Der Wirkstoff Rimonabant (Acomplia®) ist - zusätzlich zu Diät und Bewegung - zugelassen
zur Behandlung adipöser (BMI ≥ 30 kg/m2 ) oder übergewichtiger Patienten mit einem BMI ≥ 27 kg/m2 , die gleichzeitig einen oder mehrere Risikofaktoren wie Typ-2-Diabetes oder eine
Dyslipidämie aufweisen. Seit dem Periodic Safety Update (PSUR) der Europäischen Zulassungsbehörde
EMEA am 19. Juli 2007, in dem das positive Nutzen-Risiko-Profil von Rimonabant für
die vorgesehenen Patientengruppen bestätigt wurde [1 ], ist die schwere Depression und/oder antidepressive Behandlung als Kontraindikation
aufgenommen und bei der Therapieentscheidung zu berücksichtigen.
Anfang November 2007 bestätigte die europäische Kommission die positive Nutzen-Risiko-Analyse
der EMEA zu Rimonabant und die Anpassung der Fachinformation. Der Hersteller hat die
angepasste Fachinformation zu Rimonabant an die entsprechenden Zielgruppen weitergegeben
und die behördlichen Vorgaben umgesetzt. Alle Ärzte wurden darauf hingewiesen, dass
Patienten mit einer Depression oder unter antidepressiver Medikation konsequent von
einer Rimonabant-Therapie ausgeschlossen werden müssen. In der Neufassung der europäischen
Fachinformation sind zudem die Ergebnisse der SERENADE-Studie (siehe Kasten) zum Typ-2-Diabetes
berücksichtigt.
Die SERENADE-Studie
Die SERENADE-Studie
Es nahmen 278 Typ-2-Diabetiker an der Studie teil, die noch keine antidiabetische
Therapie erhalten hatten. In zwei Gruppen erhielten sie entweder Placebo oder 20 mg
Rimonabant. Alle Patienten wurden zu einer Änderung ihres Lebensstils angehalten und
die Ernährung wurde um täglich 600 kcal reduziert.
Nach sechs Monaten war der HbA1c in der Verumgruppe um 0,8% von 7,9% auf 7,1% gesunken,
unter Placebo nur um 0,3%.
Ein hoher Ausgangs-HbA1c von 8,5% wurde um 1,9% reduziert, unter Placebo um 0,7%.
50,8% der Patienten erreichten in der Verumgruppe einen HbA1c ≤ 7%, in der Placebogruppe
nur 35,1%.
Die Gewichtsreduktion in der Verumgruppe betrug im Mittel 6,7 kg, in der Placebogruppe
2,7 kg.
Der Nüchternblutzucker lag in der Rimonabant-Gruppe um 18 mg/dl niedriger und der
Bauchumfang war um 4 cm geringer als in der Placebogruppe.
Triglyzeride waren in der Verumgruppe um 52 mg/dl niedriger, das HDL um 4 mg/dl höher
als unter Placebo.
Adiponektin war signifikant angestiegen und die Insulinresistenz (HOMA-IR) war deutlich
geringer.
Depressivität realistisch einschätzen
Depressivität realistisch einschätzen
Ein interdisziplinäres Expertengremium aus Grundlagenforschung, Diabetologie und Psychiatrie
traf sich in Berlin, um eine Empfehlung zum Screening und Monitoring depressiver Symptome
bei Patienten zu erarbeiten, denen in der hausärztlichen Praxis Rimonabant verordnet
wird. Sie reagierten damit auch auf eine kürzlich in "The Lancet" veröffentlichte
Metaanalyse der vier Zulassungsstudien (RIO-Europe, RIO-Lipids, RIO-North America
und RIO-Diabetes), die sich dem Thema Rimonabant und Depression widmet und die Ärzte
verstärkt auf potenziell schwerwiegende, unerwünschte psychiatrische Nebenwirkungen
einer Rimonabant-Therapie hinweist [2 ].
Unter den Experten herrschte Konsens darüber, dass zur realistischen Bewertung, ob
ein Patient für die Therapie mit Rimonabant geeignet ist, die Symptome einer Depression
vom Arzt klar erkannt werden müssen. Dazu benötigt er ein geeignetes, einfach zu handhabendes
Screeninginstrument, um die Affektivität seines übergewichtigen, kardiometabolischen
Risikopatienten richtig zu erkennen, betonte Prof. Fritz Hohagen, Kiel.
Der Arzt sollte darüberhinaus gewisse Kenntnisse der psychopathologischen Begrifflichkeit
haben, damit er die Sicherheit gewinnt, ausschließlich solchen Patienten Rimonabant
zu verordnen, die von der Wirkung der Substanz profitieren und alle Patienten auszuschließen,
die Zeichen einer Depressivität aufweisen oder mit einer Stimmungsveränderung auf
die Substanz reagieren könnten.
Dass es unter Anwendung von Medikamenten zu einer Veränderung der Affektivität kommen
könne, sei für einige in der hausärztlichen Praxis häufig verordnete Arzneimittel
bekannt. Einer Verunsicherung der Ärzte durch die aktuell publizierten Daten müsse
daher durch klare Informationen begegnet werden. Das Expertengremium hielt es für
vorrangig, Prädiktoren für Depressivität zu finden, die das Depressionsrisiko Übergewichtiger
mit kardiometabolischen Risikofaktoren eindeutig identifizieren.
Nach Prof. Hans-Jürgen Möller, München, sind Depressionen in Deutschland noch immer
unterdiagnostiziert und untertherapiert. Tatsächlich werden die meisten Diagnosen
zur Depression von Hausärzten gestellt, die auch die Therapie initiieren. "Schwere
Depressionen werden leicht erkannt, aber in diesen Fällen steht eine Rimonabant-Verordnung
überhaupt nicht zur Diskussion", so Möller. Diagnostische Unsicherheit entstehe bei
den weniger eindeutigen Symptomen, wie bei leichten bis mittelschweren oder somatisierten
Depressionen. Um Depressivität zu erkennen, ist es aus seiner Sicht sinnvoll, dem
Arzt einen einfachen, hochsensitiven Fragebogen und zusätzliche CME-Fortbildungsmaßnahmen
zur Verfügung zu stellen, damit er die Depressivität der kardiometabolischen Risikopatienten
effektiv screenen und diesen bei einem positiven Befund von der Rimonabant-Therapie
ausschließen kann. Die Expertenrunde war sich einig, dass nur einfache und valide
Instrumente zur Entscheidungsfindung akzeptiert werden, die den Arzt unterstützen
und seinen Praxisalltag nicht verzögern.
Psychiatrische Experten befürworten WHO 5
Psychiatrische Experten befürworten WHO 5
Nach Prof. Eckart Rüther, München, steht die Sensibilisierung des niedergelassenen
Arztes für die Signale einer Depressivität im Vordergrund. Für die Unterstützung bei
der Bewertung der Depressivität sind einfache und klare Strategien notwendig. Die
Experten waren sich einig, dass hierzu der WHO-5-Fragebogen gut geeignet ist, da erste
Zeichen einer depressiven Gestimmtheit leicht erkennbar werden, und gleichzeitig vermieden
wird, unspezifische Symptome zu rasch einem depressiven Formenkreis zuzuordnen. Der
Test ist praktikabel und hochsensitiv, sodass Risikopatienten für die Therapie mit
Rimonabant klar ausgeschlossen werden können. Die Vorteile des WHO-5-Fragebogens liegen
in seiner einfachen Handhabung, der Vermeidung spezifischer Fachbegriffe und einem
klar definierten Grenzwert für Depression. Insbesondere die nicht stigmatisierende
Befragung nach dem Wohlbefinden des Patienten erhöht die Akzeptanz und die Aufmerksamkeit
für das Problem der Depression in der Praxis.
Einigkeit bestand in der Expertenrunde darüber, dass ein Grenzwert von mehr als 14
Punkten im Ergebnis des WHO-5-Fragebogens eine deutliche Richtlinie für oder gegen
die Verordnung von Rimonabant definiert. Wird die Arzthelferin in das Adipositas-Management
integriert und diesbezüglich geschult, kann sie gemeinsam mit dem Patienten noch vor
dem Arztgespräch den WHO-5-Fragebogen ausfüllen.
Damit wird die begrenzte Arzt-Patienten-Zeit geschont. Es mache Sinn, so die Expertengruppe,
dieses auch vom Kompetenznetz Depression empfohlene, anerkannte und bewährte Instrument
zu verwenden. Ein zusätzlicher Vorteil des WHO-5-Fragebogens sei nach PD Dr. Markus
Leweke, Köln, die erzielte Aufmerksamkeit des Patienten für sein körperliches und
psychisches Wohlbefinden. Es wurde auch die Möglichkeit diskutiert, den WHO-5-Fragebogen
als Monitoringinstrument bei Rimonabant-Patienten einzusetzen, die im Therapieverlauf
negative Veränderungen der Stimmung zeigen.
Klare Anweisung zum Depressionsscreening
Klare Anweisung zum Depressionsscreening
Praxisrichtlinien der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG)
Die aktuellen Praxisleitlinien der DDG liefern Empfehlungen zur Diagnostik der Begleiterkrankungen
und Komplikationen bei Diabetikern. In den Richtlinien werden nicht nur das mikro-
und makrovaskuläre Gesamtrisiko, die Nieren-, Augen- und Fußkomplikationen genannt,
sondern explizit auch die Diagnostik der Depression gefordert: Alle Diabetiker sollten
demnach auf das Vorliegen einer Depression untersucht werden und ggf. eine entsprechende
Therapie erhalten [3 ].
Das Endocannabinoid-System
Das Endocannabinoid-System
Nach Prof. Beat Lutz, Mainz, ist das Endocannabinoid-System an vielen physiologischen
Prozessen beteiligt, z.B. an der Gedächtnisverarbeitung, den Emotionen, der Neuroprotektion,
dem Essen und der Energiebereitstellung sowie der Bewegung und der Reproduktion. Nach
neueren Erkenntnissen kann das Endocannabinoid-System Auswirkungen auf die Stressachse
über das Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierensystem, auf die Schmerzempfindung, das
Belohnungssystem und die Beteiligung an Entzündungen sowie an der Thermoregulation
und den Schlaf haben. Es handelt sich also um ein vielseitiges Signalsystem, so der
Experte, welches bei unterschiedlichen Bedürfnissen des Organismus aktiviert werden
kann. Adipositas und das viszerale Fettgewebe führen zur Überaktivierung des Systems
und CB1-Rezeptor-Antagonisten wie Rimonabant können diese Situation wieder normalisieren.
Dr. Karin Wilbrand/Günther Buck