psychoneuro 2006; 32(11): 519-520
DOI: 10.1055/s-2006-957002
Im Gespräch

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Interview mit Prof. Bernhard Steinhoff, Kork - Tagung des DACH-Arbeitskreises Epilepsie

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12 December 2006 (online)

 
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    Bernhard Steinhoff

    Im September 2006 fand die Tagung des DACH-Arbeitskreises Epilepsie statt, bei der Erfahrungen zu aktuellen Therapiestrategien vorgestellt und ausgetauscht wurden. Im Anschluss an die DACH-Tagung stand Prof. Dr. Bernhard Steinhoff vom Epilepsiezentrum Kehl-Kork psycho neuro für ein Interview zur Verfügung.

    Das primäre Ziel der Epilepsiebehandlung ist ohne Zweifel, Anfallsfreiheit ohne Beeinträchtigung der körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit zu erreichen. Kann keine Anfallsfreiheit erreicht werden, woran orientiert sich die Therapie dann?

    Prof. Steinhoff: Gelingt es nicht, Anfallsfreiheit zu erreichen, dann gilt es, aktiv zur Verbesserung der Lebensqualität beizutragen. Das kann bedeuten, dass man die Medikation auf ein Mindestmaß begrenzt, um invalidisierende Anfälle zu vermeiden und gleichzeitig das Störwirkungsrisiko zu minimieren. Möglicherweise werden Patienten davon profitieren, wenn der behandelnde Arzt Antiepileptika einsetzt, deren Einnahmemodalität mit Ein- oder Zweifachgabe pro Tag und einem geringen Wechselwirkungspotenzial langfristig die medikamentöse Therapie zumindest erträglicher und komplikationsärmer gestalten lassen.

    Wann werden von Patienten Nebenwirkungen als katastrophal eingeschätzt und nicht mehr toleriert?

    Steinhoff: Dies ist individuell höchst unterschiedlich. Es gibt Patienten, die Nebenwirkungen hinnehmen und Umstellungen ablehnen, obwohl man selbst schlaflose Nächte bei dem Gedanken hat, dass solche Nebenwirkungen fortbestehen. Es gibt andere Patienten, bei denen man als Therapeut nur mit Mühe die individuelle Betroffenheit nachvollziehen kann. Gleichwohl sind auch diese Beschwerden unbedingt ernst zu nehmen. Ich bin immer gut damit gefahren, in solchen Fällen den Beschwerden Rechnung zu tragen und zu versuchen, durch Änderungen Verbesserungen zu erzielen. Wichtig ist dann, dass man sich in solchen Situationen zusammensetzt und kritisch erörtert, welche Verbesserungen wirklich zu erwarten sind. Letztendlich hängt die Wahrnehmung von Nebenwirkungen entscheidend davon ab, ob ein Patient anfallsfrei ist oder nicht. Bei Anfallsfreiheit sind Patienten naturgemäß wesentlich eher als ich bereit, Nebenwirkungen zu akzeptieren.

    Die auszuwählende Therapiestrategie sollte übersichtlich und für den Patienten nachvollziehbar sein. Wie sieht das in Ihrer täglichen Praxis aus? Worauf legen Sie besonderen Wert?

    Steinhoff: Am wichtigsten ist sicherlich, Patienten immer die therapeutische Strategie klarzumachen und mit ihnen, falls erforderlich bereits vorab, weitere therapeutische Schritte festzulegen. Wir wünschen uns aufgeklärte und mündige Patienten. Im Idealfall beraten wir nur den Patienten, der durch klare Zielvorstellungen und aktive Mitarbeit wesentlich zu einem erfolgreichen Verlauf beiträgt. Erfolg und Misserfolg trägt man dann gemeinsam. In den Grenzen der individuellen Krankheitsausprägung kommt es ferner darauf an, Mut zu machen zur Autonomisierung und Eigenverantwortlichkeit.

    Gibt es auf Basis der vertrauensvollen Arzt-Patienten-Beziehung ein ähnliches Vorgehen wie z.B. in der Beratung von Diabetespatienten? Hier spricht man vom Empowerment. Einer ressourcenorientierten Intervention, die sowohl für den Prozess der Entwicklung von Selbstverantwortung als auch für die professionelle Unterstützung der Patienten steht, damit diese ihre Möglichkeiten und Ressourcen wahrnehmen und bewusst einsetzen.

    Steinhoff: In der Tat gibt es seit einigen Jahren an der Diabetesschulung orientierte Programme der Psychoedukation auch für Epilepsiepatienten. Vorbildlich ist dabei das so genannte MOSES-Programm, das darauf abzielt, dass Epilepsiepatienten von speziell geschulten Trainern über ihre Erkrankung informiert werden, aber auch lernen sollen, den Umgang mit ihrer Erkrankung aktiv mitzugestalten und Verantwortung zu übernehmen. Ähnliche Programme gibt es mittlerweile auch für Kinder und Angehörige behinderter Menschen mit Epilepsie. In Epilepsiezentren wie dem Epilepsiezentrum Kork, aber auch in epileptologischen Schwerpunktpraxen hat sich hierzu in den letzten Jahren ein vielfältiges Angebot etabliert.

    In den letzten Jahren wurde die Palette der pharmakotherapeutischen Möglichkeiten erweitert. Gibt es noch Bedarf an neuen Substanzen? Wo liegen die Grenzen der derzeitigen therapeutischen Möglichkeiten?

    Steinhoff: Bedarf an neuen Substanzen gibt es immer, so lange wir mit 30% pharmakoresistenten Epilepsien zu tun haben und mehr als die Hälfte der Patienten unter medikationsbedingten Störwirkungen leiden. Insofern begrüße ich die neuen Antiepileptika wie z.B. Zonisamid grundsätzlich. Dadurch haben wir mehr Möglichkeiten, im individuellen Fall das am besten geeignete Antiepileptikum zu finden. Auch Grenzen gibt es. Wirklich pharmakoresistente Epilepsiesyndrome sind in der Regel auch mit neuen Antiepileptika pharmakoresistent. Ich bin skeptisch, dass zukünftige neue Medikamente daran Entscheidendes ändern können. Trotzdem ist auch in diesen Fällen der Versuch immer wieder aufs Neue gerechtfertigt und notwendig.

    Wie wichtig ist für den Arzt in diesem Zusammenhang das Sammeln von eigenen Erfahrungen?

    Steinhoff: Natürlich wünscht man sich trotz allem die eigene Erfahrung. Man fühlt sich viel sicherer, wenn man in der eigenen Patientengruppe, die in Kork sehr ähnlich wie in Bethel ist, seine Erfahrungen gesammelt hat. Wir kennen genügend Beispiele dafür, dass Studiendaten hinsichtlich Wirksamkeit und Verträglichkeit sich nicht ohne weiteres auf unsere Patientengruppen übertragen ließen. Andererseits haben wir inzwischen natürlich schon bei zahlreichen Patienten unsere Zonisamiderfahrungen gesammelt, die erfreulicherweise die Daten aus dem Ausland weitgehend bestätigen.

    Zonisamid zeichnet sich durch ein geringes Interaktionspotenzial aus. Was bedeutet dies für die Entscheidungen in der Kombinationstherapie?

    Steinhoff: Grundsätzlich bevorzugen wir Antiepileptika mit geringem Interaktionspotenzial, weil die Therapie an Transparenz gewinnt. Störwirkungen durch Einflussnahme auf andere Medikamente, aber auch auf Hormone oder Vitamine spielen dann keine Rolle. Dies kann für die Patientensicherheit und für die Therapieeffizienz nur gut sein.

    Wie bewerten Sie die hohe Responderrate von bis über 60%?

    Steinhoff: Eine hohe Responderrate bedeutet zunächst, dass das Präparat offenbar eine hohe Wirksamkeit aufweist und es insofern sinnvoll erscheint, einen Therapieversuch bei schwer behandelbaren Epilepsien zu unternehmen. Wegen der hohen Wirksamkeit von Zonisamid würde ich es auch bei hochaktiven oder prognostisch ungünstigeren Epilepsiesyndromen sicherlich frühzeitig ins Auge fassen. Es gibt andere Antiepileptika, deren Wirksamkeit es nicht ratsam erscheinen lässt, ausgerechnet in dieser Patientengruppe, die Therapie mit diesen Substanzen überhaupt zu versuchen. Was wir, Therapeut und Patient, uns letztlich wünschen, ist aber nicht eine Reduktion der Anfälle, sondern Anfallsfreiheit. Nur wenn diese erreicht wird, würde ich persönlich daran denken, tatsächlich das ursprüngliche Präparat aus der Therapie zu ziehen. Sehr oft scheitert dieses Vorhaben aber... am Patienten! Bei Anfallsfreiheit erlebe ich regelhaft und für mich durchaus nachvollziehbar, dass der Patient selbst weitere Änderungen verweigert. Anfallsfreiheit ist ein hohes Gut!

    Zonisamid sollte früh als Zusatztherapie eingesetzt werden? Was genau heißt "früh"?

    Steinhoff: Früh heißt, dass man nicht notwendigerweise alle 10 neuen Antiepileptika hintereinander ausprobieren sollte. Dies führt nur zu Frustration und ein Scheitern ist vorprogrammiert. Es gilt, die Patienten zu identifizieren, bei denen man mit der frühen Gabe von Zonisamid mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Besserung erhoffen kann.

    Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass auch langdauernde, vermeintlich pharmakoresistente Epilepsien noch erfolgreich behandelbar sind, wenn die Therapie optimiert wird. Sollten die behandelnden Ärzte in diesen Fällen auch ihre gestellte Syndromdiagnose in Frage stellen und überprüfen?

    Steinhoff: Das Wichtigste bei pharmakoresistenten Verläufen ist die nochmalige Überprüfung der Epilepsiediagnose an sich und bei Vorliegen einer Epilepsie die Überprüfung der Syndromklassifikation. Tatsächlich erleben wir Pharmakoresistenz am häufigsten bei fokalen Epilepsien und symptomatisch generalisierten Epilepsiesyndromen wie dem Lennox-Gastaut-Syndrom. Bei Scheitern der Pharmakotherapie sollte früh an epilepsiechirurgische Möglichkeiten gedacht werden.

    Welche Möglichkeiten der Optimierung gibt es bei echter Pharmakoresistenz (neben chirurgischer Option und VNS) in Bezug auf die Pharmakotherapie, die ja in diesen Fällen meist eine Polytherapie ist?

    Steinhoff: Kommt eine Operation oder ein komplementäres Verfahren wie die Vagusnervstimulation nicht in Frage oder scheitern diese Optionen, sollte man wie bereits angesprochen versuchen, die medikamentöse Therapie möglichst einfach zu gestalten, um wenigstens das Störwirkungsrisiko niedrig zu halten.

    Mittlerweile steht für die Pharmakotherapie eine breite Palette von Medikamenten zur Verfügung. In diesem Zusammenhang wird oft geschrieben - "Die Vielzahl der Medikamente erlaubt eine individuelle, auf die Bedürfnisse der Patienten ausgerichtete therapeutische Strategie" - Was genau bedeutet dies in der Praxis?

    Steinhoff: Nun, jeder Mensch hat verschiedene Bedürfnisse, deren Gewichtung unterschiedlich ist. Wenn eine Patientin einen Schwangerschaftswunsch hat, wird man an Medikamente denken, deren teratogenes Potenzial gering ist.

    Ein Antiepileptikum, das zu Gewichtsabnahme führt, ist bei übergewichtigen Patienten natürlich eine besonders gute Idee. Bei Patienten mit hoher kognitiver Leistungsfähigkeit wäre es besonders fatal, diesbezüglich nebenwirkungsbehaftete Medikamente einzusetzen.

    Die Liste dieser Beispiele ließe sich endlos fortsetzen. Letztlich haben wir bei guter Kenntnis der Vor- und Nachteile der Antiepileptika heute die Möglichkeit, diesen individualspezifischen Bedürfnissen unserer Patienten besser gerecht zu werden und so aktiv zu einer Optimierung ihrer Lebensqualität beizutragen.

    Sehr geehrter Herr Prof. Steinhoff, vielen Dank für das Gespräch!

     
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