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DOI: 10.1055/s-2007-972177
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Ein Reisebericht - Palliativmedizin unter südindischen Palmen
Besuch beim indischen Palliativmediziner Prof. Dr. Rajagopal in Cochin, Kerala - Ch. FuchsPublication History
Publication Date:
27 March 2007 (online)
Nach vielen Jahren als Chefarzt für Anästhesie am Medical College Calicut (im südindischen Bundesstaat Kerala) und nach Etablierung eines weltweit beachteten palliativmedizinischen Konzeptes im Großraum Calicut führt Prof. Dr. Rajagopal mittlerweile eine Abteilung für Palliativmedizin und Schmerztherapie an einer privaten medizinischen Hochschule im südindischen Cochin.
Eingang zum Amrita Hospital, Cochin
An dieser für indische Verhältnisse herausragend ausgerüsteten Klinik gelingt es Rajagopal, palliativmedizinisches "know-how" in die Betreuung Schwerstkranker zu implementieren. Damit leistet er Pionierarbeit zum Wohle vieler Patienten. Neben einer rege frequentierten Ambulanz führt die Abteilung eine neu geschaffene 4 Betten führende Palliativstation und betreut "palliative-care"-Patienten im gesamten Klinikbereich im Sinne eines kooperativen Konsiliardienstes.
Als besonders beeindruckend für den deutschen Besucher bleibt das Erlebnis der "home-care"-Visiten. Ein interdisziplinäres Team (eine Sozialarbeiterin, eine "palliative-care"-Pflegekraft sowie 2 Ärzte) besucht ca. 10-12 Patienten täglich; wobei jeder Patient in der Regel einmal pro Woche eine Visite erhält. Die Lebensbedingungen der südindischen Patienten unterscheiden sich je nach sozialer Schicht sehr stark.
So wird z.B. eine bettlägrige Patientin mit einem exulzerierten Mammakarzinom in einer dunklen, schäbigen Lehmbodenhütte betreut. Die Verbände der letzten Visite konnten von der geschwächten Patientin nicht erneuert werden, da sie durch die Alkoholsucht des Ehemannes und durch das Stigma "Karzinom" und "Armut" weitgehend alleingelassen ist. Mittels zermörserter Metronidazoltabletten - lokal auf die Ulzerationen aufgetragen - gelingt eine mäßige Geruchskontrolle der stark infizierten Wunden. Eine suffiziente Schmerzkontrolle (in Indien wird eine preiswertere Version eines retardierten oralen Morphins hergestellt, das in diesem Fall vom Team der Patientin zur Verfügung gestellt wird) gelingt angesichts der sozialen Bedingungen und den damit verbundenen Complianceproblemen nur bedingt.
Die nächste Patientin leidet an einem Ovarialkarzinom. Sie ist moribund und wird von der Hindu-Großfamilie fürsorglich versorgt. Der "palliative-care"-Arzt berät die wohlhabende Familie über die möglichen Symptome des nahen Lebensendes. Zur Linderung des "Todesrasselns" wird die orale Gabe eines Glycopyrronium-Präparates empfohlen. Neben den Familienangehörigen steht dieser Patientin eine Hauskrankenpflegekraft zur Verfügung. Dies sind nur 2 Beispiele für die riesigen sozialen Klüfte zwischen den Lebenswelten südindischer Patienten.
Erfreulicherweise finanziert die Klinikleitung des Amrita-Hospitals dem Team von Rajagopal die kostenfreie "home-care"-Betreuung für alle Patienten.
Home-Care-Arzt bei der Betreuung eines Schwerkranken
Angesichts des üblicherweise in Südindien stark profitorientierten Medizinbetriebs - mit z.B. CT/MR/Labor - Diagnostikzentren an jeder Straßenecke - stellt die Abteilung um Rajagopal eine geradezu missionarische, patientenorientierte Vorzeigeinstitution dar. Neben der klinischen Tätigkeit wird an der Abteilung seit 2 Jahren eine ärztliche Vollzeit-Weiterbildung über 2 Jahre mit dem Abschluss "Diploma in Palliative Medicine" durchgeführt (derzeit 6 Ärzte in der Weiterbildung). Das Niveau der Ausbildung ist - wie die indische Medizinerausbildung insgesamt - als hervorragend zu bezeichnen (z.B. regelmäßiger Journalclub, Fallbesprechungen/-präsentationen). Diese ärztliche Weiterbildung sowie 6-wöchige Basiskurse für externe Mediziner werden zur Weiterentwicklung der Palliativmedizin in ganz Indien erheblich beitragen können!
Für den warmherzig aufgenommenen deutschen Besucher bleibt die Erinnerung an unglaublich engagierte Kolleginnen und Kollegen sowie an Momente des menschlichen Miteinanders am Krankenbett südindischer Patienten.
Dieses Beispiel führt uns vor Augen, wie weltumspannend sich die Hospizbewegung und Palliativmedizin ausbreitet. Auf Wiedersehen Kerala!
Links:
International Association für Hospice & Palliative Care (IAHPC), www.hospice.care.com
Indische palliativmedizinische Hilfs- und Spendenorganisation, www.palliumindia.org
Christoph Fuchs, M.A. (Phil),
Zentrum für Akutgeriatrie und Frührehabilitation
Städtisches Klinikum München Neuperlach
Email: Fuchs.anc@t-online.de