 10 % gesunken war, damals keine Reaktion hervorgerufen. Inzwischen ist die vorhergesagte Krise da: weltweit entscheiden sich immer weniger Medizinstudenten für eine Weiterbildung in Allgemeinmedizin.

Dafür gibt es sicher viele Ursachen, die schwierig zu ändern sind. Unter den vermeidbaren ist in Deutschland neben einem Theorie- und Hightech-lastigen Medizinstudium sicher auch das Verhalten unserer Standesvertreter zu nennen. Es vergeht so gut wie kein Monat, ohne dass sich ein junger Kollege an mich wendet und mir über Schwierigkeiten berichtet, die unsere Selbstverwaltung dem allgemeinärztlichen Nachwuchs bereitet. Das schlimmste Beispiel ist der ewige Hickhack um die Weiterbildung. In einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen wird die Verwirrung hier bis ins Absurde gesteigert: Die im Rahmen der Weiterbildung abgeleisteten psychosomatischen Kurse werden nicht anerkannt. In jedem Bereich sind die Bestimmungen der Psychosomatischen Grundversorgung anders. Für die Abrechnung der Ziffern wird manchmal die Belegung bei einem zur Weiterbildung in Psychotherapie ermächtigten Kursleiter gefordert. Im Rahmen der Weiterbildung waren aber logischerweise zur Weiterbildung in Allgemeinmedizin ermächtigte Kursleiter tätig, die auch die Psychosomatische Grundversorgung abrechnen durften.

Nun hat der deutsche Ärztetag gerade wieder den Allgemeininternisten eingeführt. Ich kann diese Entscheidung gut nachvollziehen. Dabei habe ich das Beispiel eines Chefarztes vor Augen, der wieder gehen musste, nachdem er als Spezialist in einem kleinen Teilbereich der Inneren Medizin - wie es an einer Universitätsklinik ja durchaus sinnvoll ist - vor den alltagspraktischen Aufgaben eines Krankenhauses auf dem „platten Lande” kläglich versagte. Obwohl es also gute Gründe für den Allgemeininternisten gibt, steht uns jetzt wahrscheinlich wieder der Streit der Funktionäre um die Weiterbildung ins Haus und damit darüber, wer der beste Hausarzt sei. Auf ausländischen Kongressen löse ich Lacherfolge aus, wenn ich über meine „Laufbahn” als Praktischer Arzt, Arzt für Allgemeinmedizin, Arzt für Allgemeinmedizin - hausärztliche Versorgung, Facharzt für Innere und Allgemeinmedizin berichte. Jetzt also wieder eine neue Diskussion über den Hausarzt? Bitte, liebe Leute, macht das nicht. Ich kann in meiner Abteilung in Leipzig jede Diskussion über die Hausarztweiterbildung am Abknicken der Berufswunschkurve bei meinen Medizinstudenten ablesen. Mittlerweile ist diese Kurve bis gegen Null gegangen - da kann ich mit praxisnahen Angeboten an der Universität nicht punkten.

Allen, die es gut meinen und die mit dafür sorgen wollen, dass der Hausarzt an der vordersten Linie des Gesundheitswesens die bestmögliche Qualifikation bekommt, darf ich sagen: Ich kenne mittlerweile Kollegen, die ohne irgendeine Weiterbildung Praxen „unter der Hand” übernommen haben. Ich kenne Kollegen aus der Ukraine, die die Ansicht vertreten, ein 60-Jähriger dürfe angesichts seines Alters ruhig sterben und die dennoch bei uns praktizieren dürfen - während sich der deutsche Weiterbildungsassistent noch auf dem Weg durch die Institutionen befindet. Zurzeit läuft die größte Enteignungswelle, die der Mittelstand je erlebt hat: „Praxisschließung mangels Nachfolger”! Alte Kollegen brauchen vor allem eines: Junge Nachfolger. Junge Kollegen brauchen vor allem eines: Einen kurzen und überschaubaren Weg zur beruflichen Qualifikation als Hausarzt, möglichst wenige Altvordere, die ständig den Berufsalltag bejammern und Vertreter an der Spitze der ärztlichen Organisationen, Kassenärztlichen Vereinigungen, Ärztekammern und Fachgesellschaften, die es dem Nachwuchs leichter statt schwerer machen. Funktionäre aller Provenienzen vereinigt euch, begrabt das Kriegsbeil und packt es endlich an: Die hausgemachten Barrieren vor dem Ziel, Hausarzt zu werden, müssen beiseite geräumt werden!

Literatur

  • 1 Family practice a tough sell.  CMAJ. 2007;  176
  • 2 Stirbt der Allgemeinarzt aus? - Ergebnisse einer Befragung über die Berufswünsche von Medizinstudenten Z Allg Med(Kongress-Abstracts).  1997;  73

Prof. Dr. med. Hagen Sandholzer

Leipzig

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