Rofo 2007; 179(1): 89-90
DOI: 10.1055/s-2007-965839
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Ärztliche Berufsausübungsgemeinschaften - Möglicher Gestaltungsmissbrauch und seine Folgen

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Rechtsanwälte Wigge, Münster

RA Sebastian Sczuka

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Publication Date:
25 January 2007 (online)

 
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Urteil des BSG vom 22. März 2006

Gemeinschaftspraxen und Praxisgemeinschaften sind momentan die häufigsten Kooperationsformen in der vertragsärztlichen Versorgung. Ein Wechsel zwischen beiden Kooperationsformen ist für Vertragsärzte aus Abrechnungserwägungen teilweise sinnvoll. Ein höheres Honorar darf jedoch nur abgerechnet werden, wenn das tatsächliche Behandlungsverhalten der Ärzte auch der gewählten Kooperationsform entspricht. So darf eine Praxisgemeinschaft, eine in der Praxis durchaus bewährte Kooperationsform, nicht als ein Umgehungsinstrument eingesetzt werden, indem die Beteiligten nur nach außen das Vorhandensein einer Praxisgemeinschaft vorgeben und im Innenverhältnis tatsächlich gemeinschaftspraxisähnliche Strukturen aufrechterhalten bzw. schaffen. Wird eine Gemeinschaftspraxis "gelebt", obgleich nach dem Vertrag eine Praxisgemeinschaft vorliegt, ist die Honorarabrechnung sachlich-rechnerisch auf das Niveau einer Gemeinschaftspraxis zu berichtigen und bereits ausgezahltes Honorar zurückzufordern.

Diese bislang bereits von einigen Landessozialgerichten vertretene Rechtsauffassung hat das Bundessozialgericht (BSG) in einem Urteil vom 22.03.2006 (Az.: B 6 KA 76/04 R) nunmehr bestätigt. In dem dem Urteil zugrunde liegenden Rechtsstreit hatte der Kläger zusammen mit einem Kollegen ursprünglich eine fachgleiche Gemeinschaftspraxis betrieben. Nachdem beide die Gemeinschaftspraxis für beendet erklärt hatten, arbeiteten sie unter im Wesentlichen unveränderten äußeren Bedingungen als Praxisgemeinschaft weiter. Dabei belief sich die Quote der Doppelbehandlungsfälle auf durchschnittlich 58%. Die zuständige KV berichtigte rückwirkend die Honorarabrechnungen des Klägers. Die KV strich die Leistungen nach Nr. 1 EBM-Ä immer dann, wenn auch der Kooperationspartner (ehemaliger Partner in der Gemeinschaftspraxis und nunmehr Partner in der Praxisgemeinschaft) des Klägers diese Position im jeweiligen Quartal für denselben Patienten abgerechnet hatte und diesen nach dem Inhalt der Abrechnungsscheine überwiegend behandelt hatte. Sie verminderte außerdem für alle betroffenen Quartale die Hausarztpauschale um 30%. Das insgesamt überzahlte Honorar forderte sie zurück.

Das BSG erklärte in seinem Urteil diese sachlich-rechnerische Richtigstellung der KV für rechtens. Die KV habe die sachlich-rechnerische Richtigstellung zu Recht darauf gestützt, dass sich der Kläger wegen der praktizierten Form der Kooperation mit seinem Kollegen durch pflichtwidriges Verhalten bei der Ausgestaltung der beruflichen Zusammenarbeit und bei der Erfüllung des spezifischen Versorgungsauftrags vertragsärztliches Honorar verschafft hat, das er nicht hätte erzielen können, wenn die Zusammenarbeit korrekt durchgeführt worden wäre. Diesen auf pflichtwidriger Verhaltensweise beruhenden Honoraranteil darf die KV sachlich-rechnerisch berichtigen und insoweit bereits ausgezahltes Honorar zurückfordern. Sie ist nicht darauf beschränkt, den Pflichtverstoß disziplinarisch zu ahnden und/oder - bei Fortsetzung der Pflichtwidrigkeit trotz eindeutiger Belehrung - auf die Entziehung der Zulassung hinzuwirken.

Bei der beruflichen Kooperation im Status der Gemeinschaftspraxis (§ 33 Abs. 2 Satz 1 der Zulassungsordnung für Vertragsärzte) steht die gemeinschaftliche Berufsausübung im Vordergrund. Die Gemeinschaftspraxis tritt nach außen als Einheit auf, sie ist rechtlich gesehen eine Praxis. Folglich wird auch der Behandlungsvertrag nicht mit einem einzelnen Arzt der Praxis, sondern mit allen Partnern der Gemeinschaftspraxis abgeschlossen. Es steht also - über die gemeinsame Nutzung der Praxiseinrichtung sowie die gemeinsame Beschäftigung von Personal hinaus - die gemeinschaftliche Behandlung von Patienten und die gemeinschaftliche Karteiführung und Abrechnung im Vordergrund. Demgegenüber versteht man unter einer Praxisge-meinschaft den Zusammenschluss mehrerer Ärzte gleicher oder verschiedener Fachgebiete lediglich zur gemeinsamen Nutzung von Räumen und/oder Einrich-tungsgegenständen, medizinischen Geräten, Instrumenten und/oder zur gemeinsamen Beschäftigung nichtärztlicher Mitarbeiter bei sonst selbständiger Praxisführung mit unterschiedlichem Patientenstamm, eigener Dokumentation und selbständiger Abrechnung. Die Praxisgemeinschaft ist infolgedessen nicht eine Praxis.

Der Kläger und sein Kollege haben ihren Statuswechsel von der Gemeinschaftspraxis zu 2 in einer Praxisgemeinschaft kooperierenden Einzelpraxen bei der Gestaltung der Organisation von Praxis und Behandlungsabläufen nicht umgesetzt. Die mit dieser Vorgehensweise verbundenen künstlich produzierten Honorarzuwächse stehen dem Kläger und seinem Kollegen nicht zu. Sowohl die Ordinationsgebühr (Nr. 1 EBM-Ä) als auch die hausärztliche Grundvergütung können für einen Behandlungsfall in einem Quartal grundsätzlich nur einmal abgerechnet werden. Dabei ist der Behandlungsfall die gesamte von demselben Vertragsarzt innerhalb desselben Kalendervierteljahres an demselben Kranken ambulant zu Lasten derselben Krankenkasse vorgenommene Behandlung. Die Behandlung eines Versicherten in einem Quartal durch mehrere Mitglieder einer Gemeinschaftspraxis bildet ebenfalls nur einen einzigen Behandlungsfall. Kooperieren Ärzte hingegen nur in Form einer Praxisgemein-schaft, bilden die Leistungen jedes einzelnen Arztes bei einem Versicherten jeweils einen Behandlungsfall. Das führt zu einer künstlichen Fallzahlvermehrung, wenn sich Patienten in einem Quartal sowohl von dem einen als auch von dem anderen Arzt einer fachgebietsgleichen Praxisgemeinschaft behandeln lassen. Die für Patienten einer Gemeinschaftspraxis selbstverständliche Auswahl zwischen mehreren Ärzten der Praxis, die bei fachgebietsgleichen Praxen auch durch Umstände wie die zufällig kürzere Wartezeit beeinflusst werden kann, stellt bei einer Praxisgemeinschaft einen Arztwechsel (im Sinne des § 76 Abs. 3 Satz 1 SGB V) dar, der nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes stattfinden soll. Im Hinblick darauf und wegen der wirtschaftlichen Auswirkungen einer Doppelabrechnung vertragsärztlicher Leistungen durch mehrere Ärzte einer Praxisgemeinschaft müssen Vertragsärzte die gegenüber den Zulassungsgremien vollzogene Auflösung der Gemeinschaftspraxis und die Neuausrichtung der beruflichen Kooperation bei der Gestaltung der Behandlungsabläufe der Praxen eindeutig und für die Patienten unübersehbar umsetzen. Die nach außen realisierte Rechtsform muss im Praxisalltag transparent realisiert werden, anderenfalls liegt Gestaltungsmissbrauch vor, der vergütungsrechtliche Konsequenzen hat.

Behandeln also die Partner einer aus einer Gemeinschaftspraxis hervorgegangenen Praxisgemeinschaft die Patienten zu einem hohen Anteil gemeinschaftlich, nachdem sie es unterlassen haben, auf die Änderung der Rechtsform ihrer Zusammenarbeit unmissverständlich hinzuweisen, bedienen sie sich der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft missbräuchlich. Die in den Richtlinien zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfungen der KVen und der Krankenkassen vorgenommenen Grenzziehungen lassen erkennen, dass jedenfalls dann, wenn 2 in der Rechtsform einer Praxisgemeinschaft kooperierende Vertragsärzte desselben Fachgebietes mehr als 50% der Patienten in einem Quartal gemeinsam behandeln, tatsächlich die für eine Gemeinschaftspraxis kennzeichnende gemeinsame und gemeinschaftliche Ausübung der ärztlichen Tätigkeit durch Behandlung eines gemeinsamen Patientenstamms stattfindet. Denn bei einer derart hohen Patientenidendität muss das Patientenaufkommen koordiniert werden, was wiederum die für eine Gemeinschaftspraxis typische einheitliche Praxisorganisation erfordert. Ein Gestaltungsmissbrauch liegt bei einer so hohen Quote von Doppelbehandlungen insbesondere dann vor, wenn unter der Rechtsform einer Praxisgemeinschaft eine vormals von diesen Vertragsärzten betriebene Gemeinschaftspraxis unter vergleichbaren Praxisbedingungen fak-tisch fortgeführt wird. Die Vertragsärzte machen sich in einer solchen Situation den Umstand zu Nutze, dass Patienten aufgrund von Ankündigungen der Ärzte in der Vergangenheit und ihrer Erfahrungen einer gemeinsamen Behandlung durch beide Ärzte typischerweise nicht wahrnehmen, dass sich etwas an den rechtlichen Rahmenbedingungen der Behandlung geändert hat, und deshalb keinen Anlass zu der Annahme haben, die Inanspruchnahme beider Ärzte bedeute eine normativ prinzipiell nicht gewünschte Form der Behandlung.

Damit ergibt sich eine Verpflichtung der Ärzte, insbesondere der vormals in der Rechtsform der Gemeinschaftspraxis und nun in Praxisgemeinschaft tätigen Ärzte, einer unkoordinierten Mehrfachinanspruchnahme anderer Ärzte entgegenzuwirken. Im Hinblick auf den nahe liegenden Gestaltungsmissbrauch ist ein entsprechender Hinweis zu dokumentieren. Als ein wichtiger Grund des Versicherten für einen Arztwechsel innerhalb eines Quartals kommen vor allem individuelle Aspekte aus dem Arzt-Patienten-Verhältnis in Betracht. Der mutmaßlich häufigste Fall, der Umzug eines Patienten, scheidet hier jedoch von vornherein aus. Eine Störung des Vertrauensverhältnisses zum bisher behandelnden Arzt käme demgegenüber als Grund in Betracht.

Letztlich stehen auch die Grundsätze des Vertrauensschutzes einer Aufhebung der Honorarbescheide nicht entgegen.

Im Zusammenhang mit einem früheren Urteil des BSG (Az.: B 6 KA 14/04 R) kann damit festgestellt werden, dass jedes pflichtwidrige Verhalten eines Vertragsarztes, das zu einer höheren Honorarforderung führt, die KVen zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Honorarabrechnung berechtigt.

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