PiD - Psychotherapie im Dialog 2007; 8(3): 278-282
DOI: 10.1055/s-2007-970997
Interview
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Schauen Sie auf Ihre Basisbedürfnisse! Es geht nicht um Porsche oder Ferrari!”

Burn-out bei Managern und FührungskräftenBernd  Sprenger im Gespräch mit , Arist von  Schlippe
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Publication Date:
14 September 2007 (online)

Dr. med. Bernd Sprenger ist Chefarzt der Oberbergklinik Berlin Brandenburg.

PiD: Was müssten die Leser von Ihnen wissen, um Sie kennenzulernen?

Bernd Sprenger: Sicher zunächst, dass ich Arzt bin und es auf allen meinen Stationen immer geblieben bin. Mich interessieren kranke Menschen und auch kranke Systeme. Und dass ich Allgemeinarzt bin. Ich bin erst im zweiten Durchgang zur psychosomatischen Medizin und zur Psychotherapie gekommen. Ich bin eigentlich eher Generalist als Spezialist.

Was ist Ihr Hintergrund als Psychotherapeut?

Zur Psychotherapie bin ich gekommen, als die Humanistische Psychologie „in” war. Alle waren begeistert, den herkömmlichen Systemen zu entkommen - „Don't label people”, Begegnung auf Augenhöhe, emotionales, kathartisches Arbeiten. Diese bunte Zeit war sehr lehrreich, am Anfang eher ein Gegensatz zur herkömmlichen Medizin und später immer mehr eine sinnvolle Ergänzung, denn Schulmediziner bin ich geblieben, auch als ich mich später für systemische Ansätze begeisterte. Ich war sehr beeindruckt von Virginia Satir, von der ich noch selber habe lernen dürfen. Ich habe mein ganzes Leben lang versucht, diese scheinbaren Gegensätze zusammenzubringen.

Was müssen wir über die Einrichtung wissen, in der Sie heute tätig sind?

Zunächst etwas Historisches: Sie ist von einem suchtkranken Neurologie-Professor gegründet worden, die „Deutsche Suchtstiftung Matthias Gottschaldt” trägt seinen Namen. Er fand, dass die Art, wie in Deutschland Suchttherapie gemacht wird, für Leute wie ihn eine mittlere Katastrophe war. Er suchte nach einer adäquaten Einrichtung, auch für Fach- und Führungskräfte. Das ist der Hintergrund dieser Klinikgründungen. Sie haben mittlerweile eine 22-jährige Geschichte hinter sich und sind nach wie vor Marktführer bei suchtkranken Ärzten, jetzt zunehmend auch mit dem zweiten Behandlungsschwerpunkt Depression, Burn-out, Angst. Und es geht nicht mehr nur um Ärzte, ein großer Teil unserer Patienten sind Unternehmer, meistens Selbstständige, Manager, mittlere Führungsebene und Beamte, von Polizisten über Lehrer, bis hin zu Beamten aus dem Berliner Regierungsviertel. Das sind meistens Leute, die gewohnt sind, sehr viel Verantwortung zu übernehmen, die sehr ehrgeizig und sehr gut ausgebildet sind.

Können Sie zum Stichwort „Führungskräfte” noch etwas sagen?

Wenn die Oberbergkliniken von außen betrachtet werden, wird es oft so erlebt, als sei das eine Privatklinik, was für die besseren Kreise. Was kaum jemand sieht: Wenn Sie eine Psychodiagnose haben oder gar eine Sucht, dann haben sie an zwei Stellen in der Gesellschaft richtig schlechte Karten, nämlich ganz unten und ganz oben. Und das „ganz oben”, das fängt beim mittleren Management an. Die haben schlechte Karten, weil es sich um eine völlig unmögliche Diagnose handelt. Wenn Sie heute einen Herzinfarkt haben - das ist das „Ritterkreuz der Leistungsgesellschaft”, das können Sie in jeder Abendgesellschaft erzählen. Aber sagen Sie mal, dass Sie alkoholabhängig sind oder depressiv … Und so kommt es, dass die Leute, wenn sie kommen, viel zu spät kommen, wenn sie wirklich nicht mehr können, während jemand aus einer anderen gesellschaftlichen Schicht viel früher Hilfe sucht und auch bekommt. Das ist verrückt: Die so genannten Privilegierten sind überhaupt nicht mehr privilegiert, wenn es um diese Themen geht.

Stichwort Diagnostik …

Wir betreiben zunächst eine ganz normale Psychometrie, wie es überall in psychosomatischen Kliniken üblich ist, also etwa BDI, SCL-90 usw. Dann natürlich eine formale Diagnostik nach ICD-10. Dazu kommt eine ausführliche biografische Anamnese bzw. eine Verhaltensanalyse. Wir haben sowohl tiefenpsychologisch orientierte als auch Verhaltenstherapeuten. Das wichtigste ist eine Zielfestlegung jenseits der Diagnostik. Manchmal kommt man in die Situation, dass die Diagnose nach ICD-10 nicht wirklich klar ist, aber trotzdem eine Zielformulierung vorgenommen wird.

Also eine Kontraktformulierung.

Ja, wir bemühen uns, nicht in die Falle zu laufen, dass immer ein diagnostisches Etikett da sein müsse. Ich bin durchaus ein Freund von Diagnostik, weil man sonst leicht das Gefühl dafür verliert, woran man eigentlich arbeiten muss. Es ist einfach ein Unterschied, ob jemand eine Angststörung oder eine Depression hat oder ob jemand einen primären oder sekundären Alkoholismus hat usw.

Wie werden die Maßnahmen finanziert?

Die meisten kommen über die private Krankenversicherung, wobei man wissen muss, dass die bis heute Sucht ausschließt. Das merken die Leute, die privat versichert sind, immer erst, wenn der Fall eingetreten ist.

Das wusste ich nicht!

Sie wären auch der Erste gewesen, der es gewusst hätte. Das ist ein Skandal, weil natürlich niemand in der Wissenschaft daran zweifelt, dass es eine Krankheit ist, die behandelt werden muss. Wir bekommen das in der Regel auf Kulanzbasis trotzdem bezahlt. Damals war Prof. Gottschaldt schon so klug, den Leuten beizubringen, dass ein nicht behandelter Suchtkranker für die Krankenkassen wesentlich teurer ist. Bei Depressionen und anderen psychischen Krankheiten ist die Finanzierung nicht so schwierig.

Sie haben gesagt, dass es ganz oben und ganz unten besonders schwierig ist, ein diagnostisches Etikett zu bekommen. Wie gehen Sie damit um?

Wir arbeiten mit internen Suchtberatungen oder psychosomatischen Beratungsstellen in Betrieben zusammen. Wir haben mehrfach schon Betriebe in die Klinik eingeladen. Die benehmen sich oft so, als würden sie in den Zoo kommen. Die Patienten sind viel unbefangener. Da passiert oft ein großer Aha-Effekt: Die „Zoobesucher” sehen plötzlich, dass die Patienten ihresgleichen sind. So kommt ein Dialog zustande. Wenn ich dann die Patienten frage: „Was würden Sie denn denen, die jetzt in der Firma Verantwortung haben, sagen, bezogen auf Ihre eigene Geschichte?”, kommt meistens: „Hätte doch mal jemand früher was gesagt.” Also diese Scham- und Schuldgefühlsglocke, die vor allem um die Suchtthematik herum besteht, wird plötzlich als sehr destruktiv wahrgenommen, sowohl von den Patienten, als auch von den Verantwortlichen in den Firmen. Aber es ist natürlich auch ein ewiger Kampf gegen Diskriminierung. Patienten machen zum Teil absurde Verrenkungen, damit nirgends auch nur das Wort „Psycho” auftaucht, geschweige denn unser Klinikstempel usw. Das besprechen wir in aller Ruhe.

Es gibt bei uns einen Grundsatz: Es wird nicht gelogen. Das hilft uns sehr bei den Krankenversicherungen. Die wissen dann, wenn wir sagen, „es ist keine Sucht”, dann ist es auch keine. Sie können sich darauf verlassen: Wenn es eine Sucht ist, dann nennen wir es auch so.

Sie mogeln nicht bei der Diagnose.

Grundsätzlich nicht. Ich halte das für destruktiv, auch für die Patienten. Gerade Suchtkranke werden in ihren Abwehrstrategien unterstützt. Aber auch bei den anderen mache ich sonst die Selbstabwertung mit, dass es nicht sein darf, dass ich eine Depression habe. Da hilft eine klare Haltung. Wir suchen uns auch Partner, die auftreten und sagen, ich bin genesener Alkoholiker usw. - möglichst nicht zu viel Geheimnis drumherum.

Entmystifizierung.

Ja, Entmystifizierung, viel Information, und wo immer wir können, arbeiten wir mit den Arbeitgebern eng zusammen. Das geht bei einigen Ministerien schon hervorragend. Wir sprechen darüber, wie ein Mensch weiter eingesetzt werden kann. Mit manchen Ärztekammern geht das auch sehr gut. Das war eine lange Geschichte, bis Ärzte-Organisationen eingestanden haben, dass es das Problem Suchtkrankheit auch bei uns Ärzten gibt. Mittlerweile wird es ganz gut angenommen, regional unterschiedlich natürlich. Es gibt nun u. a. ein Curriculum zur Nachsorge, dass die Ärzte ihre Approbation nicht verlieren usw. Das läuft, ist aber ein Bereich, in den man ständig Energie hineinstecken muss.

Wie lang sind die Leute bei Ihnen?

Zwischen vier Tagen Krisenintervention bis zu dem Extremfall von drei Monaten. Die Streuung ist groß, der Mittelwert ist knapp unter oder knapp über sechs Wochen.

Sie hatten im Vorgespräch von dem Manager gesprochen, der sagt, er könne nicht vier Wochen aus dem Betrieb raus.

Nein, vorhin meinte ich jemanden, der selbstständig ist und einen kleinen Laden hat. Interessanterweise denken Manager in großen Betrieben das alle auch. Doch wenn man das wirklich abklopft, sagen sie fast regelmäßig, dass ihr Chef eigentlich sagt, sie sollten einmal etwas für sich tun. Die halten sich oft für unentbehrlicher als sie sind.

Nehmen wir mal den Fall eines Familienunternehmers oder Selbstständigen mit kleinem Betrieb: Wie managen die dann in der Zeit ihr Unternehmen?

Da hängt ja der Betrieb in viel höherem Ausmaß an einem einzigen Menschen oder an einer Familie. Die haben oft große Probleme. Therapeutisch heißt es dann, genau zu gucken, ob es sich um Abwehr handelt oder um reale äußere Faktoren. Psychotherapeuten neigen oft dazu, alles erst mal als Abwehr zu interpretieren. Umgekehrt muss man natürlich aufpassen, dass man Abwehr nicht übersieht. Und deswegen gehört es zu unseren anamnestischen Grundfragen, wie die reale äußere Situation aussieht: Ist die Firma gesund? usw. Schwierig sind natürlich die Fälle, die „im Hamsterrad gelaufen sind”, unentwegt daran gearbeitet haben, eine Firma am Laufen zu halten. Sie sind darüber ausgebrannt, können nicht mehr. Die Firma ist in einer prekären Lage - und sie selber auch.

Das wären eigentlich die, die es am nötigsten haben.

Ja, die am nötigsten eine Pause bräuchten. Wenn man bei uns „Wirtschaft” sagt, denken alle immer an die DAX-Unternehmen. Das ist ziemlich unrealistisch, das Rückgrat unserer Wirtschaft ist der Mittelstand und die sind es auch, die zum Teil einen unglaublichen persönlichen Einsatz bringen und dann ausbrennen.

Sie haben ja vorhin die therapeutischen Konzepte der Klinik angesprochen und auch Ihren systemischen Hintergrund - in vielen Fällen steht ja eine Familie dahinter, gerade bei Familienunternehmen. Wie beziehen Sie das Umfeld mit ein?

Klar, das muss sein - Einbezug der Familie, zunehmend mehr schon im Vorfeld. Wir haben dieses Büro im Zentrum Berlins aufgemacht, um eine Stelle außerhalb der Klinik zu haben, wo sich Leute erst mal informieren können. Es kommen ja nicht nur die Ängste des Patienten, sondern die der ganzen Familie. Man ist da oft mit einer merkwürdigen Mischung aus medizingeschichtlichen Vorstellungen konfrontiert, die noch im Mittelalter hängen. Beratung im Vorfeld - das ist die eine Variante, die zweite ist auch nicht so selten: „Ja, ich bin nur hier, weil meine Frau mich zwingt!” Dann arbeiten wir mit einer kleinen Aufstellung. Ich habe so einen Figurenkasten: „Wer ist denn alles wichtig?” Manchmal ist der Tisch hier zu klein, bis da die ganze Firma draufsteht. Das ist sehr hilfreich. Und wenn die Leute dann da sind, holen wir auch die Familie dazu, so viel wie irgend möglich.

Zum Thema „Burn-out” - wir sind da auf ein provozierendes Statement von Fredmund Malik gestoßen: „Burn-out - nur ein Thema für Verlierer?” [1] Er sieht Burn-out als Zeichen von Mängeln in Ausbildung, Arbeitsmethodik, Privatleben und fehlender sportlicher Aktivität. Wie sehen Sie das?

Ach wissen Sie, so pauschale Entwertungen, das sehe ich eher als Ausdruck einer immer narzissmusorientierteren Gesellschaft. Es ist ja auch ein alter Hut, dass Karrieren oft bis zu einer Stufe verlaufen, wo die Überforderung kommt.

Meinen Sie das Peter-Prinzip?

Ja, das wurde ausgiebig untersucht. So ist es zum Teil nicht zu vermeiden, dass man an seine Grenzen stößt. Das ist der eine Punkt. Der zweite ist: Ich denke, Sie können ja nur dazulernen in Bereichen, in denen Sie überfordert sind. Aber Sie dürfen eben nur mäßig überfordert sein. Wenn Sie gnadenlos überfordert sind, dann gehen Sie in die Knie. Genau in diesen Bereich, in dem die Überforderung nicht mehr entwicklungsförderlich ist für den Einzelnen und für die Firma, wo es zu viel ist, fallen immer mehr Leute rein. Das hat schon mit äußeren Strukturen zu tun. Das Zitat individualisiert das Problem restlos und das halte ich für falsch. Ich sehe Burn-out als ein klassisches „Knotenproblem”, da spielt die Arbeitsbelastung, die Arbeitsdichte und vor allem die Ressourcenorientierung für den Einzelnen eine Rolle. Wenn Sie mal gucken, mit welcher Rücksichtslosigkeit bei vielen Arbeitsplätzen heute Basisbedürfnisse der Arbeitnehmer ignoriert werden: Das fängt an bei dem Thema Familie und Beruf, geht aber bis zu wirklichen Basisbedürfnissen: regelmäßig schlafen, essen usw. Das hat schon auch was mit der äußeren Realität zu tun und mit einem manchmal irrwitzigen Missverhältnis zwischen Anforderungen und dem, was Menschen leisten können. Das Zitat passt genau da hinein, nach dem Motto: Ist kein Problem, jeder könnte, wenn er wollte und die, die nicht können …

Das ist auch nicht meine Erfahrung. Die Leute, die ausbrennen, sind in der Regel Leute, die sich sehr redlich bemühen und die dann über etwas stolpern, was sie nicht mehr schaffen. Das ist ein Mix von außen und innen. Deswegen der Begriff „Knotenproblem”, der stammt von Professor Gerlach aus Frankfurt. Es hat mit Leitbildern zu tun, mit Firmenkultur, mit realer Arbeitsbelastung, mit Arbeitsdichte, es hat zu tun mit Lernfähigkeit des Einzelnen und natürlich auch mit inneren Faktoren. Es hat zu tun mit Ehrgeiz, mit Ich-Ideal, mit dem Gefühl dafür, wann man eigentlich leistungsfähig ist. Viele Manager haben erstaunlich wenig Gefühl dafür, was sie eigentlich brauchen, um optimal leistungsfähig zu sein.

Knotenproblem - ein brauchbarer Begriff. Besonderes Engagement spielt auch eine Rolle …

Ja, jemand, der eine 08/15-Einstellung gegenüber seiner Arbeit hat, brennt in der Regel nicht aus. In der Regel brennen die Idealisten aus. Ich habe nirgends so viele Zyniker erlebt wie in meiner Zeit als Entwicklungshelfer in Afrika. Ganz viele gehen als Idealisten hin und werden dann mit einer Wirklichkeit konfrontiert - ich habe das am eigenen Leib erlebt -, die nicht zu bewegen ist, zumindest nicht durch Einzelne. Das ist der heiße Punkt: Wenn der Einfluss unterschätzt wird, den ein ganz bestimmtes System hat, und die eigene Möglichkeit überschätzt wird, etwas zu verändern - wenn an der Stelle dann kein natürlicher Trauerprozess einsetzt, dann ist die Burn-out-Gefahr da. Dann wird immer noch „eins draufgesetzt”, nach dem Motto: Wenn man sich noch mehr anstrengen würde, würde alles besser.

Ich war damals im Sudan, und da sah es damals schon so aus wie heute. Wenn man da als Einzelner denkt, man kann das mit noch mehr Anstrengung ändern, dann brennt man aus. Es geht schon darum, einschätzen zu können: „Was kann ich tun, was kann ich nicht tun?” Da hat mich Joschka Fischer beeindruckt. Als er abgetreten ist, hat er gesagt, er habe jetzt am Ende der Laufbahn doch eher den Eindruck, dass das System den Menschen mehr verändert als der Mensch das System. Er war ja auch angetreten mit der Idee „Marsch durch die Institution”.

Sehen Sie Branchen, die spezifisch burn-out-gefährdet sind?

Spontan, nicht empirisch, sondern rein aus der klinischen Erfahrung: Ja! Helfer-Berufe sind sicherlich besonders gefährdet, ich erinnere an das Thema „Helfer-Syndrom”. Dort gibt es statistisch höhere Suchtraten, höhere Anteile an Selbstmorden. Innerhalb der Ärzteschaft etwa sind die am meisten selbstmordgefährdeten Personen die Psychiater und die Anästhesisten.

Aus einem anderen Grund besonders gefährdet sind Menschen, die sehr technisch orientiert sind, z. B. der Ingenieur, der von seinem Organismus ein Bild hat wie von einer Maschine. Diese Leute brauchen manchmal drei Wochen, bis sie verstehen, dass sie so etwas wie eine lebendige Seele haben. Aber sonst würde ich nicht sagen branchen-, eher größenordnungsspezifisch. So ein Mittelständler, der relativ allein steht, relativ viel Verantwortung hat, auch finanziell, steht deutlich mehr unter Druck als ein angestellter Manager, der seinen 3- oder 5-Jahres-Vertrag hat, mit entsprechenden „Fallschirm-Klauseln”.

Was tun Sie konkret? Wie sieht ein „klassischer Verlauf” in Ihrer Einrichtung aus?

Das schwierigste ist immer der Anfang, der „Landeanflug”. Jemand, der auf einem Burn-out-Trip ist, möchte eine Therapie machen, wie er den Rest auch macht. Der kommt am Freitagnachmittag und sagt: „Lieber Doktor, ich habe drei Tage Zeit. Am Dienstag früh habe ich einen Termin. Mach mich wieder gesund!” Das passiert tatsächlich so. Da muss man sagen, dass das so nicht geht. Dann kommt meistens eine breitflächige Entwertung: „Was ist das für eine blöde Klinik, was für ein schlechter Doktor!” Dann erkläre ich den Leuten, dass sie erst mal dahin kommen müssen, zu spüren, wie es ihnen wirklich geht. Dann kommt eine sehr schwierige Phase. Dieses „Herunterkommen” ist von starken dysphorischen Gefühlen begleitet. Das gibt es auch im Normalbereich, die berühmte Urlaubsanfangsdepression. Wenn sie mit hohem Speed über lange Zeit gelaufen sind, können die ersten Urlaubstage für Sie und Ihre Familie höchst unangenehm werden, weil Sie dann erst mal runterschalten müssen. Dieser Umschaltprozess ist oft schwierig.

Diese Phase begleiten wir oft pharmakologisch, mit Antidepressiva, die schlafanstoßend sind o. Ä. Wir sind an dieser Stelle sehr somatisch orientiert: regelmäßig und gesund essen, Bewegung, Frühsport, manchmal auch Kneipp, alles was zur vegetativen Beruhigung beiträgt. Das spüren die Leute dann auch selber. Sie sagen nach drei, manchmal fünf, manchmal sieben Tagen ganz erstaunt: „Ja, Sie hatten recht. Jetzt merke ich, dass ich erst ankomme und in Kontakt komme mit dem, was los ist, innerlich und äußerlich!” Dann kommt oft eine Phase von großer Trauer. Ich meine nicht Depression, ich meine Trauer. Das ist ja nicht das Gleiche: Wenn sie merken, was sie eigentlich mit sich gemacht haben, dann fängt die psychotherapeutische Arbeit an. Dabei ist mir aber auch schon wichtig, im Sinne des vorhin genannten Knotenproblems mit den Leuten darüber zu sprechen, wie denn ihr Arbeitsplatz wirklich aussieht. Also: Was ist äußere Welt? Da kriegt man schon ein Gefühl dafür: Wenn der regelmäßig 15 Stunden arbeitet und das an sieben Tagen und nichts isst, oder jemand erzählt, dass er immer nur sechs Stunden schläft, aber eigentlich acht Stunden braucht, dann kann das nicht funktionieren. Dann kommt der soziale Bereich dazu: Wie sind hier die Ressourcen, wie ist das Beziehungsleben dieses Menschen, hat er noch Hobbys usw. Und dann fängt die psychotherapeutische Arbeit an einem möglichst genau ausgearbeiteten Fokus an. In ganz vielen Fällen kommen wir auf eine narzisstisch defizitäre Situation, die mit der „Plombe Leistung” versucht wird zu füllen.

Manchmal kommt auch raus, dass jemand eine manifeste Depression hat, seit vielen, vielen Jahren, nie diagnostiziert, nie behandelt und sich entgegen der Depression mit Gewalt durchgepeitscht hat. Wichtig ist, in dem Zusammenhang auch eine gute Suchtdiagnostik zu machen. Häufig wird übersehen, dass die Leute irgendeine Abhängigkeit entwickelt haben, das Beliebteste sind nach wie vor Alkohol und Nikotin, nicht selten auch mal Medikamente. In High-Speed-Branchen wie Mode oder Computer kommt zunehmend Kokain. Dann muss man die Leute entgiften, das ist klar. Die Sucht zuerst, das gilt immer.

Wie vertragen sich die verschiedenen psychotherapeutischen Orientierungen in Ihrer Klinik?

Ich bin da ziemlich pragmatisch. Ich finde den Streit so etwas von vorvorgestern, dass er mich auch nicht mehr wirklich interessiert! Ich finde Verhaltenstherapie äußerst hilfreich, wenn es darum geht, erst mal eine Symptomentlastung zu kriegen, beispielsweise wenn jemand eine Panikstörung entwickelt hat. Da sind VT-Techniken zur Angstkontrolle oder bei PTSD wunderbar. Wenn es darum geht zu gucken, was mich treibt, was meine zugrunde liegenden Antreiber sind, finde ich tiefenpsychologische Methoden sehr viel hilfreicher. Wenn jemand sagt: „Eigentlich wollte ich mein ganzes Leben Künstler werden und jetzt bin ich Geschäftsführer!”, ist es hilfreich mal in die Familie zu gucken, wer ihn denn zwingt, dass er nur als Geschäftsführer in dieser Familie einen Wert habe. Wir machen das relativ pragmatisch, aber nicht beliebig.

Wie kooperieren da die unterschiedlichen Schulenvertreter miteinander?

Wir bilden auch aus. Ich bin voll weiterbildungsermächtigt für psychosomatische Medizin. Wir fragen schon bei der Bewerbung: „Wie sieht das aus, was wollen Sie?” Meine Position ist: „Lernen Sie ein Verfahren, völlig egal welches, einschließlich aller Vorurteile gegen alle anderen Verfahren! Lernen Sie das richtig gut. Wenn Sie das fertig haben, dann gehen Sie genauso lange, wie Sie gelernt haben, fremd! Gehen Sie überall dorthin, wo Ihnen immer beigebracht wurde, das sei ,des Teufels‘. Und wenn Sie das hinter sich haben, vergessen Sie alles und fangen Sie an mit Therapie!” Das funktioniert meistens gut. Es kommen dann auch nur bestimmte Leute. Hardliner fühlen sich bei uns nicht wohl. Die gehen dann auch schnell wieder oder kommen erst gar nicht.

Stichwort Rückfallquote, wie sieht das bei Ihnen aus?

Ich kann das wirklich nicht akademisch sauber beantworten, weil wir das noch nicht untersucht haben.

Die Erfahrung ist, dass manchmal die Leute mehrere Durchgänge brauchen, also noch mal wieder kommen. Manchmal planen wir das sogar. Wir erarbeiten im Sinne des Knotenproblems ein Konzept: Was muss ich innen machen, innerpsychisch? Was muss ich interpersonell machen? Und was muss ich in meinem System machen? In dem Zusammenhang ist sehr spannend, dass fast alle ausgebrannten Leute ihre Umwelt als völlig unveränderbar wahrnehmen. Sie sagen: „Ich habe keine Chance, ich muss, ich muss” usw. Das Skurrilste war mal ein Erlebnis, wo mir ein Europa-Chef eines weltweiten Unternehmens gegenüber saß. Er bewegte Milliarden, drehte ein Riesenrad. Der sagte allen Ernstes: „Es ist für mich völlig unmöglich, regelmäßig zu essen!” Da bin ich aus meiner therapeutischen Rolle gefallen und habe gelacht. Das war eine sehr heilsame Intervention. Das ist restlos absurd! Es ist wichtig, dass die Leute anfangen zu verstehen, dass sie fast überall durch ganz kleine Veränderungen im Alltag etwas machen können. Es gibt praktisch keinen Job, wo das nicht funktioniert. Wir nehmen Leute auf und fokussieren darauf und dann probieren sie es aus und kommen in einem halben Jahr zur sogenannten Intervalltherapie. Das ist oft sehr gut, denn da wird ihnen viel bewusst. Häufig kommt dann raus, dass sie die äußeren Faktoren überschätzt und die inneren Faktoren unterschätzt haben. Das, denke ich, passt zu unserer Kultur - eine technische Zivilisation, die denkt, alles ist außen.

Dann gibt es schon auch Fälle, da erreichen Sie fast nichts, wenn nämlich der Knoten zu dicht ist. Wenn Leute zum Beispiel über Jahre und Jahrzehnte chronifiziert sind, wenn sie in Familienbetriebsstrukturen drin sind, wo alles Ausruhen mit „Todesstrafe” geahndet wird.

Ich stelle mir vor, dass das auch ein Grenzbereich ist zwischen einer therapeutischen Haltung und einem stark wertenden Vorgehen, also etwa zu sagen: Unter den Umständen bin ich nicht bereit, mit Ihnen zu arbeiten.

Absolut. Das muss man auch tun! Das ist wirklich ein spannendes Thema: Werte. Ich glaube nicht, dass man Medizin und Psychotherapie betreiben kann ohne eine klare Wertvorstellung, die man wiederum auch transparent machen sollte. Man sollte sagen, was man richtig und was man falsch findet. Es gibt Dinge, die sind krank machend und Dinge, die sind eher heilsam! Was für den Einzelnen heilsam ist, das muss natürlich im Dialog entstehen.

Ich mache oft die Erfahrung, dass Patienten in der Euphorie alles verändern wollen: „Jetzt sind mir die Augen geöffnet worden!” etc. Das Extremste, was ich mal erlebt habe, war eine Patientin, die hatte ein kleines Unternehmen. Sie wollte alles verkaufen und nach Neuseeland gehen, um Schafe zu züchten. Ich habe zu ihr gesagt: „Ich wette mit Ihnen, spätestens nächstes Jahr Weihnachten haben Sie alle Probleme wieder!” Das hat sie mir nicht geglaubt. Noch in diesem Jahr kam dann eine Karte aus Neuseeland, da stand nur drauf: „Sie hatten recht! Gruß.” Das hatte sie wirklich gemacht! Wir müssen eher bremsen und sagen: „Machen Sie mal langsam!” Die gute alte Regel, ein Jahr nach einer intensiven Therapie nichts Wesentliches in der Beziehung oder in der Arbeit zu verändern, ist nicht schlecht. Das ergibt sich seltener in der ambulanten Therapie, in der es sowieso langsamer geht und man näher an der Wirklichkeit dran ist. Bei uns gibt es eher Leute, die dann alles ändern wollen und die Kleinigkeiten übersehen. Es geht nicht darum, den ganzen Arbeitstag umzukrempeln. Aber vielleicht ist eine halbe Stunde Zeit für das Mittagessen möglich.

Welche Frage würden Sie gern gestellt bekommen?

Vielleicht, ob Burn-out eigentlich ein sinnvolles Konzept ist, oder ob es nicht alles Depressionen sind. Neulich war im Fokus mal ein Beitrag, wo geschrieben wurde, es sei alles „dummes Zeug”, natürlich vornehmer ausgedrückt. Ich glaube das nicht. Was mich wissenschaftlich am meisten interessiert, ob man auch biologisch Unterschiede findet. Da sind wir jetzt gerade mit Frau Professor Heuser im Gespräch, Direktorin der Klinik für Psychiatrie an der Charité hier in Berlin, die genau das beforscht. Ich würde gerne mal wissen, ob, wenn jemand ausbrennt, und darüber in eine Depression kommt, ob das nicht viel mehr über die Stressachse zu verstehen ist, also ein funktioneller Hypokortisolimus, als bei einem Menschen, der eine genuine Depression hat. Die Frage finde ich sowohl wissenschaftlich, als auch für die Therapiepraxis interessant. Vielleicht kommen wir eines Tages mal dahin, die Leute adjuvant hormonell zu behandeln, statt klassisch antidepressiv. Wenn man die somatische Seite ansieht, gibt es da noch viele Fragen.

Eine Frage zum Abschluss: Welche Tipps würden Sie Klienten geben, die zu Ihnen kommen?

Da ist es mir zum Beispiel wichtig, dass es Patienten sind. Das heißt nämlich „Leidende”. Ich weiß, dass Psychologen von Klienten sprechen. Ich halte das für einen Euphemismus. Aber zu Ihrer Frage: „Was tut mir eigentlich wirklich gut? Habe ich davon genug? Wenn ich nicht genug davon habe, wie kann ich es kriegen?” Und dann: „Schauen Sie auf Ihre Basisbedürfnisse: Essen, trinken, schlafen, Beziehung!” Es geht nicht um Porsche oder Ferrari.

Haben Sie auch Behandlungstipps für Psychotherapeuten?

Ja, erst mal das Knotenproblem als solches zu sehen, nicht nur an der inneren Welt interessiert zu sein, sondern zu gucken, was ist wirklich „außen”, wie ist der da reingeraten? Zum Zweiten: „Würdigen Sie die somatische Seite des Problems!” Wenn jemand sehr stark ausgebrannt ist, würde ich wirklich dafür plädieren, eher in die Klinik einzuweisen, als zu versuchen, ambulant weiterzubehandeln.

Herzlichen Dank für dieses Gespräch.

1 Erschienen in „WELT-Online” am 15.1. 2005; zitiert nach: http://www.welt.de/print-welt/article364165/Burn-out_-_nur_ein_Thema_fuer_Verlierer.html (Zugriff 23.3.2007).

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