Varianzanalyse
Varianzanalyse
Mit Hilfe der Varianzanalyse (analysis of variance, ANOVA) wird untersucht, ob sich
drei oder mehr unabhängige Gruppen bezüglich ihrer Mittelwerte einer stetigen Zielvariable
statistisch signifikant unterscheiden [1] [4]. Die Annahmen, die dieser Methode zugrunde liegen, wurden im Rahmen der DMW-Statistik-Serie
schon diskutiert [3]
[4]. Wichtig ist, dass die Varianzanalyse als Verallgemeinerung des ungepaarten t-Tests [3] nur geeignet ist, um die Mittelwerte unabhängiger Gruppen zu vergleichen.
Inter- und Intra-Subjekt-Faktoren
Inter- und Intra-Subjekt-Faktoren
Vergleicht man unabhängige Gruppen miteinander, z. B. mehrere Behandlungsarme im
Rahmen einer randomisierten Studie, wird hiermit ein Inter-Subjekt-Faktor untersucht. Seine Faktorstufen stellen die unterschiedlichen Gruppen dar. Wurden
jedoch bei denselben Probanden Messungen dreimal oder öfter durchgeführt, und möchte
man diese abhängigen Stichproben miteinander vergleichen, sind die gewöhnlichen ANOVA-Methoden
nicht flexibel genug. Sie können nur für unabhängigen Stichproben eingesetzt werden,
da sie die Korrelation innerhalb der Daten, die z. B. durch Messwiederholung an ein
und derselben Person entsteht, nicht berücksichtigen können. Bei Messwertwiederholungen
ist die Zeit ein so genannter Intra-Subjekt-Faktor.
Häufig findet man in der Praxis Designs, die sowohl Inter- als auch Intra-Subjekt-Faktoren
beinhalten. Liegt die Hauptfragestellung der Studie in der Untersuchung von Gruppenunterschieden,
also der Inter-Subjekt-Faktoren, so kann man häufig die Intra-Subjekt-Faktoren durch
Verwendung geeigneter Kenngrößen (z. B. Berechnung von Mittelwert oder Fläche unter
der Kurve für jeden Probanden) aus dem Design „herausmitteln”. Es bleibt ein Design
mit Inter-Subjekt-Faktoren übrig, das mit den Methoden der gewöhnlichen Varianzanalyse
oder - im einfachsten Fall - mit Hilfe des t-Tests untersucht werden kann. Dieses Vorgehen haben wir im Artikel über Verlaufskurven
näher erläutert [2].
Sollen in einer Studie jedoch Effekte eines Intra-Subjekt-Faktors untersucht werden,
wird eine flexiblere Methode benötigt, die auch die Betrachtung abhängiger Stichproben
erlaubt. Ein solches Verfahren ist die Varianzanalyse für Messwertwiederholungen
[7]. Je nach Studiendesign und Datenlage ergeben sich unterschiedliche Auswertungsmodelle.
Die grundlegenden Modelle der Varianzanalyse für Messwertwiederholungen werden im
Folgenden kurz beschrieben und erklärt.
Modell mit einem Intra-Subjekt-Faktor
Modell mit einem Intra-Subjekt-Faktor
Das einfachste Modell der Varianzanalyse für Messwertwiederholungen ist das mit nur
einem Intra-Subjekt-Faktor. Besteht dieser Faktor aus lediglich zwei Kategorien (zwei
abhängige Stichproben), kommt der gepaarte t-Test für die Datenanalyse in Frage. Liegen jedoch drei oder mehr Faktorstufen vor,
so wird die Varianzanalyse für Messwertwiederholungen als Auswertungsmethode benötigt.
Wir betrachten als Beispiel die Giessener Senioren-Langzeitstudie (GISELA), in der
die Ernährungsgewohnheiten und der Gesundheitsstatus von ca. 500 Senioren mit einem
Mindestalter von 60 Jahren von 1994 bis 2002 untersucht werden [9]. Es wird hier nur der Teildatensatz von n = 185 Probanden (121 Frauen und 64 Männer)
berücksichtigt, bei denen bezüglich des Body Mass Index (BMI) die Basis- und die Follow-Up-Daten
nach 2, 4 und 6 Jahren vollständig vorhanden sind. Außerdem betrachten wir hier nur
den BMI als Zielgröße und als mögliche Einflussgrößen die Zeit und das Geschlecht.
In Tab. [1] sind die Mittelwerte und Standardabweichungen dieses Teildatensatzes im Zeitverlauf
angegeben. Anhand der Mittelwerte lässt sich bei beiden Geschlechtern ein leichter
Anstieg des BMI im Zeitverlauf feststellen.
Tab. 1 Mittelwerte und Standardabweichungen (SD) bezüglich des BMI (Angaben in kg/m2) im Zeitverlauf von 185 Probanden der Giessener Senioren Langzeitstudie (GISELA).
<TD VALIGN="TOP">
BMI (kg/m2)
</TD><TD VALIGN="TOP" COLSPAN="2">
Männer (n = 64)
</TD><TD VALIGN="TOP" COLSPAN="2">
Frauen (n = 121)
</TD><TD VALIGN="TOP" COLSPAN="2">
Gesamt
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
Mittelwert
</TD><TD VALIGN="TOP">
SD
</TD><TD VALIGN="TOP">
Mittelwert
</TD><TD VALIGN="TOP">
SD
</TD><TD VALIGN="TOP">
Mittelwert
</TD><TD VALIGN="TOP">
SD
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Basisjahr
</TD><TD VALIGN="TOP">
26,15
</TD><TD VALIGN="TOP">
3,29
</TD><TD VALIGN="TOP">
26,04
</TD><TD VALIGN="TOP">
3,90
</TD><TD VALIGN="TOP">
26,08
</TD><TD VALIGN="TOP">
3,69
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Nach 2 Jahren
</TD><TD VALIGN="TOP">
26,37
</TD><TD VALIGN="TOP">
3,36
</TD><TD VALIGN="TOP">
26,30
</TD><TD VALIGN="TOP">
3,87
</TD><TD VALIGN="TOP">
26,33
</TD><TD VALIGN="TOP">
3,69
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Nach 4 Jahren
</TD><TD VALIGN="TOP">
26,46
</TD><TD VALIGN="TOP">
3,36
</TD><TD VALIGN="TOP">
26,25
</TD><TD VALIGN="TOP">
4,03
</TD><TD VALIGN="TOP">
26,32
</TD><TD VALIGN="TOP">
3,80
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Nach 6 Jahren
</TD><TD VALIGN="TOP">
26,58
</TD><TD VALIGN="TOP">
3,24
</TD><TD VALIGN="TOP">
26,55
</TD><TD VALIGN="TOP">
4,06
</TD><TD VALIGN="TOP">
26,56
</TD><TD VALIGN="TOP">
3,78
</TD>
Um zu untersuchen, ob die Zeit einen statistisch signifikanten Effekt auf den BMI
hat, kann man die Varianzanalyse für Messwertwiederholungen mit einem Intra-Subjekt-Faktor
(Zeit) verwenden. Da Messungen im Basisjahr und nach 2, 4 und 6 Jahren vorliegen,
handelt es sich um ein Design mit vier abhängigen Stichproben. Eine Mittelung der
Daten über die Zeit kommt hier nicht in Frage, da ja gerade die Veränderung des BMI
im Zeitverlauf untersucht werden soll.
Bei der Varianzanalyse für Messwertwiederholungen unterscheidet man grundsätzlich
zwei verschiedene Sichtweisen, aus denen zwei verschiedene statistische Auswertungsstrategien
hervorgehen. Zum einen kann man die abhängigen Messungen eines Probanden als Realisationen
von vier verschiedenen Zielvariablen ansehen (multivariater Ansatz). Zum anderen kann
man eine univariate Sichtweise einnehmen, bei der nur eine Zielvariable vorliegt,
muss aber dann die Abhängigkeitsstruktur der Daten berücksichtigen (univariater Ansatz).
Der multivariate Ansatz erfordert weniger Annahmen über die Abhängigkeitsstruktur,
hat aber auch weniger Power als der univariate Ansatz [7]. Zudem ist der multivariate Ansatz nur anwendbar, wenn die Zahl der Faktorstufen
des Intra-Subjekt-Faktors relativ klein ist. Im Folgenden beschränken wir uns daher
auf die Darstellung der Methoden für den univariaten Ansatz.
Überraschenderweise dürfen bei geeigneter Modellierung - auch wenn die Stichproben
abhängig sind - die gewöhnlichen F-Tests der Varianzanalyse verwendet werden, wenn die Korrelation der Messungen ein
gewisses symmetrisches Muster aufweist, die so genannte Sphärizität [7]. Ist diese Annahme verletzt, so sind die gewöhnlichen F-Tests jedoch nicht gültig, da sie zu kleine p-Werte liefern. Die Sphärizitätsbedingung ist in der folgenden für die Praxis wichtigen
Situation gerade nicht erfüllt. Bei zeitlich aufeinander folgenden Messungen sind
dicht beieinander liegende Messungen stärker korreliert als weiter auseinander liegende,
so dass sich der Grad der Korrelation systematisch ändert. In unserem Beispiel der
GISELA-Studie betragen die Korrelationskoeffizienten des BMI im Basisjahr mit den
Messungen nach 2, 4 und 6 Jahren 0,96, 0,93 und 0,91. Das bedeutet, dass die Korrelation
der Daten wie erwartet mit der Zeit abnimmt. Für solche Situationen wurden verschiedene
Korrekturfaktoren für den F-Test vorgeschlagen, die zu korrigierten p-Werten führen. Sie sind auch bei Verletzung der Sphärizitätsbedingung gültig. Einer
dieser Korrekturfaktoren geht auf Huynh und Feldt [8] zurück und wird als „Huynh-Feldt-Epsilon-Korrektur” bezeichnet [7].
Dieses Verfahren wird auf unsere Beispieldaten angewendet. In Tab. [2] wird die Varianzanalysetabelle nach dem univariaten Ansatz zum Test auf Zeiteffekte
bezüglich des BMI dargestellt. Es wird sowohl der p-Wert für den gewöhnlichen F-Test, als auch der korrigierte p-Wert mit Huynh-Feldt-Epsilon-Korrektur (H-F) angegeben. Aufgrund des hier hoch signifikanten
Zeiteffekts (p < 0.0001), gibt es in diesem Beispiel keinen relevanten Unterschied zwischen dem nicht
korrigierten und dem korrigierten p-Wert.
Tab. 2 Varianzanalysetabelle für das Modell mit nur einem Intra-Subjekt-Faktor zur Untersuchung
von Zeiteffekten bezüglich des BMI bei 185 Probanden der GISELA-Studie.
<TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
Quadratsumme
</TD><TD VALIGN="TOP">
Freiheitsgrade
</TD><TD VALIGN="TOP">
Mittel der Quadrate
</TD><TD VALIGN="TOP">
F
</TD><TD VALIGN="TOP">
p-Wert
</TD><TD VALIGN="TOP">
Korrigierter
p-Wert (H-F)
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Zeit
</TD><TD VALIGN="TOP">
21,945
</TD><TD VALIGN="TOP">
3
</TD><TD VALIGN="TOP">
7,315
</TD><TD VALIGN="TOP">
9,56
</TD><TD VALIGN="TOP">
< 0,0001
</TD><TD VALIGN="TOP">
< 0,0001
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Fehler
</TD><TD VALIGN="TOP">
422,510
</TD><TD VALIGN="TOP">
552
</TD><TD VALIGN="TOP">
0,765
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD>
Modell mit einem Intra- und einem Inter-Subjekt-Faktor
Modell mit einem Intra- und einem Inter-Subjekt-Faktor
Um neben dem Zeiteffekt auch zu untersuchen, ob sich der BMI zwischen Männern und
Frauen in der GISELA-Studie signifikant unterscheidet, muss das Modell erweitert werden.
Da es sich bei den beiden Geschlechtergruppen um unabhängige Stichproben handelt,
ist das Geschlecht ein Inter-Subjekt-Faktor. Für Inter-Subjekt-Faktoren können im
Rahmen des Varianzanalysemodells für Messwertwiederholungen die gewöhnlichen F-Tests ohne Korrektur verwendet werden. Bei den Modellen der Varianzanalyse für Messwertwiederholungen,
die sowohl Inter- als auch Intra-Subjekt-Faktoren enthalten, werden zwei Varianzanalysetabellen
erstellt, eine für die Inter- und eine für die Intra-Subjekt-Faktoren. Zu beachten
ist, dass es nicht nur Haupteffekte geben kann, sondern auch Wechselwirkungen [4] zwischen den Inter- und Intra-Subjekt-Faktoren, die in der Tafel der Varianzanalyse
für die Intra-Subjekt-Faktoren mit aufgenommen werden. Die Bedeutung von Wechselwirkungen
wird ausführlich im nächsten Abschnitt diskutiert. In unserem Beispiel gibt es also
insgesamt Ergebnisse von drei zu unterscheidenden Effekten: Zeit, Geschlecht und die
Wechselwirkung zwischen Zeit und Geschlecht. Die Betrachtung der Wechselwirkung ist
deshalb wichtig, da es ja durchaus sein kann, dass es unterschiedliche Verlaufskurven
des BMI bei Männern und Frauen geben kann, die sich nicht allein durch vorhandene
Haupteffekte darstellen lassen. Tab. [3]a und [3]b sind die beiden Varianzanalysetabellen, in Abb. [1] die mittleren Verlaufskurven für Frauen und Männer grafisch dargestellt.
Abb. 1 Mittelwerte des BMI (Angaben in kg/m2) von 185 Frauen und Männern der Giessener Senioren Langzeitstudie (GISELA) im Zeitverlauf.
Tab. 3a Varianzanalysetabelle für den Inter-Subjekt-Effekt aus dem Modell mit einem Inter-
und einem Intra-Subjekt-Faktor zur Untersuchung von Geschlechtsunterschieden und Zeiteffekten
bezüglich des BMI bei 185 Probanden der GISELA-Studie.
<TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
Quadratsumme
</TD><TD VALIGN="TOP">
Freiheitsgrade
</TD><TD VALIGN="TOP">
Mittel der Quadrate
</TD><TD VALIGN="TOP">
F
</TD><TD VALIGN="TOP">
p-Wert
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Geschlecht
</TD><TD VALIGN="TOP">
1,835
</TD><TD VALIGN="TOP">
1
</TD><TD VALIGN="TOP">
1,835
</TD><TD VALIGN="TOP">
0,03
</TD><TD VALIGN="TOP">
0,854
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Fehler
</TD><TD VALIGN="TOP">
9 890,1
</TD><TD VALIGN="TOP">
183
</TD><TD VALIGN="TOP">
54,044
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD>
Tab. 3b Varianzanalysetabelle für den Intra-Subjekt-Effekt und die Wechselwirkung aus dem
Modell mit einem Inter- und einem Intra-Subjekt-Faktor zur Untersuchung von Geschlechtsunterschieden
und Zeiteffekten bezüglich des BMI bei 185 Probanden der GISELA-Studie.
<TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
Quadratsumme
</TD><TD VALIGN="TOP">
Freiheitsgrade
</TD><TD VALIGN="TOP">
Mittel der Quadrate
</TD><TD VALIGN="TOP">
F
</TD><TD VALIGN="TOP">
p-Wert
</TD><TD VALIGN="TOP">
Korrigierter
p-Wert (H-F)
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Zeit
</TD><TD VALIGN="TOP">
18,942
</TD><TD VALIGN="TOP">
3
</TD><TD VALIGN="TOP">
6,314
</TD><TD VALIGN="TOP">
8,22
</TD><TD VALIGN="TOP">
< 0,0001
</TD><TD VALIGN="TOP">
0,0002
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Zeit × Geschlecht
</TD><TD VALIGN="TOP">
0,799
</TD><TD VALIGN="TOP">
3
</TD><TD VALIGN="TOP">
0,266
</TD><TD VALIGN="TOP">
0,35
</TD><TD VALIGN="TOP">
0,7915
</TD><TD VALIGN="TOP">
0,7263
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Fehler
</TD><TD VALIGN="TOP">
421,711
</TD><TD VALIGN="TOP">
549
</TD><TD VALIGN="TOP">
0,768
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD>
Wie im einfaktoriellen Modell des letzten Abschnitts gibt es auch im mehrfaktoriellen
Modell einen signifikanten Zeiteffekt (korrigierter p-Wert mit Huynh-Feldt-Epsilon-Korrektur: p = 0.0002). Obwohl die Verlaufskurve der Männer zu allen Zeitpunkten oberhalb der Kurve
der Frauen verläuft, ist der Effekt des Geschlechts nicht statistisch signifikant
(p = 0,854). Ebenso wenig gibt es eine statistisch signifikante Wechselwirkung zwischen
Zeit und Geschlecht (korrigierter p-Wert mit Huynh-Feldt-Epsilon-Korrektur: p = 0.7263). Mit den Daten dieses Beispiels lässt sich also nur eine Änderung des BMI
im Zeitverlauf, nicht aber ein Unterschied zwischen Männern und Frauen, weder im Mittel
über die Zeit noch im Zeitverlauf belegen.
Bedeutung der Wechselwirkung
Bedeutung der Wechselwirkung
Um die Bedeutung der Wechselwirkung zwischen einem Inter- und einem Intra-Subjekt-Faktor
im Rahmen eines Varianzanalysemodells für Messwertwiederholungen zu illustrieren,
vertauschen wir einmal die Daten für die Zeitpunkte 0 und 6 Jahre nur bei den Frauen.
Die resultierenden Verlaufskurven sehen dann aus wie in Abb.
[2].
Abb. 2 Künstliche Daten der Giessener Senioren-Langzeitstudie (GISELA) nach Vertauschen
der Zeitpunkte 0 und 6 bei den Frauen zur Illustration einer Wechselwirkung.
Die Zeitverläufe in diesen künstlichen (!) Daten sind nun völlig unterschiedlich.
Bei Männern gibt es wie vorher einen kontinuierlichen Anstieg, während die Verlaufskurve
der Frauen jetzt kontinuierlich abfällt. Auf den F-Test für den Inter-Subjekt-Effekt Geschlecht hat diese Datenmanipulation keinen Einfluss.
Da man quasi den über alle Zeitpunkte gemittelten Unterschied betrachtet, spielt die
Reihenfolge der Zeitpunkte gar keine Rolle. Somit bleibt es auch bei diesen Daten
dabei, dass es keinen signifikanten Haupteffekt des Geschlechts gibt (p = 0,854). Die Datenmanipulation hat aber eine drastische Änderung in den statistischen
Ergebnissen der Varianzanalyse bezüglich des Zeitverlaufs zur Folge. Es gibt nun keinen
signifikanten Haupteffekt der Zeit mehr (p = 0,935), aber dafür eine signifikante Wechselwirkung zwischen Geschlecht und Zeit (p < 0,0001).
An diesem künstlichen Beispiel wird deutlich, dass man bei der Interpretation nicht
signifikanter Haupteffekte, aber signifikanter Wechselwirkungen zwischen Inter- und
Intra-Subjekt-Faktoren sehr vorsichtig sein muss. Eine Aussage der Art, dass es -
wegen der nicht signifikanten Haupteffekte - keinen Unterschied im BMI zwischen Männern
und Frauen und keinen Zeiteffekt gibt, wäre nicht korrekt, sondern irreführend. Es
gibt zwar keinen Zeiteffekt, der für Männer und Frauen gleich ist, aber sehr wohl
Effekte im Zeitverlauf, nämlich unterschiedliche Trends zwischen den Geschlechtern.
Und damit gibt es auch einen Unterschied zwischen Männern und Frauen, nämlich einen
abfallenden Trend bei Frauen und einen ansteigenden Trend bei Männern. Ein solches
Phänomen lässt sich mit Hilfe eines Wechselwirkungsterms im Rahmen von Varianzanalysemodellen
für Messwertwiederholungen beschreiben und auch statistisch absichern.
Häufig werden in der Praxis einfach getrennte Analysen für Frauen und Männer durchgeführt.
Dieses Vorgehen ist statistisch nicht so effektiv wie eine gemeinsame Analyse aller
Daten, und es lässt sich nicht mehr untersuchen, ob gefundene Unterschiede im Zeitverlauf
denn auch statistisch signifikant sind.
Wir möchten noch einmal darauf hinweisen, dass die Auswertungen in diesem Abschnitt
nur didaktischen Zweck haben und nicht den tatsächlichen Verlauf des BMI bei den Frauen
der GISELA-Studie widerspiegeln. Natürlich belegen die echten Daten einen Anstieg
des BMI im Verlauf der Zeit auch bei den Frauen.
Bemerkungen
Bemerkungen
In diesem Artikel haben wir kurz die wesentlichen Eigenschaften der klassischen Varianzanalyse
für Messwertwiederholungen vorgestellt. Zur Analyse von Daten mit einer gewissen Abhängigkeitsstruktur
gibt es eine Reihe anderer möglicher Verfahren. Die Wahl eines geeigneten Verfahrens
hängt stark von der jeweiligen Datensituation sowie der genauen Fragestellung ab.
Liegen z. B. sehr viele Zeitpunkte vor, so kommen eher regressionsanalytische Verfahren
für abhängige Daten in Frage [7], auf die wir hier nicht weiter eingehen können. Die hier vorgestellten Methoden
der Varianzanalyse für Messwertwiederholungen sind geeignet, wenn die Zahl der abhängigen
Stichproben nicht zu groß ist.
Eine Voraussetzung für den sinnvollen Einsatz der Varianzanalysemodelle für Messwertwiederholungen
ist jedoch, dass der Datensatz bezüglich der Intra-Subjekt-Faktoren vollständig ist,
d. h. dass es bei allen Probanden zu allen Zeitpunkten Messungen geben muss. Fehlt
z. B. bei fünf Zeitpunkten bei einem Probanden auch nur ein Wert, so können entweder
alle anderen Daten dieses Probanden im Rahmen einer Varianzanalyse für Messwertwiederholungen
nicht für die Auswertung verwendet werden (Reduzierung des Stichprobenumfangs) oder
man lässt diesen Zeitpunkt auch bei allen anderen Probanden weg (Reduzierung der Zahl
der abhängigen Stichproben). Als dritte Möglichkeit kommt noch in Frage, die fehlenden
Werte geeignet zu ersetzen. Dies führt aber auch nur unter gewissen Annahmen zu gültigen
Schlussfolgerungen, und es dürfen nicht zu viele Werte fehlen. In Beobachtungsstudien
ist es jedoch häufig die Regel, dass zu vielen verschiedenen Zeitpunkten viele Werte
nicht erhoben werden konnten oder von vorne herein Messungen an Probanden zu unterschiedlichen
Zeitpunkten geplant waren. Für solche unbalancierten Designs stellt die Varianzanalyse
für Messwertwiederholungen kein geeignetes Verfahren dar. Im Beispiel der GISELA-Studie
reduzierte sich der Stichprobenumfang von n = 532 auf n = 182, obwohl von 6 möglichen
Zeitpunkten nur 4 betrachtet wurden. Daher ist das Verfahren der Varianzanalyse für
Messwertwiederholungen hier sehr ineffizient und wurde für die Datenanalyse hier nur
für didaktische Zwecke gewählt, nicht jedoch bei der Publikation der Studienergebnisse
[9]. Eine weitaus bessere Möglichkeit zur Analyse dieser Daten stellen neuere statistische
Methoden dar, die es erlauben, dass die Zahl der Messungen je Proband unterschiedlich
ist. In Frage kommen hier lineare gemischte Modelle [6] oder Verfahren, die auf so genannten verallgemeinerten Schätzgleichungen (generalized
estimating equations, GEE) beruhen [5]. Auf diese Methoden werden wir in zukünftigen Artikeln der Statistik-Serie eingehen.
Bei der Datenanalyse der GISELA-Studie wurden lineare gemischte Modelle eingesetzt
[9]. Die englischen Bezeichnungen der hier diskutierten Begriffe zeigt Tab. [4].
Tab. 4 Übersetzung (deutsch - englisch)
<TD VALIGN="TOP">
Varianzanalyse
</TD><TD VALIGN="TOP">
analysis of variance (ANOVA)
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Inter-Subjekt-Faktor
</TD><TD VALIGN="TOP">
between-subject factor
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Intra-Subjekt-Faktor
</TD><TD VALIGN="TOP">
within-subject factor
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
gepaarter t-Test
</TD><TD VALIGN="TOP">
paired t test
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Messwertwiederholungen
</TD><TD VALIGN="TOP">
repeated measurements
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Sphärizität
</TD><TD VALIGN="TOP">
sphericity
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Varianzanalysetabelle
</TD><TD VALIGN="TOP">
ANOVA table
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Wechselwirkung
</TD><TD VALIGN="TOP">
interaction
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
unbalanciert
</TD><TD VALIGN="TOP">
unbalanced
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
lineare gemischte Modelle
</TD><TD VALIGN="TOP">
linear mixed models
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
verallgemeinerte Schätzgleichungen
</TD><TD VALIGN="TOP">
generalized estimating equations (GEE)
</TD>
kurzgefasst
Mit Hilfe der Varianzanalyse für Messwertwiederholungen lassen sich Unterschiede zwischen
mehr als zwei abhängigen Stichproben bezüglich einer stetigen Zielvariablen statistisch
untersuchen (Effekte von Intra-Subjekt-Faktoren). Eine gleichzeitige Untersuchung
von Unterschieden zwischen unabhängigen Gruppen ist möglich durch Modelle, die sowohl
Intra- als auch Inter-Subjekt-Faktoren beinhalten. Neben Haupteffekten können auch
Wechselwirkungen zwischen Intra- und Inter-Subjekt-Faktoren eine Rolle spielen, mit
denen z. B. unterschiedliche Zeitverläufe zwischen verschiedenen Gruppen beschrieben
werden können.