Psychiatr Prax 2008; 35(1): 48-49
DOI: 10.1055/s-2007-1022676
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Szene
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Elektrokrampftherapie aus der Sicht des Patienten

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Publication Date:
24 January 2008 (online)

 

Aus der Sicht von Ärzten ist Elektrokrampftherapie ein Verfahren, welches durch uni- oder bilaterale Technik, notwendige Stromstärken, Kontrolle der Krampfauslösung, Responseraten usw. beschrieben wird. Wird freilich der Arzt selbst einmal Patient, ändert sich die Perspektive dramatisch. Der folgende Bericht eines Kollegen, der an einer deutschen Universitätsklinik nach Empfehlung des Unterzeichners (TS) 26 EKT-Behandlungen erhielt, gibt die subjektive Sicht des Patienten wieder. Die Indikationsstellung erfolgte wegen einer über ein Jahr lang pharmakologisch therapieresistenten schweren depressiven Episode bei Bipolar-II-Störung.

Die Vorstellung eines künstlichen epileptischen Anfalls hatte mir bereits im Voraus einen ziemlichen Horror verursacht. Natürlich hatte ich die Sorge, dass irreversible Hirnschäden irgendwelcher Art auftreten könnten. Auch die Aufklärung der Anästhesistin, dass regelmäßig mit einer starken initialen Blutdruckspitze zu rechnen sei, empfand ich angesichts meines bekannten, wenngleich medikamentös eingestellten, Hypertonus als beunruhigend. In meiner depressiven Verfassung malte ich mir bereits alle möglichen Komplikationen wie z.B. Hirnblutungen aus. Die mir von den behandelnden Kollegen freundlicherweise überlassene Fachliteratur hatte ich gelesen, auch diese verstärkte aber mit den Hinweisen auf Nonresponse, Nebenwirkungen und Komplikationen meine Sorge. Am Abend vor der ersten EKT war ich dementsprechend aufgeregt, konnte aber mittels eines Schlafmittels schlafen. Am nächsten Morgen wurde ich bereits um 6Uhr von einem Pfleger geweckt. Man gab mir eine Plastiktasche mit, in welcher meine Kleidung für den Rückweg vom OP verpackt werden sollte. Ich musste mich dann umziehen und bekam die üblichen OP-Kleider und Plastikschuhe angezogen, alles mir von meiner früheren Tätigkeit als Operateur sehr vertraute Vorgänge, die nun aber eher beunruhigende Gefühle auslösten. Ich saß in einer nur durch einen Vorhang abgetrennten Ecke, nackt nur mit dieser OP-Kleidung bekleidet und fühlte mich ausgesprochen kümmerlich, hilflos und alleingelassen. Es handelte sich um die Räume eines dermatologischen Operationstrakts; auf dem Gang hörte man ständig Privatgespräche jeder Art über das vergangene Wochenende und die unbekümmert-heitere Atmosphäre, wie sie in Operationssälen bekanntlich häufig gepflegt wird. Mich machte dies in meiner Verfassung und in dieser Situation tief unglücklich. Dann wurde der Vorhang geöffnet und ich wurde zum OP-Tisch geführt. Zunächst wurden Ober- und Unterschenkel mit breiten dicken Lederriemen fixiert, anschließend die Brust. An meinem Kopf machte sich jemand zu schaffen, um die EEG-Elektroden anzubringen. Der linke Arm wurde fixiert, um eine Blutdruckmanschette und die Infusionsnadel anzulegen, der rechte, um eine Manschette anzulegen, welche eine lokale Blockade für das Muskelrelaxans darstellen sollte. Damit würde, wie mir erklärt wurde, die Krampfauslösung am rechten Arm kontrolliert werden. Diese Vorgänge steigerten meine Angst. Das Ohnmachtsgefühl, mich nicht einmal an der Nase kratzen zu können - die gerade dann natürlich juckt - war im Grunde unerträglich. Aufgewacht bin ich dann danach in meinem Bett in der psychiatrischen Klinik, an dem sich nun Bettgitter befanden. Als erstes habe ich gleich versucht, alles zu bewegen und zu schauen, ob noch alles funktioniert. Da war ich dann betreut, es wurde Blutdruck kontrolliert usw., ich war auch anfangs noch sehr müde.

Mir war gesagt worden, dass mindestens fünf Krampfbehandlungen notwendig sein würden, spätestens nach acht oder neun würde ich eine positive Wirkung bemerken. Die Prozedur lief immer wieder gleich ab. Ich kannte nun zwar die Vorgänge, konnte mich aber nicht daran gewöhnen, manches fand ich eher von Mal zu Mal schlimmer. Als ich dann nach neun Behandlungen noch keinerlei Besserung verspürte, wurde ich ziemlich ärgerlich. Auf die freundliche Frage "wie geht es denn?" reagierte ich dann auch dementsprechend aggressiv gegenüber den Kollegen. Man teilte mir dann mit, dass die bisher mangelnde Wirkung vermutlich auf einer zu kurzen Krampfzeit beruhe und versuchte in der Folge, diese medikamentös zu verlängern. Dies führte dazu, dass ich schließlich morgens Koffeintabletten nehmen musste, was mein Gesamtbefinden und meine ängstliche Erwartungshaltung keineswegs verbesserte. Gegen Ende der Behandlung war ich ziemlich entmutigt und hatte die Hoffnung in diese Therapie eigentlich verloren. Als mir nach der 26.Behandlung eröffnet wurde, dass die Behandlung jetzt nur noch in 4-wöchigen Abständen als Erhaltungstherapie fortgeführt werden solle, widersprach ich dem vehement und stellte klar, dass ich nie wieder eine Elektrokrampfbehandlung haben will.

Dr. Jochen Lubenau, Weingarten

Der Kollege ist seitdem - seit mittlerweile drei Jahren - bezüglich der Depression anhaltend remittiert, ist aber sehr nachdrücklich der Ansicht, dass ihm nicht die Elektrokrampftherapie geholfen habe, sondern eine Änderung der eigenen Einstellung. Auch für den Fall einer zukünftigen depressiven Phase lehnt er eine Elektrokrampftherapie aus jetziger Sicht nachdrücklich ab.

Tilman Steinert, Weissenau

Email: tilman.steinert@zfp-weissenau.de

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