Notfall & Hausarztmedizin 2007; 33(4): 175
DOI: 10.1055/s-2007-982888
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Von der Unwahrscheinlichkeit, sich zu verstehen

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Publication Date:
29 May 2007 (online)

Kommunikation ist alles, offenbar ALLES entscheidend im sozialen Kontext. Denn was bleibt, wenn diese herausgerechnet wird beispielsweise in der Begegnung zwischen dem Arzt und seinem Patienten? Paul Watzlawik wird uns in Erinnerung bleiben mit der These „Wir können nicht nicht kommunizieren”. Da läuft offenbar ständig das Kommunikationsprogramm, egal, ob Worte ins Spiel kommen, ein Seufzer zu hören ist, eine Handbewegung, ein Lächeln zu sehen, der Ton die Musik macht. Wir können uns da nicht entziehen. Dabei ist das Sprechen alleine, wie auch das Hören und Schreiben, noch längst keine Kommunikation. Ein Laborbefund bleibt somit zunächst ,stumm', er kommuniziert nicht, solange dieser im Postfach liegt. Und „jemand, der in der Wüste ruft und von niemandem gehört wird, hat nichts gesagt - außer für sein eigenes psychisches System oder für Gott ...” [1]. Der Laborbefund wird erst ,Kommunikation', wenn dieser sich als Information mitteilt und eben auch verstanden wird, einen ,Adressaten' gefunden hat, einen ,Anschluss', hier einen Fachkollegen oder den betroffenen Patienten. „Die allgemeine Definition von Kommunikation besagt, sie sei die fortlaufend reproduzierte Synthese von Information, Mitteilung und Verstehen” [1].

Wie soll das aber angehen, sich verständlich zu machen, die Laborwerte so zu vermitteln, dass sie ,verstanden' und ,richtig' interpretiert werden im Sinne der Messung? Dabei kann von der Annahme ausgegangen werden, dass der Empfänger, hier also der Patient, und nicht der Sender, der Arzt, die Bedeutung des Gesagten bestimmt. Somit kann eben nicht vorausgesetzt werden, dass sich bei der Mitteilung: „Ihre Werte sind Mittelwerte und befinden sich im Normbereich” der Patient freut und beruhigt ist, sondern durchaus ins Grübeln kommen kann und seinen Vorstellungen und Gedanken weiter nachgeht. Selbst wenn sich der Patient unverstanden vorkommt, muss das allerdings noch längst nicht heißen, dass damit die Kommunikation unterbrochen, gescheitert oder beendet ist. Verstehen im Sinne von „wenn ich sage, die GGT ist in Ordnung”, ist dann nicht daran gekoppelt, dass der Patient genau dasselbe sagt und meint und sich genau darauf ausrichtet, wie der Arzt ,es' meint und versteht.

Sehr voneinander verschiedene Vorstellungen scheinen sich aufzutun sowohl beim Sprecher als auch Empfänger der entsprechenden Nachricht. Jede Seite scheint je nach ihrem Erfahrungshintergrund zu verstehen und zu deuten, ohne einander verstehen zu müssen, ja zu können. Wenn wir folglich anstelle von „haben Sie mich verstanden?” fragen: „Wie haben Sie das verstanden? Was ist Ihre Meinung?”, werden wir überraschende Antworten bekommen. Auch lohnt sich zu erkunden, an welchen Zeichen und Dingen Patienten festmachen, verstanden worden zu sein. Einer ist begeistert, dass sich der Arzt Zeit nimmt, ein anderer würdigt, die anstehenden Behandlungen ausführlich erklärt zu bekommen und aufmerksam behandelt zu werden. Und an welchen Punkten machen wir Ärzte und Therapeuten fest, verstanden worden zu sein? Eine gemeinsame „Verständnisbasis” zu erlangen, im Sinne von „ich verstehe genau das, was du sagst”, rückt dann erstaunlicherweise immer mehr ins Unwahrscheinliche.

Literatur

  • 1 Fuchs P. Das Gehirn ist genauso doof wie die Milz.  Weilerswist: Velbrück Verlag. 2005; 

Dipl.-Psych. Katrin Große

UniversitätsSchmerzCentrum

Dresden

Dr. med. Ulrich Rendenbach

Allgemeinmedizin Universität Leipzig

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