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DOI: 10.1055/s-2007-1019455
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Orphan-Disease Morbus Gaucher - Morbus Gaucher - behandelbare Ursache der oligosymptomatischen Splenomegalie
Publication History
Publication Date:
07 January 2008 (online)
- Typische Konstellation von Symptomen und Befunden
- Enzymmangel führt zu Speicherkrankheit
- Morbus Gaucher - das Wichtigste in Kürze
- Kernspin ist Röntgen überlegen
- M. Gaucher - eine Labordiagnose
- Enzymersatztherapie mit Imiglucerase
- Therapieverzögerung bei Erwachsenen sehr häufig
- Erfahrungen aus dem Gaucherregister
- Welche Dosis für welchen Patienten?
- Fazit
Der Morbus Gaucher, ist die häufigste lysosomale Speicherkrankheit und zählt zu den so genannten Orphan-Diseases - sprich: es handelt sich um eine sehr seltene Erkrankung. "In Deutschland sind ungefähr 200 Patienten diagnostiziert", berichtete Prof. Stephan vom Dahl, Köln. Bei einer Inzidenz von 1:40 000 ist die Zahl der nicht diagnostizierten Patienten allerdings deutlich höher.
Häufig werden Patienten mit M. Gaucher fehl- oder erst sehr spät diagnostiziert. Denn unspezifische klinische Symptome erschweren die Diagnostik (Tab. [1]). Bis eine Emzymersatztherapie mit Imiglucerase eingeleitet wird, verstreichen daher meist wertvolle Jahre. Dabei können die schweren Komplikationen dieser Stoffwechselerkrankung effektiv verhindert werden, wenn die Erkrankung früh erkannt und dann rechtzeitig eine wirksame Therapie eingeleitet werden würde, betonte vom Dahl.

Tab. 1 Krankheitsspektrum beim viszeralen M. Gaucher (Typ 1)
Typische Konstellation von Symptomen und Befunden
Als "typischen Fall" präsentierte der Gaucherexperte einen 57-jährigen Patienten, der seinen Hausarzt aufgesucht hatte, weil er rasch ermüdete und schnell erschöpft war sowie eine Infektneigung und Knochenschmerzen festgestellt hatte. Sein Hausarzt überwies den Mann wegen des Nachweises einer Thrombozytopenie weiter an den Hämatologen. Bei der klinischen Untersuchung fielen Hämatome an Armen und Beinen auf.
Sonografisch zeigte sich eine ausgeprägte Hepatosplenomegalie: Die Leber war etwa um das 1,5-fache vergrößert. Die Milz war mit einer Länge von 167mm und einer Dicke von 57 mm ebenfalls pathologisch verändert. Neben der Thrombozytopenie (36 000/µl) war außerdem eine leichte Anämie (Hämoglobin 12,1 g/dl) und eine erhöhte Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG 45 mm) zu beobachten.
#Enzymmangel führt zu Speicherkrankheit
Die anhand des vorgestellten Patienten präsentierte Befundkonstellation hat eine genetisch bedingte Ursache: Zugrunde liegt dem M. Gaucher ein autosomal-rezessiv vererbter Defekt eines lysosomalen Enzyms, der β-Glukozerebrosidase (Abb. [1]). Dieses Enzym hydrolisiert das Glukozerebrosid, ein Glykosphingolipid, das als Bestandteil von Zellmembranen von Bedeutung ist. Kann das Molekül wegen des Glukozerebrosidasemangels nicht in Glukose und Ceramid gespalten werden, wird es überwiegend von Makrophagen gespeichert, die eine zentrale Rolle im Abbau von Blutzellen spielen. Die charakteristischen, mit Glukozerebrosid beladenen Makrophagen werden auch Gaucherzellen genannt. Gaucherzellen lassen sich meist in Milz, Leber und Knochenmark sowie gelegentlich in der Lunge nachweisen. Diese Organe stellen damit auch die klinischen Prädilektionsstellen des M. Gaucher dar (Abb. [2]).

Abb. 1 Beim M. Gaucher ist die Glukozerebrosidase defekt, sodass Glukozerebrosid akkumuliert

Abb. 2 Wirkung von Cerezyme auf die Knochendichte
Die sich entwickelnde Splenomegalie qualifizierte vom Dahl als "eindrucksvoll": In der Regel überschreitet die Ausdehnung der Milz eine am Hilus gemessene Dicke von 4,7 cm und einen sonografisch ermittelten Längendurchmesser von 11 cm ("4711"-Regel). Bei der Mehrzahl der Gaucherpatienten ist die Milz etwa um das Zehn- bis Zwanzigfache vergrößert. Rund 25 % der Betroffenen sind splenektomiert - ein Eingriff, der heute dank der Enzymersatztherapie nur noch in Einzelfällen erwogen werden sollte. In etwa einem Viertel der Fälle entwickeln sich noduläre Strukturen in der Milz, die vom Dahl als "tumorförmige Ansammlungen von Gaucherzellen" beschrieb. In der Folge wird das Organ aufgrund multipler Infarzierungen nicht selten funktionsunfähig.
Als besonders folgenschwer charakterisierte vom Dahl die massive Infiltration des Knochenmarks durch Gaucherzellen. Erschwerend kommt die Aktivierung dieser Makrophagen mit einer Freisetzung proinflammatorischer Zytokine hinzu. "Die Entzündungszellen dauen den Knochen buchstäblich von innen an", erläuterte der Gaucherexperte. Der Untergang der Kortikalis geht mit Knochennekrosen und einer erhöhten Frakturgefährung einher.
Bei Patienten mit einem solchen Befund wird laut vom Dahl häufig immer noch eine Knochenmarkbiopsie durchgeführt, um die charakteristischen Gaucherzellen nachzuweisen. Er machte jedoch darauf aufmerksam, dass der Nachweis dieser Zellen klinische Erfahrung erfordert, nicht spezifisch ist und auch negativ ausfallen kann. Als sinnvoller, da spezifischer und wesentlich aussagekräftiger, bezeichnete vom Dahl die Labordiagnostik.
#Morbus Gaucher - das Wichtigste in Kürze
Beim M. Gaucher handelt es sich um eine lysosomale Speicherkrankheit, die durch einen autosomal-rezessiv bedingten Mangel an β-Glukozerebrosidase bedingt ist. Die Folge ist die Akkumulation von Glukozerebrosid in Knochenmark, Leber, Milz und Lunge, was zur Hepatosplenomegalie und zu Veränderungen in der Knochenstruktur mit erhöhtem Frakturrisiko führt. Ein klinisches Leitsymptom des M. Gaucher gibt es nicht. Das Beschwerdebild ist mit der Vergrößerung von Milz und Leber, mäßig ausgeprägter Panzytopenie, rascher Ermüdbarkeit und Knochenschmerzen unspezifisch. Es verwundert daher nicht, dass betroffene Patienten oft erst spät erkannt und noch später behandelt werden. Dabei steht seit 1991 mit der Enzymersatztherapie ein Behandlungsansatz zur Verfügung, mit dem sich bei rechtzeitiger Einleitung Organkomplikationen vermeiden lassen, sodass auch die Lebensqualität erhalten bleibt. Beim M. Gaucher gilt daher: Man sollte bei einer gewissen Symptomkonstellation (Tab. [1]) auch an diese Stoffwechselstörung denken! |
Kernspin ist Röntgen überlegen
Wegen der Anreicherung von Gaucherzellen im Knochenmark sind konventionelle Röntgenaufnahmen zur Darstellung der Veränderungen am Knochen kaum hilfreich. "Man kann die Erkrankungsfolgen im Knochen am besten kernspintomografisch sichtbar machen. Das klassische Röntgen gibt hier wenig her", konstatierte vom Dahl. Die ossären Läsionen führen zu dumpfen, tief lokalisierten Knochenschmerzen, die sich typischerweise nicht auf die Gelenke projizieren.
#M. Gaucher - eine Labordiagnose
"Die Diagnose des M. Gaucher wird heute biochemisch durch die Bestimmung lysosomaler Aktivitätsparameter gestellt", betonte der Gastroenterologe. Dazu bedarf es im ersten Schritt keines Speziallabors: Bei Gaucherpatienten sind die Konzentrationen von Angiotensin Converting Enzym (ACE), saurer Phosphatase und Ferritin im Serum immer massiv erhöht. Goldstandard zur Diagnosesicherung ist anschließend die Aktivitätsbestimmung der β-Glukozerebrosidase in Leukozyten, die bei Gaucherpatienten deutlich erniedrigt ist. Sie sollte in einem Speziallabor erfolgen, das mit der Messung und Interpretation des Ergebnisses Erfahrung hat.
Als "Kuriosum der Erkrankung" bezeichnete vom Dahl die beim M. Gaucher oft um das 100- bis 1 000-fache erhöhte Aktivität der Chitotriosidase. Dieses Enzym kommt normalerweise nur bei Insekten vor, die es für die Spaltung chitinhaltiger Moleküle benötigen, und ist beim Menschen charakterisch für den M. Gaucher. Die laborchemische Messung der Chitotriosidase im Plasma kann daher als Suchtest für den Nachweis eines M. Gaucher herangezogen werden. Sie eignet sich außerdem hervorragend für die Therapieeinstellung und Verlaufskontrolle. Die Genanalyse mit Sequenzierung des auf dem Chromosom 1q lokalisierten Glukozerebrosidasegens ist laut vom Dahl für die Klinik dagegen nur von untergeordneter Bedeutung.
#Enzymersatztherapie mit Imiglucerase
Seit 1991 steht mit der alle zwei Wochen intravenös applizierten Glukozerebrosidase eine effektive Therapie beim M. Gaucher zur Verfügung. Das Enzym wurde anfänglich aus menschlicher Plazenta gewonnen. Mittlerweile konnte dieses Präparat durch das humane rekombinante Enzym Imiglucerase (Cerezyme®) ersetzt werden. Eine Alternative ist die Substratreduktionstherapie mit Miglustat. "Sie ist jedoch weniger effektiv und auch mit mehr Nebenwirkungen behaftet als die sehr gut verträgliche Imiglucerase", konstatierte vom Dahl. Miglustat ist daher von der europäischen Zulassungsbehörde EMEA nur für Patienten zugelassen, bei denen eine Enzymersatztherapie mit Imiglucerase nicht infrage kommt.
Als wichtigstes Therapieziel bei pädiatrischen Patienten mit M. Gaucher nannte vom Dahl die Normalisierung der geistigen und körperlichen Entwicklung. Denn bei Kindern geht die Stoffwechselerkrankung häufig mit einer ausgeprägten Wachstumsstörung einher, die sich jedoch nach Einleitung einer Enzymersatztherapie in der Regel sehr rasch zurückbildet.
#Therapieverzögerung bei Erwachsenen sehr häufig
Nach vom Dahls Erfahrungen kommen die meisten Patienten jedoch erst im Erwachsenenalter - zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr - zur Behandlung in Spezialambulanzen. "Zwischen der Diagnosestellung und der Einleitung der Enzymersatztherapie vergingen früher bis zu zwölf Jahre. Aber auch heute noch sind es im Mittel sieben Jahre", kritisierte vom Dahl.
Dementsprechend hat man bei den Therapiezielen die Rückbildung der Folgeerscheinungen im Auge. Dazu gehören
-
die Rückbildung der Hepatosplenomegalie
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die Vermeidung von Blutungskomplikationen
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die Korrektur von Anämie und Thrombozytopenie
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die Besserung atypischer Manifestationen an Auge, Lunge und Herz.
Darüber hinaus gibt es zusätzliche Therapieziele, die sich auf die Knochenveränderungen beziehen. Sie umfassen
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eine Prävention von Knochenkomplikationen,
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die Normalisierung der Knochendichte
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den Erhalt oder die Wiederherstellung der Beweglichkeit
-
Schmerzfreiheit.
Viele Patienten sind nach vom Dahls Erfahrungen in ihrer Funktionalität zu Behandlungsbeginn bereits erheblich eingeschränkt und erreichen die Ambulanz nur auf Krücken oder gar im Rollstuhl. Extrem belastend sind auch die schweren Knochenkrisen mit ihren starken Akutschmerzen, die stunden- und tagelang anhalten können und die Betroffenen ans Bett fesseln.
#Erfahrungen aus dem Gaucherregister
Eine 1992 ursprünglich als Pharmakovigilanzstudie angelegte Sammlung von Daten der mit Imiglucerase behandelten Gaucherpatienten wird seit 2001 als Gaucherregister weitergeführt. Mittlerweile umfasst dieses Register weltweit knapp 5 000 Betroffene mit ihren jeweiligen Manifestationen und Komplikationen, informierte vom Dahl. Nach seinen Worten hat sich diese Datensammlung mittlerweile als wertvolle Basis für klinisch-wissenschaftliche Untersuchungen zum natürlichen Verlauf der Stoffwechselerkrankung und zu den Auswirkungen der Behandlung herauskristallisiert. Dementsprechend kann das Gaucherregister heute auch Nicht-Spezialisten bei Therapieentscheidungen helfen.
#Welche Dosis für welchen Patienten?
So ließen sich anhand des Registers wichtige Aussagen zur Dosis-Wirkungs-Beziehung von Imiglucerase treffen. Dafür wurden die Daten von rund 650 nicht splenektomierten Patienten ausgewertet, die vier Jahre lang beobachtet wurden. Sowohl die hämatologischen Parameter als auch die Hepatosplenomegalie bessern sich innerhalb weniger Monate deutlich. Nach etwa zwei Jahren ist von einer Normalisierung der Thrombozytenzahlen auszugehen. Zwar erlaubt eine höhere Imiglucerasedosierung eine raschere Besserung der Organgröße und der Plättchenwerte, zwei Parameter, die jedoch laut vom Dahl klinisch weniger relevant sind.
Parallel kann im Therapieverlauf ein massiver Abfall der Chitotriosidasespiegel bereits innerhalb des ersten Jahres gemessen werden. Die Enzymkinetik macht jedoch auch klar, so vom Dahl, dass unter der niedrigen Imiglucerasedosis von 15 U/kg alle zwei Wochen nicht alle Patienten Normwerte erreichen. Dies gilt vor allem dann, wenn bei den Betroffenen kernspintomografisch nachweisbare Knochenläsionen bestehen: "Bei schwerem Knochenbefall reicht die niedrige Dosis von 15 U/kg nicht aus, um eine Besserung von Skelettveränderungen zu erzielen. Deshalb muss man die Imiglucerasedosierung je nach Manifestation adaptieren", betonte vom Dahl.
Er empfahl daher bei hämatologischen Anomalien und Organmanifestationen ohne Knochenbefall eine niedrige Dosis von 20 U/kg Imiglucerase alle zwei Wochen. Bei mäßigem Skelettbefall sollte die Therapie mit einer Dosis von 40U/kg, bei starkem Skelettbefall mit ossären Komplikationen und atypischer Manifestation (pulmonale Hypertonie, Leberzirrhose) in einer Dosierung von 60U/kg alle zwei Wochen gestartet werden (Abb. [2]).
Ist der Patient über einige Jahre klinisch stabil, kann die Dosierung schrittweise reduziert werden. Allerdings ist der optimale Zeitpunkt für die Dosisreduktion noch nicht genau definiert. Die Symptomkontrolle bezeichnete vom Dahl unabhängig von der eingesetzten Dosierung als "sehr gut": "Eine Schmerzfreiheit wird praktisch immer erreicht", so der Gaucherexperte.
#Fazit
Bei jeder unklaren Splenomegalie mit Hepatomegalie, moderater Thrombozytopenie und Anämie sollte nach Ausschluss der häufigsten Ursachen ein M. Gaucher differenzialdiagnostisch in Erwägung gezogen werden.
Dr. Katharina Arnheim, Berlin
Quelle: Satellitensymposium "Orphan diseases - current opinion in therapy" anlässlich der Gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Onkologie, veranstaltet von der Genzyme GmbH, Neu-Isenburg
Dieser Text entstand mit freundlicher Unterstützung der Genzyme GmbH, Neu-Isenburg

Tab. 1 Krankheitsspektrum beim viszeralen M. Gaucher (Typ 1)

Abb. 1 Beim M. Gaucher ist die Glukozerebrosidase defekt, sodass Glukozerebrosid akkumuliert

Abb. 2 Wirkung von Cerezyme auf die Knochendichte