Der Morbus Gaucher, ist die häufigste lysosomale Speicherkrankheit und zählt zu den
so genannten Orphan-Diseases - sprich: es handelt sich um eine sehr seltene Erkrankung.
"In Deutschland sind ungefähr 200 Patienten diagnostiziert", berichtete Prof. Stephan
vom Dahl, Köln. Bei einer Inzidenz von 1:40 000 ist die Zahl der nicht diagnostizierten
Patienten allerdings deutlich höher.
Häufig werden Patienten mit M. Gaucher fehl- oder erst sehr spät diagnostiziert. Denn
unspezifische klinische Symptome erschweren die Diagnostik (Tab. [1]). Bis eine Emzymersatztherapie mit Imiglucerase eingeleitet wird, verstreichen daher
meist wertvolle Jahre. Dabei können die schweren Komplikationen dieser Stoffwechselerkrankung
effektiv verhindert werden, wenn die Erkrankung früh erkannt und dann rechtzeitig
eine wirksame Therapie eingeleitet werden würde, betonte vom Dahl.
Tab. 1 Krankheitsspektrum beim viszeralen M. Gaucher (Typ 1)
Typische Konstellation von Symptomen und Befunden
Typische Konstellation von Symptomen und Befunden
Als "typischen Fall" präsentierte der Gaucherexperte einen 57-jährigen Patienten,
der seinen Hausarzt aufgesucht hatte, weil er rasch ermüdete und schnell erschöpft
war sowie eine Infektneigung und Knochenschmerzen festgestellt hatte. Sein Hausarzt
überwies den Mann wegen des Nachweises einer Thrombozytopenie weiter an den Hämatologen.
Bei der klinischen Untersuchung fielen Hämatome an Armen und Beinen auf.
Sonografisch zeigte sich eine ausgeprägte Hepatosplenomegalie: Die Leber war etwa
um das 1,5-fache vergrößert. Die Milz war mit einer Länge von 167mm und einer Dicke
von 57 mm ebenfalls pathologisch verändert. Neben der Thrombozytopenie (36 000/µl)
war außerdem eine leichte Anämie (Hämoglobin 12,1 g/dl) und eine erhöhte Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit
(BSG 45 mm) zu beobachten.
Enzymmangel führt zu Speicherkrankheit
Enzymmangel führt zu Speicherkrankheit
Die anhand des vorgestellten Patienten präsentierte Befundkonstellation hat eine genetisch
bedingte Ursache: Zugrunde liegt dem M. Gaucher ein autosomal-rezessiv vererbter Defekt
eines lysosomalen Enzyms, der β-Glukozerebrosidase (Abb. [1]). Dieses Enzym hydrolisiert das Glukozerebrosid, ein Glykosphingolipid, das als
Bestandteil von Zellmembranen von Bedeutung ist. Kann das Molekül wegen des Glukozerebrosidasemangels
nicht in Glukose und Ceramid gespalten werden, wird es überwiegend von Makrophagen
gespeichert, die eine zentrale Rolle im Abbau von Blutzellen spielen. Die charakteristischen,
mit Glukozerebrosid beladenen Makrophagen werden auch Gaucherzellen genannt. Gaucherzellen
lassen sich meist in Milz, Leber und Knochenmark sowie gelegentlich in der Lunge nachweisen.
Diese Organe stellen damit auch die klinischen Prädilektionsstellen des M. Gaucher
dar (Abb. [2]).
Abb. 1 Beim M. Gaucher ist die Glukozerebrosidase defekt, sodass Glukozerebrosid akkumuliert
Abb. 2 Wirkung von Cerezyme auf die Knochendichte
Die sich entwickelnde Splenomegalie qualifizierte vom Dahl als "eindrucksvoll": In
der Regel überschreitet die Ausdehnung der Milz eine am Hilus gemessene Dicke von
4,7 cm und einen sonografisch ermittelten Längendurchmesser von 11 cm ("4711"-Regel).
Bei der Mehrzahl der Gaucherpatienten ist die Milz etwa um das Zehn- bis Zwanzigfache
vergrößert. Rund 25 % der Betroffenen sind splenektomiert - ein Eingriff, der heute
dank der Enzymersatztherapie nur noch in Einzelfällen erwogen werden sollte. In etwa
einem Viertel der Fälle entwickeln sich noduläre Strukturen in der Milz, die vom Dahl
als "tumorförmige Ansammlungen von Gaucherzellen" beschrieb. In der Folge wird das
Organ aufgrund multipler Infarzierungen nicht selten funktionsunfähig.
Als besonders folgenschwer charakterisierte vom Dahl die massive Infiltration des
Knochenmarks durch Gaucherzellen. Erschwerend kommt die Aktivierung dieser Makrophagen
mit einer Freisetzung proinflammatorischer Zytokine hinzu. "Die Entzündungszellen
dauen den Knochen buchstäblich von innen an", erläuterte der Gaucherexperte. Der Untergang
der Kortikalis geht mit Knochennekrosen und einer erhöhten Frakturgefährung einher.
Bei Patienten mit einem solchen Befund wird laut vom Dahl häufig immer noch eine Knochenmarkbiopsie
durchgeführt, um die charakteristischen Gaucherzellen nachzuweisen. Er machte jedoch
darauf aufmerksam, dass der Nachweis dieser Zellen klinische Erfahrung erfordert,
nicht spezifisch ist und auch negativ ausfallen kann. Als sinnvoller, da spezifischer
und wesentlich aussagekräftiger, bezeichnete vom Dahl die Labordiagnostik.
Morbus Gaucher - das Wichtigste in Kürze
Morbus Gaucher - das Wichtigste in Kürze
Beim M. Gaucher handelt es sich um eine lysosomale Speicherkrankheit, die durch einen
autosomal-rezessiv bedingten Mangel an β-Glukozerebrosidase bedingt ist. Die Folge
ist die Akkumulation von Glukozerebrosid in Knochenmark, Leber, Milz und Lunge, was
zur Hepatosplenomegalie und zu Veränderungen in der Knochenstruktur mit erhöhtem Frakturrisiko
führt.
Ein klinisches Leitsymptom des M. Gaucher gibt es nicht. Das Beschwerdebild ist mit
der Vergrößerung von Milz und Leber, mäßig ausgeprägter Panzytopenie, rascher Ermüdbarkeit
und Knochenschmerzen unspezifisch. Es verwundert daher nicht, dass betroffene Patienten
oft erst spät erkannt und noch später behandelt werden. Dabei steht seit 1991 mit
der Enzymersatztherapie ein Behandlungsansatz zur Verfügung, mit dem sich bei rechtzeitiger
Einleitung Organkomplikationen vermeiden lassen, sodass auch die Lebensqualität erhalten
bleibt. Beim M. Gaucher gilt daher: Man sollte bei einer gewissen Symptomkonstellation
(Tab. [1]) auch an diese Stoffwechselstörung denken!
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Kernspin ist Röntgen überlegen
Kernspin ist Röntgen überlegen
Wegen der Anreicherung von Gaucherzellen im Knochenmark sind konventionelle Röntgenaufnahmen
zur Darstellung der Veränderungen am Knochen kaum hilfreich. "Man kann die Erkrankungsfolgen
im Knochen am besten kernspintomografisch sichtbar machen. Das klassische Röntgen
gibt hier wenig her", konstatierte vom Dahl. Die ossären Läsionen führen zu dumpfen,
tief lokalisierten Knochenschmerzen, die sich typischerweise nicht auf die Gelenke
projizieren.
M. Gaucher - eine Labordiagnose
M. Gaucher - eine Labordiagnose
"Die Diagnose des M. Gaucher wird heute biochemisch durch die Bestimmung lysosomaler
Aktivitätsparameter gestellt", betonte der Gastroenterologe. Dazu bedarf es im ersten
Schritt keines Speziallabors: Bei Gaucherpatienten sind die Konzentrationen von Angiotensin
Converting Enzym (ACE), saurer Phosphatase und Ferritin im Serum immer massiv erhöht.
Goldstandard zur Diagnosesicherung ist anschließend die Aktivitätsbestimmung der β-Glukozerebrosidase
in Leukozyten, die bei Gaucherpatienten deutlich erniedrigt ist. Sie sollte in einem
Speziallabor erfolgen, das mit der Messung und Interpretation des Ergebnisses Erfahrung
hat.
Als "Kuriosum der Erkrankung" bezeichnete vom Dahl die beim M. Gaucher oft um das
100- bis 1 000-fache erhöhte Aktivität der Chitotriosidase. Dieses Enzym kommt normalerweise
nur bei Insekten vor, die es für die Spaltung chitinhaltiger Moleküle benötigen, und
ist beim Menschen charakterisch für den M. Gaucher. Die laborchemische Messung der
Chitotriosidase im Plasma kann daher als Suchtest für den Nachweis eines M. Gaucher
herangezogen werden. Sie eignet sich außerdem hervorragend für die Therapieeinstellung
und Verlaufskontrolle. Die Genanalyse mit Sequenzierung des auf dem Chromosom 1q lokalisierten
Glukozerebrosidasegens ist laut vom Dahl für die Klinik dagegen nur von untergeordneter
Bedeutung.
Enzymersatztherapie mit Imiglucerase
Enzymersatztherapie mit Imiglucerase
Seit 1991 steht mit der alle zwei Wochen intravenös applizierten Glukozerebrosidase
eine effektive Therapie beim M. Gaucher zur Verfügung. Das Enzym wurde anfänglich
aus menschlicher Plazenta gewonnen. Mittlerweile konnte dieses Präparat durch das
humane rekombinante Enzym Imiglucerase (Cerezyme®) ersetzt werden. Eine Alternative
ist die Substratreduktionstherapie mit Miglustat. "Sie ist jedoch weniger effektiv
und auch mit mehr Nebenwirkungen behaftet als die sehr gut verträgliche Imiglucerase",
konstatierte vom Dahl. Miglustat ist daher von der europäischen Zulassungsbehörde
EMEA nur für Patienten zugelassen, bei denen eine Enzymersatztherapie mit Imiglucerase
nicht infrage kommt.
Als wichtigstes Therapieziel bei pädiatrischen Patienten mit M. Gaucher nannte vom
Dahl die Normalisierung der geistigen und körperlichen Entwicklung. Denn bei Kindern
geht die Stoffwechselerkrankung häufig mit einer ausgeprägten Wachstumsstörung einher,
die sich jedoch nach Einleitung einer Enzymersatztherapie in der Regel sehr rasch
zurückbildet.
Therapieverzögerung bei Erwachsenen sehr häufig
Therapieverzögerung bei Erwachsenen sehr häufig
Nach vom Dahls Erfahrungen kommen die meisten Patienten jedoch erst im Erwachsenenalter
- zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr - zur Behandlung in Spezialambulanzen. "Zwischen
der Diagnosestellung und der Einleitung der Enzymersatztherapie vergingen früher bis
zu zwölf Jahre. Aber auch heute noch sind es im Mittel sieben Jahre", kritisierte
vom Dahl.
Dementsprechend hat man bei den Therapiezielen die Rückbildung der Folgeerscheinungen
im Auge. Dazu gehören
-
die Rückbildung der Hepatosplenomegalie
-
die Vermeidung von Blutungskomplikationen
-
die Korrektur von Anämie und Thrombozytopenie
-
die Besserung atypischer Manifestationen an Auge, Lunge und Herz.
Darüber hinaus gibt es zusätzliche Therapieziele, die sich auf die Knochenveränderungen
beziehen. Sie umfassen
-
eine Prävention von Knochenkomplikationen,
-
die Normalisierung der Knochendichte
-
den Erhalt oder die Wiederherstellung der Beweglichkeit
-
Schmerzfreiheit.
Viele Patienten sind nach vom Dahls Erfahrungen in ihrer Funktionalität zu Behandlungsbeginn
bereits erheblich eingeschränkt und erreichen die Ambulanz nur auf Krücken oder gar
im Rollstuhl. Extrem belastend sind auch die schweren Knochenkrisen mit ihren starken
Akutschmerzen, die stunden- und tagelang anhalten können und die Betroffenen ans Bett
fesseln.
Erfahrungen aus dem Gaucherregister
Erfahrungen aus dem Gaucherregister
Eine 1992 ursprünglich als Pharmakovigilanzstudie angelegte Sammlung von Daten der
mit Imiglucerase behandelten Gaucherpatienten wird seit 2001 als Gaucherregister weitergeführt.
Mittlerweile umfasst dieses Register weltweit knapp 5 000 Betroffene mit ihren jeweiligen
Manifestationen und Komplikationen, informierte vom Dahl. Nach seinen Worten hat sich
diese Datensammlung mittlerweile als wertvolle Basis für klinisch-wissenschaftliche
Untersuchungen zum natürlichen Verlauf der Stoffwechselerkrankung und zu den Auswirkungen
der Behandlung herauskristallisiert. Dementsprechend kann das Gaucherregister heute
auch Nicht-Spezialisten bei Therapieentscheidungen helfen.
Welche Dosis für welchen Patienten?
Welche Dosis für welchen Patienten?
So ließen sich anhand des Registers wichtige Aussagen zur Dosis-Wirkungs-Beziehung
von Imiglucerase treffen. Dafür wurden die Daten von rund 650 nicht splenektomierten
Patienten ausgewertet, die vier Jahre lang beobachtet wurden. Sowohl die hämatologischen
Parameter als auch die Hepatosplenomegalie bessern sich innerhalb weniger Monate deutlich.
Nach etwa zwei Jahren ist von einer Normalisierung der Thrombozytenzahlen auszugehen.
Zwar erlaubt eine höhere Imiglucerasedosierung eine raschere Besserung der Organgröße
und der Plättchenwerte, zwei Parameter, die jedoch laut vom Dahl klinisch weniger
relevant sind.
Parallel kann im Therapieverlauf ein massiver Abfall der Chitotriosidasespiegel bereits
innerhalb des ersten Jahres gemessen werden. Die Enzymkinetik macht jedoch auch klar,
so vom Dahl, dass unter der niedrigen Imiglucerasedosis von 15 U/kg alle zwei Wochen
nicht alle Patienten Normwerte erreichen. Dies gilt vor allem dann, wenn bei den Betroffenen
kernspintomografisch nachweisbare Knochenläsionen bestehen: "Bei schwerem Knochenbefall
reicht die niedrige Dosis von 15 U/kg nicht aus, um eine Besserung von Skelettveränderungen
zu erzielen. Deshalb muss man die Imiglucerasedosierung je nach Manifestation adaptieren",
betonte vom Dahl.
Er empfahl daher bei hämatologischen Anomalien und Organmanifestationen ohne Knochenbefall
eine niedrige Dosis von 20 U/kg Imiglucerase alle zwei Wochen. Bei mäßigem Skelettbefall
sollte die Therapie mit einer Dosis von 40U/kg, bei starkem Skelettbefall mit ossären
Komplikationen und atypischer Manifestation (pulmonale Hypertonie, Leberzirrhose)
in einer Dosierung von 60U/kg alle zwei Wochen gestartet werden (Abb. [2]).
Ist der Patient über einige Jahre klinisch stabil, kann die Dosierung schrittweise
reduziert werden. Allerdings ist der optimale Zeitpunkt für die Dosisreduktion noch
nicht genau definiert. Die Symptomkontrolle bezeichnete vom Dahl unabhängig von der
eingesetzten Dosierung als "sehr gut": "Eine Schmerzfreiheit wird praktisch immer
erreicht", so der Gaucherexperte.
Fazit
Fazit
Bei jeder unklaren Splenomegalie mit Hepatomegalie, moderater Thrombozytopenie und
Anämie sollte nach Ausschluss der häufigsten Ursachen ein M. Gaucher differenzialdiagnostisch
in Erwägung gezogen werden.
Dr. Katharina Arnheim, Berlin
Quelle: Satellitensymposium "Orphan diseases - current opinion in therapy" anlässlich
der Gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften
für Hämatologie und Onkologie, veranstaltet von der Genzyme GmbH, Neu-Isenburg
Dieser Text entstand mit freundlicher Unterstützung der Genzyme GmbH, Neu-Isenburg