DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2006; 4(04): 26
DOI: 10.1055/s-2006-957160
Focus
Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

Was bringt die Ganganalyse? - Pro und Contra

Matthias Fink
FA Physikalische und Rehabilitative Medizin, Spezielle Schmerztherapie, Klinik f. Physikalische Medizin und Rehabilitation, Medizinische Hochschule Hannover
,
Karl-Ludwig Resch
Forschungsinstitut für Balneologie und Kurortwissenschaft, Bad Elster
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Publication Date:
20 December 2006 (online)

Pro

Ein bedeutender Schritt in der Entwicklung des Menschen war die Anpassung des gesamten Körperbaus an die Fähigkeit aufrecht auf zwei Beinen zu gehen. Ein komplexes Zusammenspiel von Gelenken und Muskeln ermöglicht es dem Menschen, sich mit einer bestimmten Geschwindigkeit in eine von ihm gewählte Richtung zu bewegen. Es gibt jedoch eine Vielzahl von Erkrankungen und Behinderungen, die dieses Zusammenspiel stören können. Normwerte des Bewegungsablaufs beim Gehen und eine Ganganalyse machen es Physiotherapeuten möglich, das jeweils passende Rehabilitationsprogramm bei Erkrankungen zu finden.

Für die Patienten birgt ein von der Norm abweichender Gang gesundheitliche Risiken: Ihre Standstabilität ist reduziert, sie haben kein sicheres Gefühl beim Gehen und ihr Gang fordert einen höheren Energieaufwand, weshalb sie schneller erschöpft sind. Oft können die Patienten nicht schmerzfrei gehen.

Das Gangbild eines jeden Menschen ist individuell unterschiedlich. Es wird von den körperlichen Gegebenheiten sowie von den jeweiligen Lebensumständen und Verhaltensweisen geprägt. Daher lässt sich ein einheitliches Erscheinungsbild des Gehens kaum festlegen.

Der geschulte Blick des Therapeuten oder auch die Möglichkeiten dreidimensionaler optoelektronischer Ganganalyse erlaubt jedoch eine aktuelle Bestandsaufnahme des Gangbildes und hilft bei der Aufdeckung pathologischer Bewegungsmuster.

Kritiker der Ganganalyse argumentieren,dass die Ganganalyse allenfalls im Spitzensport zur Leistungsoptimierung der Athleten tauge, nicht jedoch zur Analyse pathologischer Bewegungsmuster. Bei klar definierten Erkrankungsbildern wie z. B. M. Parkinson wird jedoch klar, dass die GA hier ein exzellentes Diagnoseinstrument darstellt.

Beispiel Parkinson

In einer klinischen Studie konnte z. B. Wells et al. die Wirkung einer osteopathischen Behandlung auf das pathologische Gangbild von Parkinson-Patienten untersuchen.[1]

Patienten, die an der Parkinson-Krankheit leiden, weisen verschiedenste motorische Defizite auf, die letztendlich zu einer vollständigen Behinderung führen können. Das vorrangige Ziel dieser Studie war die quantitative Evaluierung der Wirkung von manipulativen osteopathischen Behandlungen auf die Gehfähigkeit von Parkinson-Patienten. Zehn Patienten mit idiopathischer Parkinson-Krankheit und eine Kontrollgruppe bestehend aus 8 gesunden Personen der selben Altersgruppe wurden vor und nach einer einzigen manipulativen osteopathischen Behandlung einer Ganganalyse unterzogen. Eine weitere Gruppe bestehend aus 10 Parkinson-Patienten wurde einer Scheinbehandlung sowie ebenfalls einer Ganganalyse unterzogen. In der Gruppe der Parkinson-Patienten, die tatsächlich behandelt wurde, zeigte sich nach der Behandlung eine statistisch signifikante Verbesserung in der Schrittlänge, des Rhythmus und der maximalen Geschwindigkeit der oberen und unteren Extremitäten. Die Kontrollgruppen wiesen keine signifikanten Veränderungen auf. Bereits mit diesen einfachen Möglichkeiten einer Ganganalyse können somit relevante Veränderungen des Gangbildes erkannt werden.


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Funktionelle Erkrankungen

Auch funktionelle Erkrankungen anderer Körperregionen können in Wechselwirkung mit einem veränderten Gangbild stehen. Hierbei ist zu bedenken, dass der menschliche Organismus über eine Vielzahl von Kompensationsmechanismen verfügt, mit denen die meisten so genannten Funktionsstörungen toleriert werden. Es entstehen „stumme” Funktionsstörungen, die durch zusätzliche pathologische Störfaktoren klinisch manifest werden können. Sogar bei Funktionsstörungen des Kauorgans sind über die myofasziale Verknüpfung der unteren und oberen Körperhälfte auch Auffälligkeiten des Gangbildes zu berücksichtigen. Valentino et al. konnte hier eindrucksvoll den Einfluss einer veränderten Belastung der Fußsohle auf die EMG-Aktivität der Kaumuskulatur beobachten.[2] Auch wenn eine veränderte Aktivität der Kaumuskulatur nicht zwangsläufig zu einer klinischen Symptomatik führt, so ist diese jedoch häufig als Vorläufer derselben zu betrachten.


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Fazit

Für viele weitere Indikationen dient deshalb die sorgfältige Ganganalyse zur Aufdeckung und Einschätzung manifester Bewegungsstörungen der unteren Extremität sowie der Bewertung stummer Funktionsstörungen des Gangbildes bei einer lokalen Beschwerdesymptomatik sowie bei komplexen überregionalen Funktionserkrankungen.


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Priv.-Doz. Dr. med. Matthias Fink

 
  • Literatur

  • 1 Wells M et al. Standard osteopathic manipulative treatment acutely improves gait performance in patients with Parkinson's disease. JAOA 1999; 99: 92-98
  • 2 Valentino B, Fabozzo A, Melito F. The functional relationship between the occlusal plane and the plantar arches. An EMG study. Surg Radiol Anat 1991; 13: 171-174