Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2007; 39(2): 82-84
DOI: 10.1055/s-2007-968113
Praxis
Das Interview
Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Pro und Contra: Mikronährstoffe während Chemotherapie und Bestrahlung?

Unsere Gesprächspartner: Prof. Hans Konrad Biesalski, Uwe Gröber
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Publication Date:
21 June 2007 (online)

Prof. Hans Konrad Biesalski

Uwe Gröber

Prof. Biesalski: Lehrstuhlinhaber und Geschäftsführender Direktor des Instituts für Biologische Chemie und Ernährungswissenschaft an der Universität Hohenheim in Stuttgart, Schwerpunktgebiete: Untersuchungen des Retinoid-Stoffwechsels auf zellulärer Ebene, Wirkungsweise von antioxidativen Vitaminen und die Entwicklung neuer Lebensmittel.

Uwe Gröber: Studium der Pharmazie, Schwerpunktgebiete: präventivmedizinischer und therapeutischer Einsatz von Mikronährstoffen, Interaktionen zwischen Arzneimitteln und Mikronährstoffen, komplementäre Krebstherapie. Autor und Koautor zahlreicher Publikationen und Fachbücher sowie Herausgeber der Zeitschrift für Orthomolekulare Medizin.

DZO:

Halten Sie den Einsatz von Mikronährstoffen während einer Krebstherapie (z.B. Chemotherapie und Bestrahlung) für sinnvoll?

Prof. Biesalski:

Eine Anwendung von Mikronährstoffen während der Therapie kann in normaler Dosierung (1- bis 3-faches der Empfehlung) erfolgen. Damit ist sichergestellt, dass der Organismus ausreichend versorgt ist. Höhere Dosierungen können die Therapie meiner Ansicht nach negativ beeinflussen.

Herr Gröber:

Die Zerstörung bestehender Tumoren ist nach wie vor eine zentrale Domäne der Onkologie, jedoch sollten die dazu eingesetzten Verfahren den Patienten so wenig wie möglich belasten. Supportive Maßnahmen gewinnen daher im Rahmen onkologischer Behandlungskonzepte zunehmend an Bedeutung. Neben der immunmodulierenden Ernährungstherapie zählt der labordiagnostisch validierte und therapieangepasste Einsatz von Mikronährstoffen zu den zentralen supportiven Maßnahmen komplementäronkologischer Therapiekonzepte. Eine an das Krankheitsstadium und an die individuellen Bedürfnisse des Patienten angepasste Supplementierung von Mikronährstoffe wie Selen kann dazu beitragen, das geschwächte Immunsystem der Betroffenen zu stärken, die Regeneration nach einer Operation zu fördern und die Nebenwirkungsrate tumordestruktiver Maßnahmen zu verringern. Auch die Effektivität einer Chemo- und/oder Strahlentherapie wird durch eine bessere Compliance und weniger Therapieabbrüchen unterstützt.

DZO:

Viele Krebspatienten leiden unter Nebenwirkungen während Chemotherapie oder Bestrahlung. Welche Nährstoffe können Ihrer Meinung nach für ein begleitendes Nebenwirkungsmanagement eingesetzt werden? Gibt es Daten dazu?

Prof. Biesalski:

Bisher gibt es nur einige wenige Studien, die bei einer begleitenden Therapie mit Vitamin E und/oder Selen in hohen Dosierungen eine Minderung der Nebenwirkungen bei Chemotherapie beschrieben haben. Effekte auf die Effizienz der Therapie wurden aber nicht untersucht. Es sollte beachtet werden, dass viele Therapieverfahren auf der Generierung von reaktiven Sauerstoffverbindungen (ROS) basieren. ROS werden aber durch Antioxidanzien reduziert, was zu einer Minderung der Therapie beitragen kann. So zeigen verschiedene Tumozellen mit hoher Resistenz gegen Chemotherapeutika (z.B. Taxol, Cisplatin u. a.) ein stark hochreguliertes antioxidatives Potenzial.

Herr Gröber:

Die Vielzahl der in der Therapie maligner Tumoren eingesetzten Zytostatika und ihre multiplen Wirkmechanismen sind mit zahlreichen und zum Teil sehr spezifischen Interaktionen mit dem Haushalt essenzieller Mikronährstoffe assoziiert. Hierdurch kann einerseits der Mikronährstoffbedarf unter einer antineoplastischen Therapie deutlich ansteigen, andererseits bietet die medikationsorientierte Supplementierung von Mikronährstoffen viele therapeutische Ansatzpunkte für die Supportivtherapie und das Nebenwirkungsmanagement. Zu den Mikronährstoffe, die sich vor allem für ein gezieltes Nebenwirkungsmanagement eignen, zählen insbesondere das Spurenelement Selen in Form des Natriumselenits, die mitochondrialen Substrate L-Carnitin und Coenzym Q10, das Tripeptid L-Glutathion sowie Vitamin C. Dabei kommt der parenteralen Prämedikation mit diesen Mikronährstoffen eine entscheidende Bedeutung zu, da einige Zytostatika in der Lage sind, die zellulären Transportsysteme von Substanzen wie L-Carnitin komplett zu blockieren. Die Prämedikation mit Selen vor einer Chemotherapie mit Cisplatin kann die Cisplatin-assoziierte Nephrotoxizität verringern. Bei bis zu 40 % aller mit Anthrazyklinen behandelten Patienten treten während oder unmittelbar nach der Anthrazyklininfusion kardiale Rhythmusprobleme auf. Die parenterale Prämedikation mit L-Carnitin (z.B. 2000 mg L-Carnitin, 1-2 h vor CT) kann die kardiotoxische Wirkung der Anthrazykline ohne Beeinträchtigung ihrer zytotoxischen Wirksamkeit senken. Neben Daten zu Natriumselenit und L-Carnitin gibt es auch aktuelle Daten zu Vitamin C und Coenzym Q10. In einer Studie aus diesem Jahr hatte die Supplementierung von Coenzym Q10 in Kombination mit Riboflavin und Niacinamid einen günstigen Einfluss auf die Tumormarker CEA und Ca15-3 bei Patientinnen mit Brustkrebs unter einer Therapie mit Tamoxifen. Weitere Beispiele beschreibe ich in dem gerade erschienen Buch „Arzneimittel und Mikronährstoffe”.

DZO:

Können Mikronährstoffe die Wirksamkeit einer Krebstherapie negativ beeinflussen? Wie beurteilen Sie die zum Teil widersprüchliche Diskussion darüber?

Prof. Biesalski:

Die bisherige Diskussion wird auf wissenschaftlicher Ebene im Wesentlichen von einer Arbeitsgruppe (Prasad und Mitarbeiter) geführt, die positive Effekte einer Hochdosistherapie beschreiben. Dagegen stehen eine Reihe anderer Arbeitsgruppen, die grundsätzlich vor einer hochdosierten Anwendung warnen. Diese Warnungen basieren auf In-vitro-Ergebnissen wie auch auf tierexperimentellen Untersuchungen.

Herr Gröber:

Der überwiegende Anteil der gegenwärtig in der Therapie eingesetzten Zytostatika wie zum Beispiel die Antimetabolite, die Stickstofflost-Derivate oder die Anthrazykline wirken nicht primär über oxidativen Stress. Die häufige Ablehnung einer Supplementierung von antioxidativ wirksamen und immunmodulierenden Mikronährstoffen während der Phase der Chemotherapie ist demnach pauschal nicht gerechtfertigt. Ein aktueller systematischer Review kontrollierter randomisierter Studien zum Einfluss von Antioxidanzien auf die Chemotherapie kommt zu dem Schluss, dass die Supplementierung von Antioxidanzien sich nicht nachteilig auf die Chemotherapie auswirkt, sondern eher einen günstigen Einfluss auf die Nebenwirkungsrate und die Tumorresponse hat (Block et al., Cancer Treat Rev. 2007). Generell sollte jedoch die Supplementierung auf das jeweilige Therapieschema abgestimmt werden. Zusätzlich ist auch die labordiagnostische Erfassung von Mikronährstoffen wie Selen im Vollblut sinnvoll.

DZO:

Worauf sollten Patienten bei der Einnahme von Mikronährstoffen während einer onkologischen Therapie achten?

Prof. Biesalski:

Vor der Therapie sowie nach der Therapie können, so die derzeitige Expertenmeinung, durchaus Mikronährstoffe auch in höherer Dosierung eingenommen werden. Während der Therapie empfehle ich ein Multipräparat (möglichst viele Mikronährstoffe) im Dosierungsbereich der Empfehlungen.

Herr Gröber:

Zunächst sollten Patienten die Supplementierung von Mikronährstoffen mit dem behandelnden Arzt oder Onkologen besprechen und keine unkontrollierte Selbstmedikation betreiben. Nach den bisher vorliegenden Daten und eigenen Erfahrungen können Patienten im Allgemeinen von der Supplementierung eines breiten Spektrums antioxidativ wirksamer Mikronährstoffe profitieren, insbesondere von Natriumselenit. Es sollte jedoch immer auch ein Augenmerk auf die Qualität und Ausgewogenheit entsprechender Supplemente und Nahrungsergänzungen gelegt werden.

DZO:

Wie beurteilen Sie die aktuell veröffentlichten Studien, dass durch Gabe von hochdosiertem Vitamin C Krebszelllinien absterben (Chen/PNAS. 2005; 102)? Können von einer hochdosierten intravenösen Vitamin-C-Gabe auch Tumorpatienten profitieren?

Prof. Biesalski:

Es handelt sich um eine reine In-vitro-Studie, die mit vergleichsweise sehr hohen Dosierungen gearbeitet hat. Wir haben kürzlich Daten veröffentlicht, die zeigen, dass Vitamin C die Effekte der PDT (photodynamische Therapie) in vitro stark hemmen kann, also genau das umgekehrte. Drei Einzelfallberichte aus USA, bei denen Krebspatienten mit Vitamin C i.v. geholfen wurde, geben Anlass dazu, diese Anwendung weiter zu untersuchen, aber noch nicht eine generelle Empfehlung auszusprechen.

Herr Gröber:

Für Vitamin C werden ab Blutspiegeln über 1000 μmol/l zytotoxische Effekte beschrieben, die in vivo nur durch hochdosierte parenterale Applikation von Vitamin C-Infusionen zu erzielen sind. In einer aktuellen amerikanischen Untersuchung supplementierten Patientinnen mit Ovarialkarzinom nach einer Primäroperation adjuvant zur First-Line-Chemotherapie hochdosierte dietätische Antioxidanzien. Zusätzlich erfolgte regelmäßig (1-2 × pro Woche) eine hochdosierte Vitamin-C-Infusion, die sich an Wirkspiegeln von über 200 mg/dl im Plasma orientierte. Für derartige Plasmaspiegel wird eine Wirkungsverstärkung antineoplastischer Substanzen durch Vitamin C beschrieben. Die Komedikation mit Antioxidanzien zeigte einen überaus günstigen Effekt auf die tumordestruktive Effektivität und Nebenwirkungsrate der Chemotherapie sowie auf die Remissionsdauer und die Lebensqualität. Ich betreue derzeit selber eine Brustkrebspatientin, die seit über einem halben Jahr mit einem Vitamin-C-Hochdosisinfusionsschema (GL) neben der klassischen tumordestruktiven Therapie behandelt wird. Auch hier sind die bisher vorliegenden Daten positiv zu bewerten.

DZO:

Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Was tun Sie für sich, um gesund zu bleiben?

Prof. Biesalski:

Bewegung, gesunde Ernährung, so oft es möglich ist, und von Zeit zu Zeit auch ein Supplement.

Herr Gröber:

Ich versuche mich ausgewogen, möglichst mediterran zu ernähren und nehme selber seit über 15 Jahren unter dem Aspekt des „Metabolic Tuning” eine breit gefächerte Kombination von Mikronährstoffen ein. Daneben achte ich auf regelmäßige körperliche Aktivität in Form von medizinischem Krafttraining und Bewegung an der frischen Luft. Bis vor 10 Jahren habe ich noch selber Leistungssport betrieben und habe in dieser Phase von den günstigen Effekten von Mikronährstoffen auf das Immunsystem profitiert.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Hans Konrad Biesalski

Institut für Biologische Chemie
und Ernährungswissenschaft
Universität Hohenheim

Garbenstr. 30

70593 Stuttgart

Email: biesal@uni-hohenheim.de

Uwe Gröber

Rüttenscheider Str.66

45130 Essen

Email: uwegroeber@gmx.net