psychoneuro 2006; 32(11): 524-525
DOI: 10.1055/s-2006-957004
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Rasagilin in der Parkinsonbehandlung - Neuer MAO-B-Hemmer bewährt sich in Studien und Praxis

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Publication Date:
12 December 2006 (online)

 
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Wir sind froh, Rasagilin in der Therapie des Morbus Parkinson einsetzen zu können, lautete die klare Botschaft von Prof. Dr. Heinz Reichmann, Dresden, auf einer Pressekonferenz während der diesjährigen DGN-Tagung [1]. Zu dieser Feststellung bewogen ihn die Eigenschaften, die der neue MAO-B-Hemmer in der Frühphase der Erkrankung sowie in späteren Stadien erkennen ließ. Sollten sich erste Hinweise auf eine neuroprotektive Wirkung bestätigen, dann könne sich Rasagilin sogar als therapeutische Revolution erweisen.

Rasagilin (Azilect®) feierte kürzlich sein einjähriges Jubiläum in Deutschland. Der neue irreversible MAO-B-Hemmer der zweiten Generation wird im Gegensatz zu Selegilin nicht zu amphetaminartigen Metaboliten verstoffwechselt. Daher muss nicht mit sympathomimetischen Effekten gerechnet werden. Die einmal tägliche Gabe erweist sich als besonders günstig für diejenigen Patienten, die bereits mit mehreren Medikamenten versorgt werden. Nicht zuletzt hat sich die Wirkung von Rasagilin während der Entwicklung als etwa zehnfach stärker herausgestellt als die von Selegilin, betonte Reichmann, der Direktor der Neurologischen Klinik und Poliklinik des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus, Dresden.

Mit Rasagilin wurde die doppelblinde, randomisierte und plazebokontrollierte TEMPO-Studie durchgeführt [2]. "TEMPO ist die bislang erste Studie mit einem Parkinsonmedikament, welches mutmaßlich in der Frühphase des Parkinson wirksam ist und das nicht nur symptomatisch wirkt, sondern möglicherweise den natürlichen Verlauf der Krankheit beeinflusst," erklärte Prof. Dr. Werner Poewe, Vorstand der Universitätsklinik für Neurologie der Medizinischen Universität Innsbruck. Um dieser Hypothese nachzugehen, wurde die Studie nach dem "delayed start design" konzipiert. Bei diesem Schema wurden 404 Patienten mit einem neu diagnostizierten Morbus Parkinson zunächst über sechs Monate täglich mit 1 mg oder 2 mg Rasagilin beziehungsweise Plazebo behandelt. Erst danach wurde auch die Plazebogruppe auf 2 mg Rasagilin umgestellt.

Hinweis auf neuroprotektives Potenzial

Der als primärer Endpunkt definierte Wert auf der UPDRS (Unified Parkinson's Disease Rating Scale)-Skala zeigte nach sechs Monaten eine statistisch signifikante Überlegenheit beider aktiver Arme gegenüber Plazebo, erläuterte Poewe. Subanalysen der TEMPO-Studie ließen zudem erkennen, dass die Wirkung mit der Schwere der motorischen Beeinträchtigung noch zunahm (Abb. [1]). Die Verträglichkeit von Rasagilin war gut und entsprach weitgehend der von Plazebo. Nebenwirkungen wie eine Senkung des Blutdrucks, Halluzinationen oder Erbrechen waren nicht erkennbar, führte Poewe aus.

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Besonderes Interesse galt dem Prinzip des verzögerten Starts (Abb. [2]). Dahinter steckt die Vorstellung, dass ein statistisch signifikantes Auseinanderklaffen der Kurvenverläufe zwischen früh und verzögert behandelten Patienten nicht allein auf eine symptomatische Wirkung zurückgeführt werden kann. Bei TEMPO trafen die Arme nicht zusammen, was zumindest als Hinweis auf eine gewisse krankheitsmodifizierende Wirkung von Rasagilin gewertet werden kann (Abb. [3]). Dieser mögliche neuroprotektive Effekt ist Gegenstand der mit mehr als 1000 Patienten weit größeren ADAGIO-Studie [3].

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Im Anschluss an die zwölf Monate dauernde TEMPO-Studie führten noch rund 380 Patienten die Monotherapie mit Rasagilin in einer offenen Langzeitbeobachtungsstudie fort. Zwei Jahre später kam immer noch knapp die Hälfte (46%) der Patienten mit dieser einen Tablette Rasagilin pro Tag aus. Insgesamt sprechen die Daten der TEMPO-Studie dafür, mit der Behandlung des Morbus Parkinson möglichst früh zu beginnen.

Motorische Fluktuationen deutlich verringert

Auch für Parkinsonpatienten im weiter fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung stellt Rasagilin als Kombinationspartner zu Dopaminagonisten oder COMT-Hemmern eine wertvolle neue Option dar. Für Wirksamkeit und Verträglichkeit in dieser Situation stehen zwei große Doppelblindstudien mit den Akronymen PRESTO und LARGO ([4], [5]). In beiden Fällen wurde Rasagilin als Add-on-Therapie bei chronisch mit L-DOPA behandelten Patienten eingesetzt. Die Autoren der amerikanischen PRESTO-Studie forderten als Einschlusskriterium eine tägliche OFF-Zeit von mindestens 2,5 Stunden. Die Teilnehmer erhielten entweder 0,5 oder 1 mg Rasagilin beziehungsweise Plazebo. Nach einer Studienlaufzeit von 26 Wochen verringerten sich die täglichen OFF-Zeiten unter Rasagilin um 1,41 Stunden (0,5 mg/d) bzw. 1,85 Stunden (1 mg/d) und damit signifikant gegenüber Plazebo (-0,91 Stunden pro Tag) (Abb. [4]). Dabei setzte der günstige Effekt von Rasagilin schon früh ein: Bereits nach den ersten sechs Wochen hatten die Patienten täglich etwa 1,5 Stunden gewonnen, während der sie sich vor allem am Morgen besser fühlten und weniger steif waren.

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In der LARGO-Studie mit Patienten aus Argentinien, Israel und Europa überstieg die initiale tägliche OFF-Zeit mindestens eine Stunde. Mit LARGO wagte man sich, so Reichmann, an den Vergleich mit einer anderen Wirksubstanz, nämlich mit dem COMT-Hemmer Entacapon. Dieser wurde in einer Dosis von 200 mg täglich zu jeder L-DOPA-Gabe hinzugefügt, Rasagilin in einer Dosis von 1 mg einmal täglich. Die Tiefe des OFFs in den Phasen mit schlechter oder fehlender motorischer Funktion - vor allem in den Morgenstunden - reduziert sich unter Rasagilin noch mehr als unter Entacapon. Darüber hinaus verbesserte Rasagilin einige schwer zu beeinflussende Symptome des Morbus Parkinson wie Freezing, Haltungsinstabilität und Gangstörungen signifikant gegenüber Plazebo, die Besserungen der Entacapongruppe verfehlten in diesen Subscores dagegen die Signifikanz.

In der Praxis sicher, effektiv und gut verträglich

Dr. Reinhard Ehret konnte als niedergelassener Neurologe mit großer Parkinsonpraxis in Berlin bereits einige praktische Erfahrungen mit Rasagilin gewinnen. Er erzählte beispielhaft von einem Patienten, bei dem 1997 im Alter von 36 Jahren ein Morbus Parkinson festgestellt wurde. Sieben Jahre später litt der Mann an Fluktuationen, die nicht mehr mit der Einnahme der Medikamente korrelierten, er klagte über Schmerzen und Hyperhydrose. In der Video-Beobachtung war die kleinschrittige, stockende Bewegung des Patienten dokumentiert. Die Behandlung umfasste zu dem Zeitpunkt Entacapon, Ropinirol, L-DOPA und Selegilin. Die Option, die L-DOPA-Dosis zu erhöhen, lehnte der Patient ab. Ehret entschied sich dann, Selegilin durch 1 mg Rasagilin zu ersetzen und die Ropiniroldosis zu verringern. Der Patient setzte von sich aus auch Entacapon ab. Die Video-Aufzeichnung eineinhalb Jahre später zeigte einen Patienten, der sich in einem deutlich besseren Zustand befand, der sich leichter und gleichmäßiger bewegen konnte, dessen Mimik sich geändert hatte und der sogar in die Kamera lächelte.

Mittlerweile wurde Entacapon bei diesem Patienten wegen vermehrter End-of-Dose-Phänomene wieder in die Kombination aufgenommen - allerdings in niedrigerer Dosierung als vor der Rasagilingabe. Das Ergebnis ist ein bis heute stabiler, guter Befund, der relativ zum Ausgangszustand immer noch Kosten spart, äußerte Ehret abschließend zu dieser Kasuistik.

Etwa eineinhalb Jahre nach der Zulassung von Rasagilin fällt das Fazit aus Sicht des niedergelassenen Neurologen eindeutig positiv aus (Tab. [1]). Für ihn stellt Rasagilin eine wesentliche, pharmaökonomisch sinnvolle Bereicherung in der Versorgung von Parkinsonpatienten dar.

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mb

Quellen

  • 01 Pressekonferenz "Ein Jahr Azilect® - Moderner MAO-B-Hemmer bringt Bewegung in die Parkinsontherapie" am 21.09.06 in Mannheim, unterstützt von Lundbeck und Teva Pharma. 
  • 02 The Parkinson Study Group: A Controlled, Randomized, Delayed-start Study of Rasagiline in Early Parkinson Disease.  Arch Neurol. 2004;  61 516-66
  • 03 Attenuation of Disease Progression with AGILECT®/AZILECT® Once-daily. 
  • 04 The Parkinson Study Group: A Randomized Placebo-controlled Trial of Rasagiline in Levodopa-treated Patients with Parkinson Disease and Motor Fluctuations (the PRESTO Study).  Arch Neurol. 2005;  62 241-248
  • 05 Rascol O . et al . Rasagiline as Adjunct to Levodopa in Patients with Parkinson's Disease and Motor Fluctuations (LARGO, Lasting effect in Adjunct therapy with Rasagiline Given Once daily, Study): A Randomized, Double-blind, Parallel-group Trial.  Lancet. 2005;  365 947-954

Quellen

  • 01 Pressekonferenz "Ein Jahr Azilect® - Moderner MAO-B-Hemmer bringt Bewegung in die Parkinsontherapie" am 21.09.06 in Mannheim, unterstützt von Lundbeck und Teva Pharma. 
  • 02 The Parkinson Study Group: A Controlled, Randomized, Delayed-start Study of Rasagiline in Early Parkinson Disease.  Arch Neurol. 2004;  61 516-66
  • 03 Attenuation of Disease Progression with AGILECT®/AZILECT® Once-daily. 
  • 04 The Parkinson Study Group: A Randomized Placebo-controlled Trial of Rasagiline in Levodopa-treated Patients with Parkinson Disease and Motor Fluctuations (the PRESTO Study).  Arch Neurol. 2005;  62 241-248
  • 05 Rascol O . et al . Rasagiline as Adjunct to Levodopa in Patients with Parkinson's Disease and Motor Fluctuations (LARGO, Lasting effect in Adjunct therapy with Rasagiline Given Once daily, Study): A Randomized, Double-blind, Parallel-group Trial.  Lancet. 2005;  365 947-954
 
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