Die Zahl der mythischen Verwandlungen in der Griechischen Sagenwelt ist groß. Trifft
man eine Auswahl unter den Metamorphosen, die sich an der Haut abspielen, wird deutlich,
dass sich die bekanntesten und spektakulärsten im Umfeld der göttlichen Geschwister,
Artemis und Apollon, ereignen. Beide Gottheiten sind gleichermaßen strenge Rächer
beim Verstoß gegen Recht und Sitte; doch die Gründe, die zur Verwandlung ihrer jeweiligen
Gefährten führen, sind durchaus unterschiedlich. Zwei Beispiele von jedem soll dies
erläutern.
Artemis straft Verletzungen der jungfräulichen Integrität
1. Bevor Kallisto, die „Schönste”, sich dem Gefolge der Artemis anschließt, gelobt sie ebenfalls Keuschheit.
Als die Göttin eines Tages dennoch die von Zeus verursachte Schwangerschaft der Gefährtin
entdecken muss, lässt sie ihr im Zorn ein dichtes Bärenfell und Krallen wachsen. Was
Kallisto dann zustößt, wird in verschiedenen Parallelmythen berichtet. Ob sie von
den Pfeilen ihrer Herrin, der jungfräulichen Artemis, oder von Hera, der eifersüchtigen
Gemahlin des Zeus, getötet wird - jedenfalls kreist sie seither als Sternbild der
„Großen Bärin” um den Polarstern ([Abb. 1]).
Abb. 1 Kallisto, in eine Bärin verwandelt, apulische Oinochoe (390 - 380 v. Chr.) Malibu,
Inv.-Nr. 72 AE 128. Nach Schefold, 230, Abb. 320.
2. Dem Jäger Aktaion, der die Göttin Artemis unbekleidet beim Baden überrascht, lässt diese ein Hirschfell
wachsen und gibt ihm ein Geweih. So erkennen ihn seine eigenen Hunde nicht mehr, schlagen
die Zähne in sein Fleisch und reißen ihn in Stücke ([Abb. 2]).
Abb. 2 Aktaion, in einen Hirsch verwandelt, Amphora des Eucharides-Malers, (nach 490 v. Chr.)
Hamburg, Inv.-Nr. 1966.34. Nach Schefold, 138, Abb. 180.
Mit Apollon ist das ganz anders
Der Gott der Musen wird zwar wegen seiner Schönheit überall gerühmt, hat jedoch in
der Liebe schier endlos Pech.
1. Am Anfang steht ein Exkurs, in dem das Gefieder eines Vogels von der Metamorphose
betroffen ist. Koronis, von Apollon schwanger, gibt sich danach auch noch einem Sterblichen hin. Flugs bringt
eine weiße Krähe dem Gott die fatale Botschaft. Wie so oft trifft die Strafe den Überbringer
der schlechten Nachricht; darauf wird sein weißes Gefieder rabenschwarz, was sich
bekanntlich seit dieser Zeit nicht geändert hat ([Abb. 3], [Abb. 4])!
Abb. 3 Apollon und weiße Krähe, Skyphos (um 450 v. Chr.) Palermo. Nach Schefold, 209, Abb.
284.
Abb. 4 Apollon mit Lorbeerkranz und Raben, weißgrundige Schale (um 490 v. Chr.) Delphi. Nach
Schefold, 209, Abb. 285.
Der interessierte Mediziner erinnert sich an den halbwegs versöhnlichen Schluss der
Geschichte: Apollon tötet die treulose Gattin, rettet aber aus ihrem Leib den noch
ungeborenen Sohn, Asklepios, der dann vom weisen Chiron erzogen und in der Heilkunst
unterwiesen wird.
2. Die schöne Daphne, verfolgt vom liebeskranken Apollon, flieht vor ihm „schneller als der leichte Lufthauch”
(Ovid, Metamorphosen 1,502 f.) und entzieht sich ihm am Ende ganz, indem sie sich
in einen Lorbeerbaum verwandelt ([Abb. 5]).
Abb. 5 Daphne, in Lorbeer verwandelt, Statue augusteischer Zeit? Nach hellenistischem Original?
Früher Sammlung Borghese. Nach Schefold, 208, Abb. 283.
Fortan findet der Gott darin Trost, die Stirn mit dem heiligen Lorbeer zu kränzen.
Musentöchter und- söhne, wenn sie es zu wissenschaftlichem oder künstlerischem Erfolg
gebracht haben, tun es ihm nach.