physioscience 2007; 3(2): 45
DOI: 10.1055/s-2007-963152
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Editorial

K. Niedermann1
  • 1Rheumaklinik und Institut für Physikalische Medizin, UniversitätsSpital Zürich
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Publication Date:
21 May 2007 (online)

Liebe Leserin, lieber Leser,

Sie halten heute eine spezielle Ausgabe von physioscience in Ihren Händen. Es ist erstmals eine thematische Nummer, und Sie finden darin eine Auswahl von Forschungsprojekten zur Internationalen Klassifikation von Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF). Das besondere daran ist, dass es sich um Forschungsprojekte von Physiotherapeutinnen über die ICF im Rahmen der Physiotherapie handelt.

Die ICF ermöglicht es darzustellen, dass eine (chronische) Krankheit viel mehr ist als eine Diagnose. Die Betroffenen können, beeinflusst von personenbezogenen Faktoren und Umweltfaktoren, auf der körperlichen Ebene (Körperfunktion und -struktur), in ihren individuellen Handlungen (Aktivität) und sozialen Interaktionen (Partizipation) beeinträchtigt sein.

Die ICF ist aber primär ein Klassifikationssystem und so nicht direkt in die Praxis umsetzbar. Deshalb beschäftigen sich Forschende und verschiedene Gesundheitsfachleute, die täglich mit Patienten zu tun haben (z. B. Rehabilitationsmediziner, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Psychologen), seit Jahren damit, die ICF für die tägliche klinische Praxis anwendbar zu machen. Die Physiotherapie hat die Kraft der ICF früh erkannt und ist seit Beginn bei diesem Prozess dabei.

Die Arbeiten in diesem Heft zeugen davon und sind erste konkrete Ergebnisse dieses Tuns, die nun für die Physiotherapie greifbar werden. Das Gasteditorial von Professor G. Stucki und Frau E. O. Huber und der Hintergrundartikel von Huber et al. führen aufbauend in die ICF ein. Daher ist es empfehlenswert, diese beiden einleitenden Artikel vor den 3 Forschungsarbeiten über die ICF-Interventionskategorien für die Physiotherapie bei muskuloskelettalen, neurologischen und intern-medizinischen Gesundheitsstörungen zu lesen.

Diese Forschungsarbeiten sind alle als Master-Arbeiten des universitären Weiterbildungsprogramms Physiotherapie Wissenschaften Zürich-Maastricht entstanden. Damit hat die ICF einen nicht primär beabsichtigten, aber wichtigen weiteren Effekt: Die Arbeiten zur Nutzbarmachung der ICF in der Praxis haben für die Physiotherapie interessante und relevante Forschungsarbeiten generiert und damit einen Beitrag zur Positionierung der Physiotherapie als eigenständige und selbstbewusste Profession geleistet.

Im Juni dieses Jahres findet in Vancouver der 15. WCPT-Kongress, der 4-jährlich stattfindende Weltphysiotherapiekongress statt. Diese Ausgabe von physioscience entstand als Mitbringsel der Physiotherapie im deutschsprachigen Raum. Eine wunderbare Gelegenheit zu zeigen, dass auch hierzulande die Physiotherapie in einem international aktuellen Forschungsbereich dabei ist.

Von einem Kongress fährt man nicht primär mit neuen Techniken und Methoden in der Tasche nach Hause, die man am darauf folgenden Montag in seiner Arbeit einsetzen kann. - Ein Grund, der leider viele Physiotherapeuten davon abhält, einen Kongress zu besuchen.

Ein Kongress wie z. B. der WCPT zeigt einen Querschnitt über das berufliche Tun in verschiedenen Ländern, setzt Physiotherapie in einen weiten gesundheits- und berufspolitischen Kontext, zeigt den Stand der Profession und zukünftige Entwicklungen.

Welche berufspolitischen Themen beschäftigen, welche Trends sind erkennbar, welche spezifischen oder allgemeinen Entwicklungen (z. B. die Demographie) setzen neue Trends und welche Themen sind auf der Forschungsagenda? Wie arbeiten und denken Kollegen in anderen Ecken der Welt und welche Themen beschäftigen unsere Kollegen in Ländern, in denen die Professionalisierung der Physiotherapie weiter fortgeschritten ist, wie eben in Kanada, in den USA, in Australien?

Auf diese Weise verändert ein Kongress die Wahrnehmung, das Denken und das Verständnis für unser berufliches Tun -, und damit eben doch häufig unser berufliches Handeln selbst.

Dasselbe erhofft man sich von der ICF. Auch die ICF veränderte die Wahrnehmung und das Denken. Sie hat das Potenzial, das Verständnis für unser berufliches Tun und damit auch unser berufliche Handeln selbst zu verändern.

Mit den in diesem Heft präsentierten ICF-Forschungsarbeiten möchten wir auch die Diskussion eröffnen und die Anwendung der ICF-Interventionskategorien in der täglichen Arbeit mit Patienten unterstützen.

Karin Niedermann, MPH, PT

Rheumaklinik und Institut für Physikalische Medizin, UniversitätsSpital Zürich

Gloriastr. 25

CH-8091 Zürich

Email: karin.niedermann@usz.ch

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