Handchir Mikrochir Plast Chir 2007; 39(5): 375-377
DOI: 10.1055/s-2007-965822
Schlusswort

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Schlusswort zu den Leserbriefen von J. von Finckenstein et al. sowie M. Markowicz und N. Pallua zur Arbeit von G. Maio: Ist die ästhetische Chirurgie überhaupt noch Medizin? Eine ethische Kritik

Handchir Mikrochir Plast Chir 2007; 39: 369 - 370, 371 - 372Concluding Remarks on the Letters of J. von Finckenstein et al. and M. Markowicz and N. Pallua on the Article of G. Maio: Is Aesthetic Surgery Still Really Medicine? An Ethical CritiqueHandchir Mikrochir Plast Chir 2007; 39: 369 - 370, 371 - 372G. Maio1
  • 1Lehrstuhl für Bioethik, Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Freiburg i. Br.
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eingereicht 23.9.2007

akzeptiert 12.10.2007

Publication Date:
05 November 2007 (online)

Meine ethischen Reflexionen habe ich bewusst für diese Zeitschrift geschrieben, weil es mir wichtig ist, dass innerhalb der Ärzteschaft über dieses wichtige Thema diskutiert wird. Daher bin ich sehr erfreut darüber, dass sich einige Kollegen zu Wort gemeldet haben, liegt mir doch an einem Dialog zwischen Ethik und Medizin.

Zunächst zum Brief von Herrn Dr. von Finckenstein et al., der meine Erwartung an eine fruchtbare Diskussion mit der Ärzteschaft enttäuscht hat, denn ich hatte mir sachliche Argumente erhofft, die die Diskussion weiterbringen. Stattdessen finde ich bei diesem Leserbrief lediglich eine undifferenzierte Polemik und unsachliche Verdrehungen meiner Thesen wieder. Die erste Behauptung lautet, meine Kritik schere alle Ärzte über einen Kamm. Offensichtlich haben Herr Dr. von Finckenstein et al. die Stellen meines Artikels überlesen (wollen), in denen ich festhielt, dass es viele stigmatisierende Erscheinungsformen gibt, die zu beheben als ärztliche Therapie und daher als ein Akt der Humanität darstellt, sodass mir genau daran gelegen war, zu differenzieren. Herr Dr. von Finckenstein beruft sich darauf, selbst lediglich „therapeutisch Gutes“ zu tun. Wenn er lediglich therapeutisch tätig ist, so träfe meine Kritik auf ihn nicht zu, und er könnte sich getrost zurücklehnen. Nicht verständlich ist dann aber der polemische Ton seines Briefes. Noch weniger verständlich ist es, dass Herr Dr. von Finckenstein - beispielsweise auf seiner Homepage - Reklame dafür macht, den Wunsch nach „mehr Fülle im Dekolleté“ erfüllen zu können. Ich habe nirgendwo kritisiert, dass Menschen eine größere Brust haben wollen, aber wenn die „Füllung des Dekolletés“ aus rein ästhetischen Gründen von Herrn Dr. von Finckenstein als „therapeutisch gut“ bezeichnet wird, ist das nicht schlüssig. Vollkommen abwegig ist es schließlich, wenn Herr Dr. von Finckenstein offiziell Werbung für „Liposculpturing“, „Bodylifting“ und „Chestlifting“ betreibt und sein Tun bemerkenswerterweise damit rechtfertigt, „Menschen von ihrem störenden körperlichen Stigma (zu) befreien“. Hier hätte ich eine ehrlichere Auseinandersetzung mit den Zielen der ästhetischen Chirurgie erhofft.

Als nächstes setzen Herr Dr. von Finckenstein et al. meine Bedenken gegen rein kosmetische Maßnahmen mit Bedenken gegen einen Brustwiederaufbau nach einer onkologisch bedingten Ablatio gleich. Dieser Vergleich ist nicht nur prätentiös, er beruht auf mehreren logischen Fehlschlüssen. Der erste Fehlschluss ist die Gleichsetzung einer medizinischen und krankheitsbedingten Indikation mit einem Eingriff, der allein durch den rein persönlichen Geschmack motiviert ist. Der zweite Fehlschluss betrifft die Verwechslung zwischen Ziel und Methode. Der Eingriff zur „Füllung des Dekolletés“ verfolgt das Ziel, einen persönlichen Geschmack zu befriedigen. Der gesamte Eingriff wird nur dieses Zieles wegen vorgenommen. Beim Brustaufbau nach Ablatio ist das Ziel die Behandlung einer krankheitsbedingten Versehrtheit des Körpers. Bei dieser Behandlung ist die Ausrichtung an ästhetischen Kriterien nicht das primäre Ziel, sondern lediglich das Mittel und somit sekundär in das Ziel der Krankheitsbehandlung eingebettet. Ein Arzt, der einen Brustaufbau vornimmt und hierbei die Ästhetik nicht beachtet, wird diesen Eingriff nicht gut machen können, weil die Ästhetik mit ein Kriterium für gutes ärztliches Handeln ist. Aber diese Ästhetik ist hier Begleitumstand und nicht primärer Anlass des Brustaufbaus. Daher ist die Unterstellung, ich würde mit meiner Kritik an rein ästhetisch motivierten Eingriffen zugleich die plastische Chirurgie für unnötig halten, eine unsachliche Verdrehung meiner Thesen. Ähnlich sinnentstellende Interpretationen betreffen auch meine rein deskriptiven Äußerungen zur Spange - ohne moralische Bewertung derselben - und die Begriffe von Machbarkeit und Natürlichkeit, die abermals vollkommen sinnentstellt wiedergegeben werden; ich erspare mir hier ermüdende Richtigstellungen und verweise auf meinen Artikel.

Noch problematischer ist die von Herrn Dr. von Finckenstein et al. vorgenommene Gleichsetzung des ästhetischen Eingriffs des Chirurgen mit der Auswahl eines schönen Kleides. Dieser Vergleich würde ja voraussetzen, dass die ästhetische Chirurgie in gleicher Weise zur Kultur des Menschen gehört wie seine Kleidung. Unabhängig davon, dass die Kultiviertheit des Menschen sich nicht am Kleid, sondern nur an der gesamten Persönlichkeit festmachen lässt, wird hier vollkommen ignoriert, dass die Kleidung dem Körper nur hinzukommt, während der ästhetisch-chirurgische Eingriff die Integrität des Körpers erst aufhebt, um sie chirurgisch nach Belieben wieder herzustellen. Im Gegensatz zum Tragen eines Kleides muss jeder chirurgische Eingriff erst legitimiert werden, bevor er vollzogen werden kann. Ethisch gesehen kann der Klientenwunsch den Arzt von seiner spezifisch ärztlichen Verantwortung nicht entbinden. Die von Herrn Dr. von Finckenstein et al. vorgenommene Gleichsetzung des ästhetischen Eingriffs mit dem Tragen eines Kleides ist nicht nur abwegig, sie ist sogar bedenklich, weil sie suggeriert, dass für jeden kultivierten Menschen der ästhetische Chirurg genauso wichtig sei und zum Alltagsleben gehören sollte wie die gute Kleidung. Insofern bestätigt mich diese Gleichsetzung in meiner Grundkritik, dass zuweilen nicht darüber nachgedacht wird, was die Medizin eigentlich anrichtet, wenn sie ästhetische Eingriffe auf Wunsch zunehmend zur Normalität erklärt.

Wenn Herr Dr. von Finckenstein seine Ethik dadurch zu retten versucht, dass er die Ethik als eine Denkweise definiert, die sich dem Geschmack der Menschen „beugen müsse“, so scheitert auch dieser Versuch an einem Denkfehler, weil das von ihm vorgeschlagene Ethikkonzept auf einem gravierenden Irrtum beruht. Die Ethik ist nicht eine Bestätigung der Sitte, sondern eine kritische Reflexion der Sitte. Wenn man dem Vorschlag von Dr. von Finckenstein et al. folgte, dann könnte nicht mehr von Ethik die Rede sein, sondern von der Bestätigung der Gewohnheit, was einer Tyrannei der Gewohnheit gleichkäme. Mag sein, dass sich die Menschen daran gewöhnt haben, dass es zur ärztlichen Aufgabe geworden ist Altersfalten wegzuspritzen, Augenlider zu straffen und Fett abzusaugen; allein diese Gewöhnung der Menschen ist jedoch keine Garantie dafür, dass es tatsächlich - für die Ärzteschaft - banal ist, wenn sie zum Bestandteil einer Beautyindustrie geworden ist. Die Ethik hat die Aufgabe, auch breit etablierte Methoden in der Medizin, so akzeptiert sie auch sein mögen, dennoch kritisch zu hinterfragen. Wenn sie das nicht täte, so wäre die Ethik lediglich eine reine Beschreibung des Faktischen. Herr Dr. von Finckenstein et al. haben hier somit Ethik mit Massengeschmack verwechselt.

Auch hinter der von Herrn Dr. von Finckenstein et al. vorgenommenen Definition von Schönheit verbirgt sich ein gravierender Irrtum. So behaupten Herr Dr. von Finckenstein et al., dass schon die griechische Antike ein Plädoyer für die ästhetische Chirurgie implizit enthalten hätte, weil mit der „Kaloagathie“ (Zitat Finckenstein) die „Menschen sich gut fühlen, wenn sie schöner sind“. Eine solche Interpretation eines alten Begriffs, der im übrigen Kalokagathie heißt, enthält zwei Irrtümer. Zum einen verbarg sich für die Griechen hinter dem schönen Körper nicht etwa die Kosmetik, sondern es ging den Hellenen um eine Leibeserziehung, um eine durch Gymnastik zu erzielende Pflege des Körpers und gerade nicht um eine künstliche Modellierung des Körpers. So gesehen möchte die ästhetische Chirurgie genau das Gegenteil dessen, was die Griechen mit Schönheit meinten, denn mit dem Skalpell oder der Fettabsaugung soll ja gerade die eigene Arbeit an einer Körperbildung durch ein viel schnelleres und scheinbar bequemer zu erreichendes Ergebnis ersetzt werden. Zum anderen ist mit dem Begriff der Kalokagathie ein Bildungsideal der Hellenen gemeint, mit dem gerade die Einheit von Wahrem, Gutem und Schönem postuliert wurde. Es ging hier also um das Ideal einer ethisch-philosophischen Persönlichkeit, das nur in der Harmonie von „gebildetem“ Körper und moralischer Vortrefflichkeit Vollkommenheit erlangen konnte. Es ging um das Gut-Sein, nicht um das sich „gut fühlen“. Insofern bestätigt gerade diese griechische Vision meine These, dass der heutige Schönheitskult defizitär ist, weil er lediglich ein Kult der äußeren Form ist, ohne die innere moralische Haltung mit zu kultivieren. Der moderne Mensch hat diese in der griechischen Antike gepriesene Einheit aufgegeben. Dass Herr Dr. von Finckenstein et al. nun versuchen, gerade die Kalokagathie als Gegenargument zu meiner Kritik zu bemühen, ist ein Widerspruch in sich und für seine These gerade kontraproduktiv.

Schließlich: Die Auffassung der Autoren, dass „die Maßstäbe der Ethiker und Moralisten da nichts zu suchen“ hätten, ist ein Armutszeugnis für das ärztliche Selbstverständnis. Die Medizin ist ein Teil der Gesellschaft, und sie muss der Öffentlichkeit Rechenschaft über ihre ethischen Grundlagen abgeben. Je mehr sie das aus sich heraus tut, umso besser. Wenn sie das aber kategorisch ablehnt und jegliche ethische Reflexion als illegitime Einmischung empfindet, macht sie sich in der Gesellschaft unglaubwürdig. Wenn Herr Dr. von Finckenstein, wie er sagt, schon längst Handwerker geworden ist und dies auch weiter bleiben will, so ist das nichts Unehrenhaftes, und er könnte sich auf eine marktwirtschaftliche Ethik der Wunscherfüllung berufen, aber dann sollte er nicht mehr damit werben, dass er ein Arzt sei. Wenn er sich trotz alledem weiterhin „Arzt“ nennen möchte, so wird er nicht umhin kommen, darüber nachzudenken, was den Arzt als Arzt ausmacht. Jedenfalls wird es mehr sein müssen als reiner Erfüllungsgehilfe aller Tagesmoden zu sein.

Für den Leserbrief von Frau Dr. Markowicz und Herrn Prof. Pallua danke ich sehr. Dieser ist sachlicher und vermeidet wohltuend jegliche Polemik. Ich habe Verständnis dafür, dass der Tagungspräsident die Nützlichkeit meines Referates für die Außenwirkung (bezeichnenderweise nicht für die Förderung der ärztlichen Reflexion) unterstreicht, und die Tagung selbst ist ja in der benannten Dialektik von These und Antithese (die übrigens auf Hegel und nicht auf Aristoteles zurückgeht) durchaus als gelungen zu bezeichnen. Allerdings schießen die Autoren über das Ziel hinaus, wenn sie versuchen, die gegenwärtige Entwicklung des Schönheitsmarktes, an dem viele Chirurgen aktiv mitmischen, als vollkommen unproblematisch hinzustellen. Zunächst einmal liegt auch hier ein logischer Denkfehler zugrunde. Wäre es um die von Ärzten vorgenommenen ästhetischen Maßnahmen nur zum Guten bestellt, wie dies nunmehr der Leserbrief suggeriert, dann hätte die Einladung eines Kritikers keinen Sinn gemacht. Überdies wurde die Einladung meiner Person in dem Tenor ausgesprochen, dass doch Vieles im Argen läge und man daher an einer ethischen Stellungnahme interessiert sei. Dass gerade die Einladenden sich am Ende ob der Kritik beschweren, die sie ja bewusst erbeten hatten, erscheint paradox.

Eine Grundproblematik der gesamten Diskussion liegt darin, dass man nicht von „der“ ästhetischen Chirurgie sprechen kann, sondern dass es ganz unterschiedliche Betätigungsfelder und ‐kontexte gibt, die man nicht alle zu einer homogenen Einheit zusammenbekommt. Daraus resultieren auch die vielen Simplifizierungen, die mir unterstellt werden. So ist es nicht möglich, eine Klinik für Plastische und Ästhetische Chirurgie, die in einem Krankenhaus der Maximalversorgung zum Kanon der angebotenen Disziplinen gehört und die den Nachwuchs in Krankenversorgung und zuweilen auch in Forschung und Lehre ausbildet, mit einer privaten Spezialklinik für ästhetische Eingriffe zu vergleichen, die möglicherweise gar nicht von einem Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie betrieben und als reines Profitunternehmen geführt wird. Zwischen diesen beiden Klinikarten liegen Welten, und in der Diskussion bestand das Problem, dass nie klar wurde, über welche Welt wir eigentlich reden. Der Leserbrief von Dr. Markowicz und Prof. Pallua unterstellt nun, ich würde an der ersten Klinik die gleiche Kritik üben wie an der zweiten. Wiederholt wird in dem Leserbrief kritisiert, dies und jenes dürfe „nicht allen unterstellt werden“, offensichtlich wollte man überlesen, dass ich immer wieder Differenzierungen vorgenommen und auch viele rein ästhetische Maßnahmen als leidenslindernde Hilfe bezeichnet habe (s. o.). Der Grat aber zwischen einer Hilfe für leidende Menschen und einem marktkonformen Verkauf einer Dienstleistung auf Wunsch ist sehr schmal, und es gibt kaum eine Klinik, die von sich behaupten kann, dass sie absolut gefeit sei vor der Verlockung, gegen Geld die „Indikation“ etwas weiter zu fassen. Vor dieser drohenden sukzessiven Aushöhlung des Kerngehaltes der Medizin als eine Disziplin der Hilfe habe ich in meinem Artikel warnen wollen. So zu tun, als hätte ich alle Chirurgen oder gar „einen ganzen Berufsstand“ de facto dieses Verhaltens bezichtigt, ist angesichts meines Textes unredlich. Diese unbeholfene Kritik lenkt nur von der Tatsache ab, dass das, was nicht allen unterstellt werden darf, doch für so manche leider zutrifft.

Auch die Unterstellung, ich würde die ästhetische Chirurgie für die Kultur der Oberflächlichkeit verantwortlich machen, ist eine komplette Verdrehung meiner Aussage. Festgehalten habe ich genau das Gegenteil: „Die Medizin mag nicht der Urheber dieser Ausrichtung sein …“ Mir ging es also nicht darum, die Medizin verantwortlich zu machen für den Körperkult und die sinnentleerte Äußerlichkeit einer egozentrischen und selbstbefangenen Konsumgesellschaft. Vielmehr verweise ich darauf, dass die Medizin die ohnehin bestehende Tendenz mit ihrem Tun bestätigt und zugleich auch fördert - ohne jedoch ihr Urheber zu sein. Daher ist der Vorwurf, ich würde mich auf die Medizin kaprizieren und dabei die Kosmetikindustrie und die Medien unberücksichtigt lassen, abermals vollkommen an meiner Grundthese vorbei. Ich behaupte nicht, dass die Medizin ein Trendsetter sei; dazu wäre sie, selbst wenn sie es wollte, nicht in der Lage. Vielmehr behaupte ich, dass sich die Medizin in oft unreflektierter Weise dem breiten gesellschaftlichen Trend anschließt und sich mitreißen lässt, anstatt dem Trend zu widerstehen und ihm ein ärztliches Verhalten entgegenzustellen, das den größeren Kontext und den ganzen Menschen in den Blick nimmt.

An meinen Thesen vorbeiargumentiert ist auch der Einwand, dass der Mensch schon immer nach Schönheit gestrebt habe. Das habe ich ja nie in Abrede gestellt. Folglich kritisiere ich auch nicht den Wunsch nach Schönheit, sondern die Reduzierung der Schönheit auf das rein Äußerliche, und vor allem kritisiere ich, dass die Medizin die Menschen überhaupt auf die Idee gebracht hat, dass man den Körper nach persönlichen Wünschen modellieren könne. Ich kritisiere, dass die Medizin suggeriert, dass alles machbar sei und jeder Wunsch nach jedweder Form erfüllbar ist. Ohne eine bestimmte reduktionistische Denkweise der Medizin - und nicht nur der heutigen Medizin - wäre die Palette der Kosmetik nicht um chirurgische Eingriffe erweitert worden. Das Problem liegt nicht nur in der Zielsetzung, sondern auch in der Wahl der Mittel zur Erreichung von „Schönheit“. Es ist daher gar nicht zu leugnen, dass die Medizin tatsächlich einen Bedarf schafft, der ohne die unreflektierte Denkweise vieler „Schönheitschirurgen“ - wer immer das auch sein mag - nicht aufgekommen wäre. Ich kritisiere, dass allein durch das Angebot der Medizin es vor allem für schwache Menschen einen Konformitätsdruck gibt, die Angebote der ästhetischen Chirurgie auch wahrzunehmen, wenn man nicht „abgehängt“ werden möchte. Dass die beiden Autoren nun so tun als hätten diese Tatsachen mit der Medizin selbst überhaupt nichts zu tun, hat in gewisser Hinsicht - man möge es mir nachsehen - etwas Scheinheiliges; in jedem Falle wird die Komplizenschaft der Medizin mit den Ideologien der modernen Konsumgesellschaft vollkommen ignoriert.

Schließlich: Das Zitat von Papst Pius XII wird immer wieder als Beweis dafür bemüht, dass die gegenwärtige Ausrichtung der ästhetischen Chirurgie moralisch nicht belastbar sei. Hierbei wird allerdings der historische Kontext dieser Äußerung vollkommen außer Acht gelassen. Der Papst hat diesen Satz vor fast 50 Jahren auf einer Tagung der Plastischen Chirurgen ausgesprochen - die ästhetische Chirurgie als Fachbezeichnung gab es damals noch nicht. Die Eingriffe, die er im Sinne haben konnte, sind in keiner Weise mit den Eingriffen zu vergleichen, über die wir heute reden. So zu tun, als hätte dieses Zitat von 1958 eine Absolution für die heutige Ausprägung der ästhetischen Chirurgie enthalten, die sich kaum jemand in diesem Ausmaß ausmalen konnte, entbehrt jeglicher Logik. Ferner muss bedacht werden, dass der Papst von der Wiederherstellung der Schönheit und nicht vom Selbstentwurf von Schönheit spricht. Folglich spricht hier der Papst über Fehlbildungen beziehungsweise über entstellende körperliche Erscheinungen, die zu korrigieren ein Dienst am Menschen sein kann - dies hatte ich auch in meinem Artikel mehrfach betont. Da aus dem Satz nicht ableitbar ist, dass die Teilnahme der heutigen Medizin an einem exzessiven Schönheitskult päpstlich abgesegnet wäre, lässt sich auch nicht folgern, dass meine Forderungen an die Medizin päpstlicher als der Papst seien - im Gegenteil.

Mir ist vollkommen bewusst gewesen, dass ich mit meinem Plädoyer dafür, dass die Medizin sich nicht einfach Modetrends anschließen, sondern sich auf ihre Grundwerte besinnen sollte, einen hohen Anspruch stelle. Aber ich kritisiere die Medizin nicht um der Kritik willen, sondern aus einem genuinen Interesse an der Medizin, die es - angesichts der vielen KollegInnen, die ihr ganzes Leben in den Dienst ihrer Kranken stellen - nicht verdient hat, dass sie ihre Glaubwürdigkeit verliert. Die Unreflektiertheit so mancher Ästhetik anbietenden KollegInnen schadet nicht nur diesen KollegInnen selbst, sondern der gesamten Medizin. Daher ist es jeder Arzt der gesamten Medizin schuldig, selbstkritisch genug mit seinen „Indikationen“ umzugehen. Ich weiß aus vielen Gesprächen, dass es unzählige Ärztinnen und Ärzte gibt, die diese Selbstkritik täglich üben, sodass ich trotz des hier nur mäßig geglückten Versuchs eines Dialogs zuversichtlich bin, dass die Medizin selbst Wege finden wird, um das Vertrauen in ihre moralische Integrität zurückzugewinnen.

Prof. Dr. med. Giovanni Maio

Lehrstuhl für Bioethik
Institut für Ethik und Geschichte der Medizin
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Stefan-Meier-Straße 26

79104 Freiburg i. Br.

Email: giovanni.maio@uniklinik-freiburg.de

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