Notfall & Hausarztmedizin 2007; 33(2): 55-56
DOI: 10.1055/s-2007-973515
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Gute Hausärztliche Praxis / Gute Notfallmedizinische Praxis - Ein Infokonzept für die Fünf-Minuten-Medizin

Further Information

Publication History

Publication Date:
14 March 2007 (online)

Die letzte Notfall & Hausarztmedizin war irgendwie anders - das ist Ihnen sicher aufgefallen. Sie präsentiert sich in einem neuem Layout, sie enthält eine Originalarbeit aus der Allgemeinmedizin, die einem Peer Review unterzogen wurde (wie weitere Artikel), und anscheinend bietet sie auch mehr Praxisrelevantes - wie die bisher zugesandten Leserbriefe bestätigen. Dazu gibt es die neue Serie „Gute Hausärztliche Praxis”: In der Januar-Ausgabe starteten wir mit einer Doppelseite für die Helferin zum Thema „Blutdruckmessung”, diesmal bieten wir Ihnen, dem Arzt/der Ärztin, zwei Seiten über „Husten” und in der nächsten Ausgabe eine Doppelseite für Mütter mit kranken Kindern. Warum „Gut” und nicht „sehr gut”, fragte ein Kollege? Gut, weil sehr gut für uns Haus- und Rettungsärzte, die an vorderster Front die Patienten versorgen, übertrieben wäre. Denn überall und für jede Fragestellung gäbe es jemanden der es besser wüsste, der noch mehr an Inhalt reinpacken wollte und unseren Anspruch auf „sehr gut” sofort vom Elfenbeinturm der absoluten Erkenntnis falsifizieren könnte. Primärmediziner und Generalisten sind gut in allen Fächern, für sehr gut reicht es nicht. Den Leuten in den Türmen der Erkenntnis wird ja auch nicht empfohlen, in die Niederungen der täglichen ärztlichen Praxis herabzusteigen, um Patienten zu trösten, zu heilen, zu retten - und das alles unter Zeitdruck.

Denn: Haben Sie es, verehrte Leserinnen und Leser, nicht mal satt, was da an Leitlinien, Richtlinien, Expertenmeinungen, Formularen und „QM”-Konzepten und ähnliches über Sie hereinprasselt? Papierkram, nur noch in Tonnen zu erfassen und in Tausend Euro zu bezahlen? Gleichzeitig die Angst vor „juristischen” und „medico-legalen” Konsequenzen? Wo ist sie geblieben, die Heilkunst und die Heilkunde? Was assoziiert man heute mit dem Wort „Pflege”? Pflegedokumentation, Pflegekosten, Pflegenotstand? Und mit dem Wort „Rettung”? Ein Gesetz, die Überschreitung von Budgets, Benzinpreise - oder was? Was ist eigentlich ein „Patient”? Ein Dulder von Gesundheitsmodernisierungsgesetzten? Ein Bürger, der glaubt, mit seinen 10 Euro Praxisgebühr einen Beitrag für die Spezies „Arzt” zu bezahlen?

Auch deshalb wurde mit der Serie „Gute hausärztliche Praxis” im Januarheft der Notfall & Hausarztmedizin ein Service für Leute der Basismedizin eröffnet. Auch in jeder weiteren Ausgabe soll themenbezogen auf zwei Seiten Papier ein Vorschlag für ein geeignetes Vorgehen bei den 100 häufigsten Problemen der Praxis dargestellt werden. Die Zwillingsschwester wird „Gute notärztliche Praxis” heißen. Dabei werden Konzepte der Evidenzbasierten Medizin berücksichtigt, aber auch die Bedürfnisse unserer Patienten und die Arbeitsabläufe in der Praxis. Jedes Thema wollen wir bis zu dreimal behandeln: für den Arzt, für die Praxishelferinnen und Schwestern sowie für die Patienten - wenn angebracht. Auch Sie können eine solche Seite entwerfen, wenn Sie sich die Mühe machen wollen und weder von den Krankenkassen noch von der Industrie dafür Geld bekommen haben, und zudem alle Änderungswünsche der anonymen Gutachter einarbeiten werden. Die zwei Seiten werden natürlich ergänzt durch gute Fortbildungsartikel, durch Praxishilfen und Unterstützung bei Zertifizierungen - wie zum Beispiel CME oder QMA - sowie durch herunterladbare Materialien. Alle Abonnenten bekommen damit auch zusätzlich Hilfe rund ums Qualitätsmanagement in der Praxis und zwar nicht von „Experten”, sondern von Profis wie „du und ich”, die ihr Geld damit verdienen, tatsächlich Patienten zu behandeln, sie zu pflegen und ihr Leben zu retten.

Parallel dazu baut die Abteilung für Allgemeinmedizin der Universität Leipzig ein hochqualifiziertes Netzwerk von engagierten Hausärzten auf, fünf andere Universitäten werden sich bald anschließen. Zu den wichtigen angebotenen Dienstleistungen gehört zum Beispiel Hilfe für Ärzte, die wegen eines - in der Regel oft ungerechtfertigten - Vorwurfs angeklagt wurden. Unsere Beratung war im letzten Jahr allein dreimal erfolgreich.

Warum starten wir ein derartig gewagtes Projekt? Die Notfall & Hausarztmedizin möchte Sie in Ihrer täglichen Arbeit unterstützen. Sie möchte den praktischen Nutzen für Sie steigern, Ihnen auch ein Konzept zur Öffentlichkeitsarbeit liefern und vor allem Ihnen den Rücken stärken. Als Zeitschrift für die gesamte Primärmedizin möchte sie Brücken schlagen zwischen Praxis und Klinik. Zum Beispiel mit einem Hilfsmittel das bewirkt, dass die erlebte Anamnese des Hausarztes auch dem Anästhesisten und Operateur zugute kommt - im Interesse unseres Patienten. Dazu haben wir ein Formblatt entworfen und in der Januar-Ausgabe veröffentlicht, das - wie oben der Leserbrief zeigt - nicht nur Ärzte interessiert, die es unter Thieme connect herunterladen können. Wir hoffen, dass auch alle Anbieter von Praxissoftware unsere Initiative unterstützen, das Unglaubliche aber Mögliche zu schaffen: ohne zusätzlichen Aufwand zu einem besseren Informationsaustausch im Sinne des Patienten zu kommen. Erfreulicherweise hat hier schon die Firma Turbomed Interesse gezeigt.

Die Praxishilfen der Serie sollen aber auch dem Patienten direkt dienen und den Arzt bei der Beratung unterstützen. Zudem soll sie Ihnen aber auch für Ihren Alltag Forschungsergebnisse so aufbereiten, dass Sie sie leicht erfassen und in der Praxis umsetzen können. So werden odds ratios, Risikoscores etc. in Form eines Thermometers dargestellt, auf dem nicht nur Sie, sondern auch Ihre Helferinnen und - viel wichtiger - Ihre Patienten sofort die Effektstärken intuitiv erfassen können. In dieser Ausgabe auf Seite 63 finden Sie hierzu eine Metaanalyse über Studien, die die Differenzialdiagnosen des Hustens in der Primärversorgung beschreiben, auf einem Bild dargestellt. Dabei wird nur das Häufige oder der abwendbar gefährliche Verlauf genannt. Sie werden den Unterschied zu Lehrbüchern - in denen Krankheitsbilder und Raritäten tabellarisch aufgeführt werden, die ein Hausarzt in 30 Berufsjahren nie sieht - sofort erkennen. Damit gewinnen Sie eines: Sicherheit im Alltag, einfachere diagnostische Überlegungen und schnellere, umfangreichere Beratungsmöglichkeiten für Patienten.

„Simplify your life” hat Hanno Grete, Ehrenpräsident der Sächsischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SGAM) als Motto für ärztliche Organisationen gefordert: Vertreter und Funktionäre sollten unsere tägliche Arbeit leichter machen anstatt uns täglich mehr aufzubrummen. Michael Balint hat den Begriff der „Fünf-Minuten-Medizin” geprägt - in Respekt und Hochachtung für Kollegen, die eine gewaltige Arbeitslast zu bewältigen haben. Sollen wir in kurzer Zeit den Patienten die gesamte Palette der Lebensstiländerungen leitliniengetreu herunterbeten? Oder ist das Zuhören nicht viel wichtiger? Mit guten Hilfsmitteln sparen Sie Zeit, können den Papierberg durchtunneln und den Patienten besser helfen. Wir haben das in unserer gemeinsamen Praxis geschafft und wollen es gerne für Sie, Ihre Patienten und Ihr Team realisieren: die 100 häufigsten Probleme der Praxis auf einer Fortbildungsseite darzustellen, die jeder in fünf Minuten lesen kann.

„Sehr geehrte Kollegin, für die Zuleitung einer Postskriptdatei ihres Beitrages aus Notfall & Hausarztmedizin 2007; 33 (1): 32-36 wäre ich dankbar.

Mit freundlichen Grüßen

Martin P. Wedig Lehrbeauftragter Allgemeinmedizin, Universität Witten-Herdecke”

„Liebe Kollegin Beulshausen, Sie haben mir mit Ihrem Artikel aus dem Herzen gesprochen. Auch in bin Ärztin für Allgemeinmedizin und Homöopathie, inzwischen 20 Jahre niedergelassen und weiß, wie wichtig der Hausbesuch für unsere Arbeit ist. Vielen Dank für den schönen Artikel und herzliche Grüße

Sonja Aevermann, niedergelassen in Hofheim am Taunus”

Dr. med. Helia Beulshausen

Gleichen-Sattenhausen

Prof. Dr. med. Hagen Sandholzer

Leipzig

    >